Weniger FSME-Fälle im Land Zecken: Rätselhafter Rückgang bei Infektionen

Eine Hyalomma-Zecke auf einem Cent-Stück Foto: dpa/Fabian Sommer

Die Zahl der FSME-Infizierten in Baden-Württemberg ist zwar gesunken, doch Risiken bleiben. Die Parasiten sind nach Expertenangaben länger und früher aktiv. Zudem drohen neue Gefahren durch eingeschleppte Zeckenarten wie Hyalomma.

Gesundheit für Menschen in Stuttgart: Bettina Hartmann (ina)

Stuttgart - Die Zahl der durch Zeckenstiche übertragenen Erkrankungen mit Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist in Baden-Württemberg gesunken – von 272 Fällen im Jahr 2018 auf 157 im Vorjahr. Trotzdem gibt es keine Entwarnung. Die Parasiten sind nach Erkenntnissen von Forschern inzwischen bis zu zwei Monate länger aktiv als noch vor 20 Jahren. Sie breiten sich in Gebiete aus, wo sie früher nicht vorkamen. Zudem gibt es noch nicht genügend Erkenntnisse über Gefahren, die durch eingeschleppte Zeckenarten wie Hyalomma drohen.

 

Wie viele FSME-Erkrankungen gab es 2019?

Bundesweit sank die Zahl von 607 Erkrankungen im Jahr 2018 auf 462 Fälle im Vorjahr. Das liegt nach Angaben von Wissenschaftlern aber vor allem daran, dass die Zahlen in Baden-Württemberg drastisch zurückgegangen sind: von 272 im Jahr 2018 auf 157 Fälle im Jahr 2019. In Bayern gab es 24 Fälle weniger als 2018. „In den anderen Bundesländern sind die FSME-Zahlen gleich geblieben“, teilte Gerhard Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München am Montag an der Universität Hohenheim in Stuttgart mit.

Wie lässt sich der Rückgang erklären?

Ganz genau wissen das die Experten noch nicht. „Die Zeckenaktivität jedenfalls war 2019 so hoch wie im Jahr 2018“, sagte Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass Klimaveränderungen eine Rolle spielen. Der Gemeine Holzbock, die Zeckenart, die in Deutschland der häufigste Überträger des FSME-Erregers ist, möge vermutlich keine langen Trockenperioden, ergänzte der Mikrobiologe Gerhard Dobler. Auch das FSME-Virus komme wohl mit Hitze nicht zurecht. „Zecken, die wir in etwa 300 bis 400 Meter hoch liegenden Gebieten finden, tragen das Virus kaum noch in sich“, so Dobler. Inzwischen seien hauptsächlich Zecken in Regionen auf 400 bis 600 Metern befallen. Die Gefahrengebiete verschieben sich somit zunehmend.

Wo sind die Risikogebiete?

Der Süden – und somit auch Baden-Württemberg – bleibt Hochrisikogebiet. „Baden-Württemberg ist mit seinen zunehmend milden Wintern zu einem Paradies für Zecken geworden“, warnte am Montag auch der Naturschutzbund Deutschland. Denn: „Ungewöhnlich warme Frühlingstemperaturen von bis zu 20 Grad lassen Frühblüher sprießen und Zecken mobil werden.“ Mit der Zeckenwanderung verschieben sich aber die sogenannten Hotspots, also die Regionen, in denen FSME-Erkrankungen gehäuft vorkommen. Die Konsequenz laut Dobler: „Wir müssen damit rechnen, dass FSME überall auftritt.“ Sofern die Bedingungen stimmten, könne sich der Erreger im ganzen Bundesgebiet etablieren.

Verändert sich auch die Zeitspanne, in der Zecken aktiv sind?

Ja. Die Parasiten sind nach Erkenntnissen der Forscher inzwischen bis zu zwei Monate länger aktiv als noch vor 20 Jahren. Einst kamen sie zwar pünktlich mit dem Frühjahr, meist im April, und waren noch mal im September aktiv. „Doch die Zeckensaison hat sich gut drei Wochen nach vorne verschoben“, erklärte der Zeckenexperte Dobler. „Teils sind die Blutsauger auch im Hochsommer und sogar bis Weihnachten aktiv.“

Welche Zeckenarten kommen in Deutschland vor?

Am häufigsten und bekanntesten ist der Gemeine Holzbock. Er kann verschiedene Krankheitserreger übertragen, vor allem Borreliose und FSME. Inzwischen haben sich aber auch andere Arten ausgebreitet, etwa die Auwaldzecke und die Schafzecke, die ursprünglich aus Ungarn, Südfrankreich und Italien stammen. „Beide Arten sind inzwischen in Gebieten verbreitet, wo wir das bisher nicht vermutet hatten“, sagte die Zeckenexpertin Ute Mackenstedt, die das Fachgebiet Parasitologie an der Uni Hohenheim leitet. Sie hatte im vergangenen Sommer mit der Meldung über Tropenzecken der Gattung Hyalomma als mögliche neue Quelle für gefährliche Infektionen Aufsehen erregt.

Woher kommt Hyalomma?

Die Zecken, die an kleine Spinnen erinnern und auch vergleichsweise schnell krabbeln können, sind eigentlich in Afrika, Asien und Südeuropa heimisch, zeigen sich aber zunehmend auch in Deutschland. In ihrem eigentlichen Verbreitungsgebiet ist Hyalomma dafür bekannt, den Erreger des sogenannten Krim-Kongo- Hämorrhagischen Fiebers, des Arabisch-Hämorrhagischen Fiebers und einer Form des Zeckenfleckfiebers zu übertragen. Die Experten aus Hohenheim warnen, dass exotische Zeckenarten mit Zugvögeln nach Deutschland eingeschleppt werden, Wirtstiere oder den Menschen befallen und auch hier überwintern können.

Wie reagiert die Forschung darauf?

Nach den ersten Funden der Hyalomma-Zecke und der Braunen Hundezecke in Deutschland hatte Mackenstedt vor knapp einem Jahr dazu aufgerufen, verdächtige Zecken einzusenden. Insgesamt wurden nach ihren Angaben bisher rund 3500 Exemplare untersucht, darunter auch Dutzende Hyalomma-Zecken. Und die Forscherin konnte nun Entwarnung gegeben, vorerst zumindest: „Das Krim-Kongo-Hämorrhagische Fieber und das Arabisch-Hämorrhagische Fieber wurde bisher nicht nachgewiesen.“

Soll man weiter Zecken einsenden?

Ja, aber nur auffällige – und zwar per Foto oder als ganzes Tier. Entweder an Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt unter poststelle@rps.bwl.de oder postalisch an Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg, Nordbahnhofstraße 135, 70191 Stuttgart. Oder an die Uni Hohenheim unter tropenzecken@uni-hohenheim.de bzw. an Ute Mackenstedt, Emil-Wolff-Straße 34, 70599 Stuttgart.

Wie kann man sich schützen?

Da die FSME im schlimmsten Fall tödlich enden kann, empfiehlt sich nach Angaben von Experten auf jeden Fall eine Impfung. Der Schutz ist vor allem für Menschen in Risikogebieten wichtig, denn die Krankheit lässt sich nicht wirksam behandeln. Bundesweit sind bisher nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung geimpft. Zum Vergleich: In Österreich sind es laut Experten 80 Prozent. Zeckenstiche kann man zum Teil auch durch Kleidung wie lange Hosen vermeiden. Zudem sollte man nicht durchs Unterholz und hohe Wiesen gehen, sondern auf festen Wegen bleiben.

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