Schwer nierenkrank beschließt unser Südostasien-Korrespondent, sich auf dem Schwarzmarkt ein Organ zu besorgen. Dabei setzt er sich über moralische und juristische Einwände hinweg. Eine persönliche Schilderung von Willi Germund
Stuttgart - Ich sitze in einem klapprigen Kleinwagen irgendwo an einer Schnellstraße in einer afrikanischen Metropole. Vorne redet Cyrus ins Telefon, mein lokaler Kontaktmann, der wie alle in dieser Geschichte in Wirklichkeit anders heißt. Sein Fahrer blickt stoisch in den tropischen Regen, der Wege in Bäche verwandelt. Auf den Gehwegen ist keine Menschenseele zu sehen. Unser Mann, so erklärt Cyrus, habe Schutz vor den Regengüssen gesucht.
Fünf Minuten vergehen. Der Uhrzeiger rückt zehn Minuten vor, 20 Minuten. Ich hocke auf dem Rücksitz und versuche, Zweifel und Bedenken zu verdrängen. Endlich hört der Regen auf. Plötzlich steht eine schlaksige Gestalt neben dem Auto. Wortlos klemmt sich der Mann zu mir auf die Hinterbank. Der Fahrer drückt aufs Gaspedal. Wir fahren zu einem kleinen Bürozentrum. Es geht um mein Leben. Der schlaksige Mann soll mich von dem Joch der Dialyse befreien. Er ist bereit, mir gegen Geld eine seiner Nieren zu verkaufen.
Eine Blitzreise von Südostasien nach Afrika
Meine Nieren haben vor ein paar Monaten ihren Dienst eingestellt. Seitdem muss ich mein Blut reinigen lassen. In dem unscheinbaren Labor in einem Seitenflügel des Gebäudes wird entschieden, ob meine Blitzreise von Südostasien nach Afrika ein weiterer Fehlschlag ist, einer von so vielen. Oder ob ich endlich meinem Ziel nahe komme: eine neue Niere zu finden.
Ich warte zusammen mit meinem potenziellen Nierenspender auf eine Blutabnahme. Vor uns steht ein Mann in weißem Kittel, der fröhlich die Utensilien bereitlegt und uns für alte Freunde hält. Raymond, so heißt mein Lebensretter, soll als Erster zur Ader gelassen werden. Ich stürze zur Tür, weil ich nicht mitansehen kann, wie bei jemand Blut abgezapft wird. Raymond kann sich vor Lachen kaum halten. Das Eis ist gebrochen, wir reden auf einmal miteinander. Er wolle mit dem Geld für die Niere ein kleines Geschäft aufbauen.
Nach 30 Minuten ist alles vorbei. Wir wissen nicht, ob unser Blut gut genug für eine Transplantation zusammenpasst. Ich stehe vor dem Eingang des Labors. Cyrus verhandelt wieder am Telefon. Ich schüttele Raymond die Hand. Der Fahrer setzt ihn in der Nähe seiner Arbeitsstelle ab. Ich werde zurück ins Hotel gebracht.
Es alles surreal. Morgens angekommen, nachmittags die Blutprobe abgegeben – im Grunde könnte ich jetzt zurückfliegen. Bevor ich in Richtung Thailand aufbreche, wo ich wohne, gönne ich mir einen Ausflug in ein Naturschutzgebiet. Nieren-Jetset mit Naturerlebnis, welcher Dialysepatient macht das schon.
Die Afrikareise geht an meine Substanz. Bereits eine gute Stunde nach dem Start schwellen Füße und Gelenke an. Bald fühlen sich die Füße an, als ob ich zu kleine Strümpfe tragen würde. Schnell erreiche ich den Punkt, an dem die Füße mich verrückt machen. Ein kurzer Spaziergang im Gang zwischen den Sitzreihen verschafft kaum Erleichterung.
Ein Diätplan und Unmengen von Medikamenten
Meine Nieren scheiden keine verbrauchten Nährstoffe mehr aus. Ich vergifte mich selbst. Alle zwei, spätestens drei Tage muss mein Blut von schädlichen Substanzen gereinigt werden. Ich ordne meine Verabredungen dem Behandlungsstundenplan unter. Bestellungen in Restaurants müssen mit einem Diätplan abgestimmt werden, den mir Ärzte zusammen mit Unmengen von Medikamenten in die Hände gedrückt haben.
