Der Immobilienunternehmer Harald Panzer und der Fellbacher Wengerter Markus Heid sind dabei, ein Traditionsweingut in Kitzingen zu neuem Leben zu erwecken. Jetzt wird der erste Jahrgang von Gut Wilhelmsberg präsentiert.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Fellbach/Kitzingen - Wenn der Fellbacher Wengerter Markus Heid seinen Kunden an diesem Sonntag den Jahrgang 2018 präsentiert, wird er zwar gespannt sein, wie die aktuelle Kollektion bei den Weinfreunden ankommt. Von Nervosität kann trotz der zwischen 12 und 18 Uhr eintrudelnden Gäste keine Rede sein. Schließlich weiß der 51-Jährige, was er als Weinmacher kann und was die Kundschaft vom kleinen Prädikatsweingut in der Cannstatter Straße erwartet.

 

Wein macht Markus Heid nämlich neuerdings nicht nur in Fellbach

Eine Woche später sieht das vielleicht ein wenig anders aus. Denn am kommenden Samstag betritt der Fellbacher kurz hinter Würzburg weinbauliches Neuland. In Kitzingen im Frankenland steht nicht nur die Premiere des ersten eigenen Sekts für das Weingut Wilhelmsberg an. Die für einen exklusiven Kreis geladener Gäste gedachte Vorstellung der aktuellen Weine soll auch einen Fingerzeig liefern, wohin sich das traditionsreiche Haus unter der neuen Regie entwickeln könnte: Wein macht Markus Heid nämlich neuerdings nicht nur in Fellbach, sondern auch im fränkischen Bocksbeutel-Biotop. Und der muss der bisher halbtrockene Lieblichkeit gewöhnten Kundschaft am Mainufer erst mal schmackhaft gemacht werden.

Foto: privat

Wie es dazu kommt, dass Markus Heid weinbaulich in die Ferne schweift, ist eigentlich schnell erzählt. Eines schönen Tages kam der Immobilienunternehmer Harald Panzer auf ihn zu. „Mir ist ein Weingut in Franken angeboten worden“, sprach der Chef der Wohninvest zu dem Wengerter, „fahr doch mal mit und schau Dir das an“. Es dauerte dann noch ein wenig, bis ein Termin gefunden war, auf jeden Fall brauste das Fellbacher Duo irgendwann über die A 81 nach Kitzingen.

1906 wurde das neue Betriebsgebäude eingeweiht

Ziel der Reise war das altehrwürdige Weingut Wilhelm Meuschel, ein 1845 gegründeter Traditionsbetrieb, bei der schon Reichskanzler Otto von Bismarck in der Kundenliste stand. Fränkische Sortenklassiker wie Bacchus und Domina standen hoch im Kurs in der Weinwelt, der König von Bayern schwor ebenso auf den Meuschel-Wein aus Kitzingen wie der Fürst von Sachsen. 1906 wurde das neue Betriebsgebäude eingeweiht, Jugendstil, und logistisch geschickt direkt am Bahnhof errichtet. Es gibt nicht nur historische Fenster, sondern auch zwei jeweils 800 Quadratmeter große Gewölbekeller in Doppelstock-Bauweise und eine Traubenannahme, die einer mittelgroßen Weingärtnergenossenschaft wohl auch heute noch reichen würde. „Mir ist buchstäblich die Kinnlade heruntergeklappt“, berichtet Markus Heid von der ersten Besichtigung des ehemaligen Renommierbetriebs vor gut zwei Jahren. Dass Wilhelm Meuschel in der Weinwelt einst eine große Nummer war, belegen schon die Schifffahrtskarten bis in die USA, eine Art maritimer Lieferschein.

Eine private Sammlung von sage und schreibe 600 alten Kaffeekannen war auch mit im Paket

Und auf den Wilhelmsberg, einer sieben Hektar großen Vorzeigelage am Südhang eines Main-Seitentals, hat der Traditionsbetrieb nach wie vor ein Monopol. Außer Meuschel hat da niemand auch nur einen Rebstock.

