Wanda ist durch. Die Bohrmaschine ihre Arbeit an der zweiten Röhre des 8,176 Kilometer langen Albvorlandtunnels erfolgreich abgeschlossen.

Wendlingen - Der Vorhang fällt, und Wanda scheint sich ein letztes Mal vor dem Publikum verbeugen zu wollen. Langsam beginnt sich ihr riesiger Bohrkopf noch einmal zu drehen. Nebel wallen, Feuerwerk sprüht und aus den Lautsprechern klingt das Lied der Bergleute, der Steigermarsch „Glück auf“, danach die Queen-Hymne: „We are the Champions“.

 

Wanda, das ist die rund 120 Meter lange Bohrmaschine, die sich in den beiden vergangenen Jahren mit rund einer Umdrehung pro Minute durch das Albvorland gefräst hat. Die Champions aber, das sind die rund 600 Bauarbeiter und die 80 Techniker, Ingenieure und Geologen, die alle Hände voll zu tun gehabt haben, das 2300 Tonnen schwere Gerät zwei Jahre lang in der Spur zu halten. Auf Höhe von Kirchheim/Teck war Wanda abgetaucht, am Dienstag ist ihr Bohrkopf mit seinen knapp elf Metern Durchmesser bei Wendlingen wieder ans Tageslicht gekommen. Dazwischen liegen genau 8176 Meter und damit einer der zehn längsten Eisenbahntunnel in ganz Deutschland.

Wandas Zwillingsschwester Sibylle war früher fertig

Der Albvorlandtunnel mit seinen beiden Röhren – Wandas offensichtlich weniger störrische Zwillingsschwester Sibylle hatte ihren Arbeitseinsatz schon vor Wochen erfolgreich beendet – ist das Kernstücke der ICE-Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm. Für Zuggeschwindigkeiten von rund 250 Stundenkilometern ausgelegt, halbiert sich die Reisezeit auf der Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm auf dann rund eine halbe Stunde.

Die Hälfte der rund 60 Kilometer langen Neubaustrecke führt durch Tunnel. Mit dem Durchbruch von Wanda ist der gesamte Tunnelvortrieb abgeschlossen. Zu der parallel zur A 8 verlaufenden Strecke gehören neben den Tunnel noch rund 40 Eisenbahn- und Straßenbrücken, darunter die spektakuläre Filstalbrücke bei Mühlhausen im Täle (Kreis Göppingen).

Autofahrer werden zu Bahnfahrern

„Wir machen Autofahrer zu Bahnfahrern“, verspricht Thorsten Krenz, der Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn für Baden-Württemberg. Umgekehrt daure es auch nur noch eine halbe Stunde von Ulm bis zum Flughafen Stuttgart und zur Messe. „Wer fährt denn da noch mit dem Auto“, so lautete die rhetorische Frage des Bahnchefs. Bleiben die Arbeiten weiter im Plan, dann werden die ersten Züge in drei Jahren zum kollektiven Umsteigen einladen.

Der Verkehrsminister des Landes, Winfried Hermann, braucht keine Einladung. Er hofft, dass die Strecke nicht nur gebaut, sondern möglichst bald auch genutzt wird. „Dazu müssen wir den Flughafen jetzt zügig anbinden“, forderte der Minister mit Hinweis auf die nächste planerische Großbaustelle. Für Schmunzeln sorgte der Seitenhieb Hermanns in Richtung Stuttgart 21. „Zu Beginn gab es durchaus die Befürchtung, der Bahnhof könnte womöglich noch vor der ICE-Trasse fertig werden“, erinnert sich der Minister. Angesichts der Kosten für den Stuttgarter Bahnhof relativiere sich auch die Kostensteigerung für die ICE-Trasse, die jetzt 3,7 Milliarden kosten werde. Ursprünglich geplant waren 2,5 Milliarden Euro. Der Beitrag den das Land Baden-Württemberg beisteuert, liegt laut Hermann bei 950 Millionen Euro. Der Albvorlandtunnel allein schlägt mit Kosten von rund 380 Millionen Euro zu Buche.

Arbeiten im Zeitplan

„Wir übergeben das Projekt mit dem Tunneldurchschlag heute termingerecht“, meldete Erwin Scherer, der Projektleiter des Schweizer Unternehmens Implenia, das sich den Bauauftrag gesichert hatte. Mit Scherer, dem „Global Head Tunnelling“ der Implenia AG, freute sich auch die Tunnelpatin, die baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hofmeister-Kraut, über den unfallfreien Verlauf der Bauarbeiten. Sie verband den Dank an die Mineure mit dem Lob, dass sie unter schwierigsten topografischen Bedingungen ein wichtiges Stück Zukunft gebaut und dabei „Herkulesarbeit“ geleistet hätten.

Alles wird besser – so hat das Versprechen der Festredner am nun durchschlagenen Tunnelausgang der ICE-Trasse bei Wendlingen gelautet. Nur der Esslinger Landrat Heinz Eininger tanzte aus der Reihe.

Zwar würdigte der Kreischef, wie seine Vorredner, die Bedeutung der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm für den Nah- und Regionalverkehr. Doch fand er auch deutliche Worte für die Belastungen, die den Baustellen-Anliegern beim Abtransport von 3,7 Millionen Tonnen Gestein durch „Krach, Staub und Stau“ zugemutet worden seien. Noch mehr trieb den Landrat die „suboptimalen Kommunikation“ seitens der Deutschen Bahn um.

Landrat gießt Wasser in den Wein

Jüngstes Beispiel für die Sprachlosigkeit der Tunnelbauer ist das Hin und Her um den Eröffnungstermin der Landstraße 1250, die die Bahnanrainer und Nachbargemeinden Wendlingen und Oberboihingen miteinander verbindet und die im Zuge der Bauarbeiten hatte verlegt und neu gebaut werden müssen. Die wichtige Verbindung hätte eigentlich nach 32 Wochen Bauzeit, das heißt spätestens Ende August dieses Jahres, wieder für den Verkehr freigegeben werden sollen. Dieser Eröffnungstermin wurde allerdings schon kurz nach Baubeginn wieder kassiert. Bis vor einer Woche beharrten die Verantwortlichen auch auf Nachfrage noch darauf, dass das Einweihungsband für die neue Straße am 20. Dezember durchschnitten wird.

„Fertiger Zustand Dezember 2019“ ist auch jetzt noch auf der Homepage des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm zu lesen – zu einem Zeitpunkt, da das Regierungspräsidium Stuttgart schon lange mit der Meldung an die Öffentlichkeit gegangen war, die Vollsperrung werde „voraussichtlich“ bis Donnerstag, 30. April 2020, dauern. Das allein ist in den Augen des Landrats schon ein Ärgernis, die Informationspolitik aber noch mehr. „So wird Vertrauen verspielt“, so Einiger.