Oberhalb meines rechten Schlüsselbeins ragen zwei schmale Plastikschläuche heraus, sie enden zwei Zentimeter über meiner Brustwarze. Etwa zehn Zentimeter der biegsamen Kanülen stecken jeweils in einer Vene und einer Arterie und reichen fast bis ins Herz. Die Enden der Schläuche sind in Mull und steriles Plastik verpackt auf meinem Brustkorb festgeklebt – wenn ich nicht gerade an der Maschine hänge.
Die Ärzte haben sich auf mein Drängen hin mit diesem Provisorium zufriedengegeben. Schon vor dem ersten Dialysetermin verkündete ich, dass ich bald per Transplantation eine fremde Niere erhalten würde. Dabei hatte sich gerade schon wieder ein Kontakt als Fehlstart in das ersehnte „fast normale Leben“ erwiesen, das mein Nephrologe mir im Fall einer Transplantation verheißen hatte. Normalerweise wird Patienten ein sogenannter Shunt, ein spezieller Gefäßzugang, am rechten oder linken Unterarm gelegt, ein permanenter Anschluss, an den bei jeder Blutwäsche die Maschine angedockt werden kann. Die Übergangslösung, die aus meiner Halsbeuge baumelt, birgt das Risiko vieler Komplikationen. Aber ein Shunt steht für mich als Eingeständnis, dass ich alle Hoffnung auf eine schnelle Transplantation aufgegeben hätte.
Bei hervorstehenden Kanülen ist strenge Hygiene das höchste Gebot. Es gilt eine eiserne Regel, die fast jeden Dialysepatienten nervt: Der Waschlappen ersetzt das Vollbad. Man darf sich weder baden noch duschen. Das treibt mich schier in den Wahnsinn. Die Haut juckt unter dem Mullverband, und der Waschlappen spendet kaum Labsal. Die Sehnsucht nach einem Vollbad gerät zur Besessenheit. Nur der ewige Durst und die unersättliche Gier nach kalten Getränken übertrifft den Ingrimm. „Maximal zwei Liter Flüssigkeit pro Tag“, lautet die Anweisung der Mediziner. Jeder Tropfen zählt. Suppen landen deshalb als Erstes auf der Verbotsliste. Gemüse und gekochte Kartoffeln füllen das Zwei-Liter-Maximum schnell. Da helfen nur gelegentliche Eiswürfel und viele dünn geschnittene Zitronenscheiben, um den Durst zu unterdrücken.
Die Blutwäsche verhindert, dass der Körper vergiftet wird
Nierenversagen bedeutet, dass fast kein Urin mehr ausgeschieden wird. Jeder Tropfen muss deshalb auf andere Weise aus dem Körper geholt werden. Bei der drei bis vier Stunden dauernden Blutwäsche verliert der Körper zwei bis vier Kilogramm Körperflüssigkeit – eine schwere, häufig von heftigen Kopfschmerzen begleitete Belastung des Kreislaufs. Außerdem sammelt sich die Flüssigkeit in Füßen und Beinen und beschädigt die Nerven.
Die Blutwäsche verhindert, dass der Körper vergiftet wird. Doch die Dialyse zerstört in minimalen, aber kontinuierlichen Schritten den Körper. Je mehr Dialysesitzungen ein Nierenkranker absolviert, umso spürbarer werden die gesundheitlichen Nebenwirkungen. Es gibt viele, die dank der Blutwäsche jahrzehntelang überleben, aber auch viele, die sterben, weil sie zu lange auf eine Niere warten mussten. Sie stehen zwar auf der Liste von Eurotransplant, einer Koordinierungsstelle für Transplantationen in acht europäischen Ländern, aber die gespendeten Organe reichen einfach nicht aus – und die Skandale um Manipulationen bei der Organvergabe machen die Lage noch schlimmer. Um an dieser Nierenlotterie mit ungewissem Ausgang bei Eurotransplant teilzunehmen, hätte ich nach Deutschland ziehen und meinen Beruf als Auslandskorrespondent an den Nagel hängen müssen.