Gut, die Rebstöcke gehören jetzt nicht mehr den beiden ohne eigene Nachkommen gebliebenen Brüdern, sondern Harald Panzer. Der hat sich den Betrieb und die Weinberge gesichert, eine private Sammlung von sage und schreibe 600 alten Kaffeekannen war auch mit im Paket. Und natürlich die 90 000 Liter Rebensaft vom Jahrgang 2018, die in der Übergangszeit unter dem Begriff „Manufaktur Wilhelmsberg“ auf den Markt kommen sollen. Die annähernd 1,2 Millionen Euro, die der Immobilienunternehmer für die Kellerei gezahlt haben soll, sind wohl nicht nur ein Schnäppchenpreis, sondern vermutlich auch gut angelegtes Geld – wenn es mit dem Weingut doch nichts wird, lässt sich mit einem Industrieareal in Bahnhofsnähe auch sonst was machen.

Für die Produkte braucht es eine neue Vermarktungsstruktur

Erst mal allerdings geht’s um den Wein und den Versuch, ein angekratztes Image wieder zu einer erfolgreichen Marke zu machen. Der Schwung der Gründerzeit, der wirtschaftliche Erfolg der Meuschel-Sippe im weltweiten Weingeschäft überdauerte nicht. Nach 1945 war die einst so stolz gepflegte Handelsmarke finanziell am Ende, der zum Erliegen gekommene Verkauf erholte sich auch in Wirtschaftswunderzeiten nicht. Zumal die Franken den Fehler machten, möglichst viel, möglichst billig und möglichst lieblich zu produzieren – die deutsche Krankheit im Weinbau hinterließ auch am Bocksbeutel ihre Spuren. Vom einstigen Glanz war nichts mehr zu spüren, man kam über die Runden. Das eigentümliche Signet für die Meuschel-Handelsmarke, eine über der Weltkugel lauernde Spinne, stand bald nicht mehr nur fürs internationale Netzwerk, sondern auch für den Muff eines aus der Zeit gefallenen Traditionsbetriebs. Das soll sich nun ändern, die Rebstöcke werden auf Riesling, Silvaner und Spätburgunder umveredelt, bereits jetzt ist das Weingut als Biobetrieb zertifiziert.

Der Fellbacher Wengerter ist der Geschäftsführer in der künftig unter dem Titel Gut Wilhelmsberg laufenden Kellerei

Für die Produkte braucht es eine neue Vermarktungsstruktur. „Es wird keine feinherben Weine geben und keine Literflasche für 3,68 Euro“, sagt Markus Heid. Der Fellbacher Wengerter ist der Geschäftsführer in der künftig unter dem Titel Gut Wilhelmsberg laufenden Kellerei, die bestockte Fläche soll in den nächsten Jahren auf 15 bis 20 Hektar wachsen. Etwa alle zwei Wochen ist Heid in Franken, trotz seiner Erfahrung gab es Probleme mit Pilzkrankheiten. „Obwohl Franken trockener ist, haben wir Lehrgeld bezahlt“, räumt er ein.

Als Betriebsleiter ist Lukas Herrmann (Foto mit Markus Heid) angestellt, ein Weinbauingenieur, Anfang 30. Er stammt aus Heidelberg, war lange in Neuseeland und ist laut Markus Heid „der typische Kellermensch“. Und wenn der Fellbacher vom „nötigen Lernprozess“ spricht, meint er nicht nur den jungen Kollegen, sondern auch sich selbst. Ausgerechnet Heid ist ja einer, der auch im eigenen Weingut nicht vom Schreibtisch aus agiert, sondern am liebsten körperlich anpackt. Wenn seine Finger blau sind, ist das vom aus der Abfüllanlage tropfenden Rotwein, nicht von der Tinte. Den Betrieb im Frankenland sieht er trotzdem als Chance, ein ganz neues Kapitel aufzuschlagen. „Es ist schon witzig: Ein Badener und ein Württemberger machen jetzt Wein in Franken“, sagt Markus Heid.