In Gaildorf entsteht der weltweit erste Naturstromspeicher, der eine flexible Energieversorgung sicherstellen soll.
Gaildorf - Einst war die Münstermühle am Kocher die Keimzelle der Stromversorgung für die 12 500-Einwohner-Stadt Gaildorf (Kreis Schwäbisch Hall). Hinter dem alten Industriebau steht heute eine schlichte Holzbaracke – das Hauptquartier des Unternehmens MBS Naturstromspeicher. Von hier aus wollen die Firmengruppe Max Bögl aus Neumarkt/Oberpfalz und der Ingenieur, Initiator und Produktentwickler Alexander Schechner ein großes Rad der erneuerbaren Energien drehen. Der offizielle Spatenstich ist erfolgt, ein Naturstromspeicher im Bau.
Die erste Anlage ihrer Art
Das weltweit erste Projekt seiner Art verbindet vier Windenergieanlagen – vulgo Windräder – in den Limpurger Bergen mit einem Pumpspeicherkraftwerk und einem Becken im Tal. Mit überflüssiger Windenergie wird das Wasser nach oben gepumpt und bei Strombedarf nach unten auf Turbinen im Pumpspeicherwerk geleitet. Die Informationsbroschüre verspricht „eine verlässliche, planbare und an den Verbrauch im Stromnetz angepasste Stromlieferung“.
Das freilich bezweifeln einige, die lange Widerstand gegen das Projekt geleistet haben. Im September des Jahres 2011 waren die Pläne vorgestellt worden. Im Dezember darauf stimmten die Gaildorfer in einem Bürgerentscheid knapp für das Projekt und erteilten damit der Stadt den Auftrag, Verhandlungen über Grundstücke mit der Betreibergesellschaft aufzunehmen. In den Folgejahren beharkten sich Gegner und Befürworter bei Bürgerversammlungen, Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen, Zeitungsserien, Leserbriefen und sozialen Medien vehement .
Die Bürgerinitiative Für Gaildorf kritisiert das Projekt als unverträglich mit Landschaft und Natur und befürchtet gravierende Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität, Flora und Fauna. Die Befürworter, die eine Bürgergenossenschaft gründen wollen, schwärmen von der „Energiezukunft“, die in Gaildorf ihren Anfang nehme. Seit Mai des Jahres 2014 ist die Sache entschieden, die Gegner sind verstummt: Der Petitionsausschuss des Landtags erteilte grünes Licht und das zuständige Schwäbisch Haller Landratsamt die Genehmigung für den Bau.
„Der Widerstand war heftig“, räumt Alexander Schechner, 47, heute ein. Und hebt sogleich an, die Vorzüge seiner Entwicklung zu preisen. „Die Welt der Großkraftwerke ist am Sterben“, sagt Schechner voller Überzeugung. Als Ingenieur bei dem Technologiekonzern Voith hat er die Idee geboren, in Max Bögl einen Partner gefunden hat und ist heute zur Hälfte an der MBS Naturstromspeicher beteiligtst. „Wir nehmen den Gegnern der Windenergie den Wind aus den Segeln und rüsten die Windparks zu flexiblen Stromspeichern auf“, sagt Schechner und argumentiert: „Sie benötigen 25 000 Tonnen Kohle, um dieselbe Energiemenge wie diese Windräder zu erzeugen. Das entspricht zwei Sattelzügen Kohle pro Tag – die Räder nehmen dies aus dem Wind.“ Eine griffige Rechnung.
Riesige Speicher
Die Idee klingt für technische Laien bestechend einfach: Als Oberwasserbecken dient nicht wie etwa in den Alpen ein riesiger Stausee. Das Wasser befindet sich größtenteils in 40 Meter hohen, mit 16,8 Meter Durchmesser recht gewaltigen Windrad-Sockeln. Diese wiederum stehen in einem Außenbecken mit 63 Metern Durchmesser, das bis zu 13 Meter hoch mit Wasser gefüllt ist. Insgesamt sind hier 160 000 Kubikmeter gespeichert.