Noch zwei Jahre, bis die Nieren ganz versagen
Als der Arzt mir eröffnete, dass meine Nieren innerhalb von zwei Jahren ihren Dienst aufgeben würden, beschloss ich, mich auf dem internationalen Markt nach einem Organ umzusehen. Ich kenne die vielen moralischen und rechtlichen Einwände, die gegen den kommerziellen Transplantationsmarkt erhoben werden. Ich habe sie lange selbst geteilt. Während meiner Krankheit stellte ich fest, in welch atemberaubendem Tempo diese Vorbehalte an Bedeutung verloren. Ich bewundere jeden Patienten, der über die Stärke verfügt, mit seinem Namen auf einer Liste jahrelang geduldig zu warten und die Hoffnung zu bewahren. Im Schnitt dauert das in Europa fünf bis sieben Jahre. Ich hätte wahrscheinlich nicht genug Kraft besessen, um diese Ungewissheit zu ertragen.
Die Begegnung mit Raymond brachte den verzweifelt ersehnten Durchbruch. „Alles o. k.“, meldete sich mein Vermittler nach meiner Rückkehr nach Bangkok, „Raymond passt.“ Ich, der vergleichsweise betuchte Europäer, würde einem jungen Afrikaner Geld für eine seiner gesunden Nieren zahlen. Ich kaufe mir auf dem florierenden, aber weltweit geächteten und von vielen als verwerflich betrachteten Organmarkt eine neue Zukunft.
In Mexiko geht es im Operationssaal um Leben oder Tod
Ein paar Monate später stehe ich vor einer Klinik im Norden von Mexiko. Wenn alles gutgeht, habe ich gerade meine letzte Dialyse hinter mich gebracht. Morgen soll eine Niere aus Raymonds Körper in meine Leiste transplantiert werden. Ich kann es kaum erwarten, auch wenn es letzten Endes um Leben und Tod geht. Eine mehrstündige Operation ist keine Nebensache.
Die Leiterin des Dialysezentrums hat mich vor anderen Patienten verabschiedet: „Wünscht Willi viel Glück. Er soll eine neue Niere erhalten.“ Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte den Mund gehalten. Ich habe nur einen ausgesucht kleinen Kreis von Freunden und Bekannten in meine Pläne eingeweiht. Manche der Panikattacken, die mich regelmäßig überfallen, kreisen um eine einzige Befürchtung: Behörden könnten Wind von der Sache bekommen und die Operation stoppen.
Acht Uhr an einem Dienstagmorgen: es klopft. „Bereit?“, fragt die Krankenschwester. Sie wartet nicht auf meine Antwort. Bevor ich mich versehe, rolle ich den Flur entlang in Richtung OP. Die letzten Sekunden meines bisherigen Lebens sind angebrochen. Durch eine Kanüle am linken Handrücken wird ein Betäubungsmittel in meinen Kreislauf geleitet. Raymond liegt längst auf dem Operationstisch.
Der afrikanische Spender erhält 30.000 US-Dollar
Rund 30.000 US-Dollar hat der 28-jährige Raymond von dem Geld erhalten, das ich einem Agenten überwiesen habe. Als wir vor der Operation einmal gemeinsam in der Abenddämmerung bei einem Glas Sprudelwasser am Rande des Hotelpools ausspannen, sagt er stolz: „Bei mir kannst du sicher sein, dass du eine richtig gute Niere bekommst.“ Später sehe ich auf einem Foto, dass Raymonds rosarote Niere nicht einmal einen ganzen Handteller füllt.
Nach ein paar Stunden wache ich am frühen Nachmittag in meinem Krankenhausbett unter einer ganzen Batterie von Infusionsflaschen auf. Der Arzt hebt einen Beutel, in dem sich tiefgelber Urin sammelt. Raymonds Niere arbeitet. Ich bin erschöpft, raffe mich zu einer einzigen Frage auf: „Wieso ist der Verband rechts?“ Vor der Transplantation hatte der Chirurg immer auf meine linke Leiste als vorgesehenem Platz für die fremde Niere gezeigt. „Ich habe sie rechts eingepflanzt“, sagt er. Nun bin ich überraschenderweise also ein Nierenrechtsträger. Aber die Körperseite spielt nun wirklich keine große Rolle – und ändern lässt sich das eh nicht mehr.
Ein paar Tage später schenkt der Arzt mir Dutzende von Fotos, die seine Assistentin während der Transplantation aufgenommen hat. Nach zwei Tagen schlurfe ich schon wieder den Flur entlang. „Er läuft schon“, notiert die Krankenschwester im Patientenbuch. Zwei Tage nach der Transplantation steht Raymond, wegen der Infektionsgefahr vom Scheitel bis zur Sohle vermummt, in der Tür. „Wie funktioniert meine Niere?“ fragt er. „Gut“, antworte ich vom Bett aus, „danke.“