Grün-Schwarz im Land macht wenig Lust auf Schwarz-Grün nach der Bundestagswahl im Bund. Ein Kommentar von StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Niemand mag nach der Bundestagswahl erneut die große Koalition regieren sehen; dies schon aus staatspolitischen Gründen. Was passiert, wenn sich zwei Volksparteien an der Macht abzehren, ist in Österreich zu sehen. Auch wäre es zu begrüßen, wenn im Bundestag wieder eine potente Opposition aufträte.

 

Nach Lage der Dinge wird sich die Kanzlerin zwischen Grünen und FDP entscheiden können, vielleicht muss sie auch auf beide zurückgreifen. Das interessiert aber fast niemanden in dieser Republik, die nur darauf bedacht erscheint, die Kanzlerin im Amt zu halten. Angela Merkel wird – zumal in den Medien – kaum mehr kritisiert, allenfalls interpretiert. Gegen Schwarz-Gelb sprechen indes die unguten Erfahrungen aus dem vorerst letzten derartigen Bündnis, das 2013 mit dem Rauswurf der FDP aus dem Bundestag endete. Auch weckt die Fixierung der FDP auf ihren Vorsitzenden Christian Lindner Erinnerungen an die schrillen Guido-Westerwelle-Wahlkämpfe. Lindner kandidierte dieses Jahr für den Landtag in Nordrhein-Westfalen mit der Ansage, im Herbst in den Bundestag wechseln zu wollen. Das verrät mangelnden Respekt vor den Wählern, zeigt aber auch: Gutes Personal ist rar in der FDP.

Wille zur Macht und Mangel an Ideen

Doch es gibt ja noch die Grünen. Merkel, umrankt von etwas Grün – das scheint die Wunschkonstellation des bürgerlichen Mainstreams zu sein. Indes machen die Erfahrungen mit der grün-schwarzen Modellvariante im Südwesten wenig Lust auf Schwarz-Grün in Berlin. Die in der Kretschmann-Koalition versammelten Grünen und Christdemokraten vereint der Wille zur Macht und der Mangel an Ideen. Wo entsteht Neues, Überraschendes, über den Stuttgarter Talkessel Hinausweisendes?

Der Ministerpräsident ist absorbiert von dem Willen, die Mehrheitsfähigkeit der Grünen im Südwesten zu sichern. Bei so viel Mitte leidet das Profil. Und Winfried Kretschmanns Koalitionsfreunde von der CDU leben noch immer von dem Esprit, den Lothar Späth einst verströmte. Das Schmiermittel für das Funktionieren der Koalition ist das viele Geld in der Landeskasse. Doch in schwierigen, strittigen Fragen wirkt die Koalition wie schockgefroren – zum Beispiel bei den Schulstrukturen. Selbst Kleinstgrundschulen sollen jetzt unsinnigerweise erhalten bleiben.

Grundton selbstzufriedener Bräsigkeit

Beim Thema der Stunde – der Zukunft des Autos – liegt der Gedanke fern, in der vermeintlichen Mobilitätshauptstadt Stuttgart entstünden Blaupausen für eine innovative, bundesweit vorbildliche Verkehrspolitik. Stattdessen kollabieren sowohl der öffentliche Nahverkehr wie auch der Straßenverkehr. Kaum zu glauben, dass die Grünen schon seit Jahren in Stadt und Land regieren. Im Stuttgarter Alltag muss man nur einen VVS-Ticketautomaten aufsuchen, um am hilfesuchenden Blick auswärtiger Besucher abzulesen, wo das Elend beginnt, aber noch lange nicht endet.

Wo findet die vernetzte Mobilität bitte schön statt, von der besonders die Grünen nun schon seit Jahren raunen wie von der Morgensonne, die das Dunkel vertreibt? Wenn es gut läuft für Kretschmann, reüssiert er mit seinem Autogipfel-Format, das helfen soll, die öffentliche Infrastruktur mit dem Umstieg der Autoindustrie auf neue Antriebstechniken zu synchronisieren. Das Gelingen ist offen, aber es ist immerhin ein Ansatz.

Das Land und vor allem seine Hauptstadt durchzieht ein Grundton selbstzufriedener Bräsigkeit. Die Grünen und ein saturiertes Bürgertum bilden ein Justemilieu, das sich selbst genügt und nicht gestört werden will. Nur so ist es – nebenbei bemerkt – erklärbar, weshalb etwa noch immer keine öffentlich strukturierte Debatte über die Bebauung des Stuttgart-21-Areals angelaufen ist. Das grenzt schon an Politikverweigerung. Interessante Impulse für Berlin sind aus dem Südwesten derzeit leider nicht erkennbar.