Das Landesdenkmalamt hat ein alamannisches Gräberfeld mit reichen Grabbeigaben gesichert.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Wendlingen - Bei allem wissenschaftlichen Interesse hat die Grabungsleiterin Inga Kretschmer nie vergessen, dass es Menschen sind, die hier an der neuen ICE- Trasse vor 1400 Jahren bestattet wurden. Es waren Alamannen: Männer, Frauen und Kinder, die mit dem Kopf nach Westen und dem Blick nach Osten gegen die Morgenröte, so vielleicht ein neues Leben nach dem Tode erwarteten.

 

Als strenge Wissenschaftlerin würde sie nie das Wort Sensationsfund in den Mund nehmen, aber es ist zu spüren, dass diese zweieinhalb Monate währende Grabung auch für sie etwas Besonderes ist. Im Lößboden zwischen Oberboihingen und dem Wendlinger Stadtteil Unterboihingen sind 118 Skelette zu Tage gekommen, ein Friedhof aus dem 7. Jahrhundert. Den Männern waren Lang- und Kurschwerter ins Grab gelegt, Sax und Spatha, manchmal auch Pfeile, die Frauen hatten bronzene Haarnadeln und Perlenketten. Prächtig sind die Glasperlen, vielfach verziert in gelb, rot und weiß, von denen man bis zu hundert in einem Grab fand. Ebenso gibt es Überreste von Schwertgehängen und Stiefeln. Auch Kämme und Keramik hat man gefunden.

Behutsam wickelt Inga Kretschmer einen hübsch verzierten Tonbecher aus, den ein Kind mit auf die letzte Reise bekommen hat und den ihm seine Eltern ins Grab gelegt haben, vielleicht als letzten Liebesbeweis. Für Inga Kretschmer wäre es nicht nur ein wissenschaftliches Versagen, sondern auch ein menschliches, wenn so ein Kindergrab einfach weggebaggert würde.

Noch ist nicht bekannt, wie lange der Friedhof benutzt wurde, und noch weiß keiner etwas über die Todesursachen der Bestatteten, von denen die meisten zwischen 35 und 45 Jahre alt waren. Nur so viel ist sicher, das Gräberfeld stand im Zusammenhang mit einer Siedlung. Ob es die Siedlung ist, deren Reste die Archäologen in der Nähe ebenfalls entdeckt haben, weiß man noch nicht, auch wird sich wohl nie feststellen lassen, ob zwischen Ober- und Unterboihingen, die ersten Ober- beziehungsweise Unterboihinger begraben liegen. Stoff genug für mindestens zwei Doktorarbeiten bietet das Gräberfeld allemal. Denn nun gilt es auch herauszufinden, welche Toten verwandt waren und wie der soziale Rang der Bestatteten war .

Auch an dieser Grabungsstelle ist es keine Ausnahme, dass Überreste aus etlichen Epochen der Menschheitsgeschichte im Boden zu finden sind. Menschen der Jungsteinzeit und Bronzezeit, Kelten, Römer und Germanen haben nacheinander auf dem fruchtbaren Land gesiedelt. „Wenn die Böden gut sind, dann kommen die Menschen immer wieder“, erklärt Inga Kretschmer.

Das Landesdenkmalamt hat nicht viel Aufhebens gemacht um die Grabung. Der Grund ist einleuchtend, man will keine Raubgräber haben. Auch wenn Raubgrabungen mit empfindlichen Strafen belegt werden, gebe es immer noch genügend Leute, die mit Metallsuchgeräten durch die Landschaft zögen. Der Wert ihrer Funde sei gleich null, aber die Zerstörung, die sie hinterließen, immens.

Wer sich wirklich für Archäologie interessiert, der rennt bei den Denkmalschützern offene Türen ein. Auch an dieser Grabung war immer ein Team von ehrenamtlichen Helfern anwesend, so dass an guten Tagen bis zu 13 Forscher vor Ort waren.

Es war der Kampfmittelbeseitigungsdienst, der das erste Schwert fand, und den Bodenschatz an das Landesdenkmalamt weitermeldete. Routinemäßig hatte der Dienst das Baufeld des ICE nach Fliegerbomben und Granaten abgesucht und dabei das Metall entdeckt. Dass sich danach ein derart großes und reich ausgestattetes Gräberfeld fand, hätte Inga Kretschmer zuerst nicht gedacht. Nachdem die Grabung abgeschlossen ist, werden im nächsten Schritt die Funde restauriert. Doch dann wird Inga Kretschmer bereits an einer anderen Grabung sein, um die Besiedlung Baden-Württembergs zu erforschen.