Ein Druckrohr verbindet die Windräder untereinander und mit dem 200 Meter tiefer im Tal gelegenen Pumpspeicherwerk. Zusätzlich erhöhen so genannten Aktivspeicher das Fundament der Anlagen und damit die Nabenhöhe der Rotoren. Samt Rotor ist eine Gesamthöhe von bis zu 240 Metern möglich – dadurch ist die Windausbeute um 20 Prozent höher als gewöhnlich. Das unterhalb des Pumpspeicherwerks gelegene Unterbecken misst 400 mal 150 Meter und soll als „attraktiv gestaltetes Gewässer“ der Naherholung dienen. Es kann mit einem so genannten Naturwärmespeicher nachgerüstet werden, der zur Energiequelle für Nah- und Fernwärmeversorgung wird: „Naturversorgung“ heißt das im PR-Auftritt des Unternehmens. Natur pur.
Die Bauherren treibt die Begeisterung
Euphorie für das technisch Machbare treibt Schechner und den jungen Projektleiter Johannes Kaltner (30) an, der derzeit 60 Mann auf der Baustelle im Wald oberhalb der Stadt beschäftigt. Denn der Naturstromspeicher soll – und das ist neben der Kombination Wind und Wasser die zweite Innovation – ein hydraulisches Speicherkraftwerk „von der Stange“ werden. Die Anlage wird vollständig standardisiert, um sie später gut vermarkten zu können: „Die Planungskosten gehen dann praktisch gegen Null“, Kaltners Augen strahlen vor Begeisterung. Voraussetzung dafür seien technische Innovationen, deren Ausarbeitung, Zulassung und Realisierung parallel erfolgten. 20 Ingenieure seien am Standort Ulm mit der Entwicklung beschäftigt.
„Wir sind sehr gut im Zeitplan“, sagt Kaltner, „aber wenn wir bauen, müssen die Kinderkrankheiten ausgeschlossen sein.“ Das gilt für das Druckrohr aus Polyethylen, das eigens entwickelt und recyclebar sein soll. Das gilt für eine zur Patentierung angemeldete Verlegetechnik, die schneller, preiswerter und – weil an bereits bestehenden Wegen verlaufend – umweltfreundlicher sein soll. Die Basis der Anlage bildet ein modular aufgebauter Windkraftturm mit fünf Megawatt Leistung. Er besteht aus Stahlsegmenten und Betonfertigteilen, deren Halbschalen einfach zu montieren seien. „Dafür werden wir den größten Mobilkran, den Liebherr je gebaut hat, nach Gaildorf bringen“, kündigt der Projektleiter an.
Der Naturstromspeicher ist ein „typisch deutsches Produkt – innovativ und intelligent“, ereifert sich der Initiator Alexander Schechner. Die Politik sieht das offenbar ebenso: Mit 7,5 Millionen Euro aus dem Innovationsprogramm fördert das Bundesumweltministerium die Entwicklung. In Gaildorf entsteht der kleinste von drei Anlagentypen. Die Wasserkraftanlage – auch sie ist modular gebaut – kommt mit Voith-Turbinen auf 16 Megawatt (MW) installierte Leistung; überdies werden Anlagen mit 24 und 32 MW entwickelt. Mit 50 und 100 Millionen Euro pro Gesamtkraftwerk liege die Anlage im Investitionsrahmen von Stadtwerken und Regionalversorgern. Und im Trend: „Wir wollen möglichst viel Strom vor Ort erzeugen, statt lange Leitungen durchs Land zu bauen, die politisch schwer durchsetzbar und teuer sind“, bekräftigt Alexander Schechner. Ende des kommenden Jahres sollen sich die Windräder in Gaildorf drehen.
Der Naturstromspeiecher
Windenergieanlagen
Die Nabenhöhen der Windräder liegen zwischen 158 und 178 Meter, der Rotordurchmesser beträgt 132 Meter. Damit beträgt die Gesamthöhe bis zu 240 Meter. In Gaildorf werden vier Türme gebaut, deren Leistung den Angaben zufolge bei 20 Megawatt liegt. Die Jahresstromerzeugung soll 44 Gigawatt betragen.
Pumpspeicher
Das Gefälle zwischen Berg und Tal muss mindestens 150 und kann bis zu 350 Meter betragen; in Gaildorf sind es 200 Meter. Die Leistung des Kraftwerks soll 16 Megawatt betragen und eine elektrische Speicherkapazität von 70 Megawattstunden haben.
Kapazität
160 000 Liter Wasser werden vom Tal auf den Berg gepumpt und wieder abgelassen. Die Speicher befinden sich in den Fundamenten der Windräder und den Becken, in denen sie stehen.