Nach vielen Niederlagen hat Thomas Karzelek einen wichtigen Erfolg errungen. Alles sieht danach aus, dass er sich nicht vor Gericht in Polen verantworten muss – und mit seiner Tochter in Deutschland bleiben darf. Angst hat er trotzdem.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ditzingen/Ludwigsburg - Vor wenigen Tagen ist Lara neun Jahre alt geworden. Natürlich gab es Kuchen, Kerzen zum Ausblasen, Freunde und Bekannte waren da, ihr Papa. Das Wetter war schön, gefeiert wurde im Garten, in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen, eine kleine heile Welt. Die Stadt ist Laras neue Heimat, sie kennt sie noch nicht lange, und an ihre alte Heimat, das Strohgäu, kann sie sich kaum erinnern. Aber für Kinder ist Heimat dort, wo die Freunde sind, die Familie, wo Mama und Papa sind. „Sie findet sich in ihrem Leben immer besser zurecht“, sagt ihr Vater Thomas Karzelek, der weiß, dass Laras Welt noch keine heile Welt ist. Jemand fehlt, jemand sehr wichtiges: die Mutter. „Sie hat nicht einmal einen Geburtstagsgruß geschickt“, sagt Karzelek. „Wenn Lara in Deutschland ist, existiert sie offenbar für die Mutter nicht.“

 

Polen spricht von Freiheitsberaubung

Sieben Jahre dauert der Streit um Lara nun, zwischen Joanna S., der polnischen Mutter, und Thomas Karzelek, dem deutschen Vater. Oder: zwischen Polen und Deutschland. 2011 trennten sich die Eltern, 2014 entführte die Mutter das Kind aus Ditzingen nach Polen. Lange sah es danach aus, als käme sie damit durch. Joanna S. musste ins Gefängnis, aber Lara blieb in Polen, obwohl Karzelek das Sorgerecht hat. Die Behörden in Polen taten alles, um die Herausgabe an den Vater zu verhindern.

Im Mai dieses Jahres nahm Karzelek die Sache selbst in die Hand und verschleppte Lara von Stettin nach Deutschland, und plötzlich sieht es so aus, dass nun wiederum er damit durchkommt. Die zuständige Generalstaatsanwaltschaft ist nicht gewillt, Karzelek nach Polen auszuliefern. Weil die Tat, die ihm vorgeworfen wird, nach deutschem Recht nicht strafbar sei. Diese Einschätzung hat die Behörde jetzt nach Polen übermittelt, per Fax und per Brief.

Die Rückholaktion sei nach deutschem Recht nicht strafbar, sagt die Justiz

Der Fall ist moralisch und juristisch komplex. Die polnische Justiz wirft Karzelek vor, bei seiner Rückholaktion handle es sich um Freiheitsberaubung. Karzelek habe Lara an einen unbekannten Ort gebracht und den Kontakt zwischen Mutter und Tochter unmöglich gemacht. Auf Basis dieser Anschuldigung erwirkte Polen einen internationalen Haftbefehl gegen Karzelek und verlangt seine Auslieferung, um ihn vor Gericht stellen zu können. Der Knackpunkt indes ist das Sorgerecht.

Nach ersten – noch erfolglosen – Entführungsversuchen der Mutter hatte das Ludwigsburger Amtsgericht 2014 dem Vater das alleinige Sorgerecht übertragen. Er allein darf bestimmen, wo Lara lebt, und gemäß internationaler Abkommen müssen die Polen das akzeptieren. Der deutsche Generalstaatsanwalt hat in seinem Schreiben darauf hingewiesen, dass der Sorgerechtsentscheid von jedem Mitgliedsstaat der Europäischen Union anzuerkennen sei.

Entscheidend ist, dass der Vater das Sorgerecht hat

Auf dieser Grundlage ist es nur folgerichtig, dass Deutschland die Auslieferung ablehnt. Da Karzelek das Sorgerecht besitzt, kann die Rückholaktion von Lara keine Freiheitsberaubung sein. Dass die Polen es anders sehen, ist zumindest für die Auslieferung nicht entscheidend.

Endgültig entschieden ist die Sache damit nicht. Deutschland hat von Polen weitere Informationen angefordert. Etwa dazu, ob es Erkenntnisse gebe, dass Karzelek seine Tochter nach der Rückholaktion eingesperrt habe – denn das wäre Freiheitsberaubung. Dieser Vorwurf taucht jedoch nirgends auf, auch in Polen nicht. Ein anderer Punkt: Hat Karzelek in Stettin, als er Lara an sich nahm, Gewalt angewendet? Er bestreitet das. Auch der Vorwurf, er habe der Mutter den Kontakt zur Tochter verwehrt, wird sich kaum aufrecht halten lassen.

Joanna S. hat immer gesagt, dass Lara allein zu ihr gehöre. Sie hat das Kind in Polen versteckt, um jeden Kontakt zum Vater unmöglich zu machen; so steht es in den Akten. Deutschen Gerichten misstraut sie, und mit deutschen Medien, die gern ihre Sicht auf die Ereignisse kennenlernen würden, spricht sie nicht. In den Akten, die unter anderem auf Gesprächen fußen, die psychologische Gutachter mit beiden Eltern geführt haben, steht auch, dass Karzelek sich kompromissbereiter gezeigt habe. Auch gegenüber unserer Zeitung betonte er stets, dass er es für wichtig halte, dass Lara Kontakt zur Mutter hat. Er strebt einen Mediationsprozess an, um eine Umgangsregelung zu finden. „Leider hat sie bislang alle Vorstöße abgeblockt“, sagt er.

Der Vater hofft – und hat Angst

Offenbar hoffte Joanna S., dass sie Lara zurückbekommt, wenn Karzelek verurteilt wird. Scheidet dies aus, bleibt der Mutter dafür wohl nur eine legale Möglichkeit: sich mit dem Vater zu einigen. Karzelek hofft daher, dass Joanna S. sich auf ihn zubewegt. Es gab in den vergangenen Jahren viele Momente, in denen er an der Justiz verzweifelte. „Gerade fange ich an, wieder ein wenig Vertrauen zu fassen“, sagt Karzelek.

Sicher fühlt er sich deswegen nicht. Er hat Angst, dass der polnische Teil der Familie Lara erneut entführt. Hinzu kommt: Er kann Deutschland nicht verlassen. Der Haftbefehl gilt überall. Sollte er im Ausland an die Polizei geraten, ist es denkbar, dass er direkt von dort nach Polen ausgeliefert wird. Heile Welt? Noch lange nicht, und trotzdem versuchen sie, ein normales Leben zu führen, mit Geburtstagskuchen, Kerzen, Freunden. Lara geht zur Schule und macht eine Therapie, um das Erlebte aufarbeiten zu können. „Es geht ihr gut“, sagt der Vater. „Das ist das Wichtigste.“