Aus Frankreich und Deutschland kommen rund 95 000 Menschen zur Arbeit in die Nordwestschweiz – nach dem Schweizer Referendum gegen die „Masseneinwanderung“ zum Teil mit gemischten Gefühlen.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Südbaden - Das Schweizer Wahlvolk hat am 9. Februar mehrheitlich für die Initiative der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) gestimmt, wonach die „Masseneinwanderung“ gestoppt werden müsse. Das knappe Ja hat auch diejenigen Arbeitnehmer verunsichert, die in der Schweiz arbeiten, aber nicht Schweizer werden wollen. Die Arbeitsagenturen gehen davon aus, dass aus Frankreich und Deutschland rund 95 000 Menschen zur Arbeit in die Nordwestschweiz kommen – die meisten kommen aus Südbaden, einige auch aus der Pfalz. Aus den Kreisen Lörrach und Waldshut pendeln rund 40 000 Menschen in die Kantone Basel-Land und –Stadt, Aargau, Zürich und Solothurn.  

 

Weil – fast – die gleiche Sprache gesprochen wird, sind deutsche Arbeitskräfte nicht nur in der chemischen Industrie, sondern auch im Gesundheitswesen und an Schulen und Universitäten längs des Rheingrabens seit Jahrzehnten Normalität. Doch auf einmal hat sich etwas verändert. „Das war ein Einschnitt. Wir fühlen uns nicht mehr willkommen“, berichtet Rita Tanner (Name geändert) aus Staufen im Breisgau. Seit 16 Jahren arbeitet sie in der Schweiz, zuerst bei einer Unternehmensberatung, dann an einer Hochschule. Dort lehrt sie Betriebsökonomie. Unter Beobachtung empfindet sie sich schon lange, aber jetzt sei es offen ausgesprochen. „Sie wollen uns eigentlich nicht“, findet sie. Am Tag nach der Abstimmung hat die deutsche Bäckereiverkäuferin ihr zugeflüstert: „Wir müssen aufpassen, was wir reden.“ Vor der Abstimmung habe es in einigen Medien ein regelrechtes „Deutschenbashing“ gegeben.   Als ob die Deutschen den Schweizern die Arbeitsplätze wegnähmen. „Es geht doch kaum ein Schweizer Volks- oder Betriebswirtschaftler an die Hochschulen, die gehen in die lukrativeren Jobs bei Banken und Unternehmen.“

Rita Tanner findet: „Früher war es schöner.“ Die Atmosphäre sei gelassener gewesen, auch wenn die Arbeit intensiv war. „Aber jetzt gab so seltsame Bemerkungen: Hat man euch noch reingelassen? Dabei fühlt man sich nicht gut.“ Es habe auch einige gegeben, die beteuerten, nicht dafür gestimmt zu haben. Rita Tanner glaubt nicht allen. „Es herrscht schon eine latent fremdenfeindliche Stimmung: Als Touristen dürft ihr kommen. Zum Arbeiten nicht.“

Das Ergebnis wäre heute ein anderes, sagt der Personalchef

In den Städten ist das Referendum mehrheitlich abgelehnt worden, hoch in den Alpen wurde es angenommen.   „Wenn man heute die Abstimmung wiederholen würde, ginge sie andersherum aus“, davon ist Rudolf Kast überzeugt. Der frühere Personalchef der Waldkircher Sick AG ist heute selbstständiger Personalberater und hat viel mit der Schweiz und mit Führungskräften zu tun, die in der Schweiz arbeiten. Und Führungskräfte in der Schweiz arbeiten nach Kasts Beobachtung zwar auch mit klassischen Mitteln, also klarer Zielvorgabe und hohem Leistungsanspruch. „Aber viel stärker auch mit Vertrauen, Respekt und Wertschätzung. Mitarbeiter würden mit Begeisterung und persönlichem Vorbild mitgenommen. Führung wird so ganz persönlich vorgelebt.“   Die international angesehensten Managementmodelle sind in der Schweiz entwickelt worden – an der Universität St. Gallen und an einer Reihe von Instituten, die sich selbstständig gemacht haben. „Die Wertschätzung erlangt man in der Schweiz als Ausländer allerdings nur, wenn man sich dem calvinistischen, puritanischen Arbeitsethos der Schweizer angleicht“, betont Kast. Nur wer mit Tugenden wie Ehrbarkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sauberkeit und Anstrengung umzugehen weiß, kann mit Schweizern auskommen.

Es sind eigentlich die typischen deutschen Tugenden – aber die Schweizer haben noch etwas, was Deutschen oft abgeht: „Bescheidenheit, Höflichkeit, Verbindlichkeit, Kompromissbereitschaft und eine fast schon asiatisch anmutende Sorge, dass der andere das Gesicht verlieren könnte.“ So formuliert es der deutsche Journalist Wolfgang Koydl, 23 Jahre lang Schweiz-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ in seinem Buch „Die Besserkönner“.   „Zurückhaltung, das fällt uns Deutschen manchmal schwer“, gesteht Personalberater Kast ein. „Nicht nur im Ausland.“ Seiner Ansicht nach täten deutsche Unternehmen gut daran, sich beim Thema „Wertschätzung“ die Schweizern zum Vorbild zu nehmen. Die Herausforderung, Fachkräfte zu finden und zu binden, werde an dieser Frage entschieden. „Sonst wird es eine Abstimmung mit den Füßen geben.“  

Die Pendelei ist für einen Elektrotechniker das kleinere Übel

Die gibt es bereits: „Ich arbeit‘ lieber in der Schweiz als hier“, sagt Harald Kopf (Name geändert) aus Niederschopfheim in der Ortenau. Der Elektrotechniker ist spezialisiert auf den Betrieb von Druckmaschinen und hat von einer Zeitungsdruckerei in Offenburg zu einer nach Basel gewechselt. Für ein Drittel Lohn mehr. „Aber das ist nicht das Entscheidende“, sagt der 45-Jährige. Die Offenburger wollten ihn wieder zurückholen, aber er hat abgelehnt. „Da bin ich irgendeiner, den man ständig anmotzt und antreibt. Das brauch ich nicht.“   Kopf bleibt in Basel und fährt jetzt schon fünf Jahre lang die Woche über hin und am Wochenende zurück zur Familie. Bei der Arbeit gehe es „sehr straight zu.“ Aber bei seinem Schweizer Arbeitgeber kennt ihn nicht nur der Kollege nebenan, sondern auch der Chef – „mit Namen“. Und was er tut, wird geschätzt und gelobt.

Kopf nimmt in Kauf, dass sein Mehrverdienst durch Fahrtkosten, eine kleine Wohnung als Stützpunkt und die hohen Preise für Lebensmittel fast wieder aufgebraucht wird. Ins Wirtshaus geht er deshalb selten, es kommt auch kaum einer der Schweizer Kollegen mit. So höflich und kooperativ sie am Arbeitsplatz sind, so distanziert bleiben sie gegenüber dem Deutschen in der Freizeit. „Letzten Endes bleibt man doch ein Fremder“, meint Kopf.