Als Spitzenkandidat für 2016 wäre Hans-Ulrich Rülke, der Fraktionschef der FDP, nicht unumstritten. Denn mit seinen oftmals sehr pointierten Äußerungen hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Er selbst zögert – noch fehlt die Alternative.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der StZ-Bericht über Hans-Ulrich Rülke und seinen Männerfreund Stefan Mappus gefiel der ehemaligen Justizministerin so gut, dass sie ihn umgehend über Facebook verbreitete. Möglichst viele Liberale sollten lesen, wie sich der FDP-Fraktionschef und der frühere CDU-Ministerpräsident ausweislich neuer Mails zu Regierungszeiten die Bälle zugespielt haben. Einen Kommentar dazu konnte sich Corinna Werwigk-Hertneck nicht verkneifen: „Ich wünsche mir, dass sich die FDP BW klug für die nächsten Landtagswahlen aufstellt.“ Nämlich möglichst nicht mit Rülke als Frontmannn, konnte das nur heißen.

 

Natürlich weiß auch Werwigk-Hertneck, dass derzeit alles für den 52-jährigen Pforzheimer spricht. Weit und breit ist schließlich niemand in Sicht, der ihm die Spitzenkandidatur für 2016 ernsthaft streitig machen wollte. Doch ihre Wortmeldung sollte wohl die bisher nur punktuell glimmende Diskussion befeuern, ob Rülke wirklich der Richtige ist, um die FDP in ihrem Stammland wieder in den Landtag zu bringen. Seit dem Absturz auf 4,1 Prozent bei der Europawahl wächst allenthalben die Nervosität. Scheiterte die Partei in Baden-Württemberg an der Fünf-Prozent-Hürde, wäre das für sie auch bundesweit ein Fanal.

Die Spitzenkandidatur ist für die FDP noch kein Thema

Offiziell ist die Spitzenkandidatur indes noch gar kein Thema für die Liberalen. Während alles auf die CDU schaut, die das Duell zwischen Thomas Strobl und Guido Wolf werbewirksam inszeniert, herrscht bei ihnen Funkstille. In diesem Jahr wolle man sich inhaltlich für die Wahl rüsten, die Personalfrage werde erst Anfang 2015 aufgerufen, sagte Rülke jüngst. Gebe es mehrere Bewerber, entschieden die Mitglieder, ansonsten ein Parteitag. Erst „zu gegebener Zeit“ werde er verraten, „ob ich mich zur Verfügung stelle“; Näheres lasse er sich „auch durch die Hintertür“ nicht entlocken.

Solches Zieren wirkt kokett angesichts des Ehrgeizes, der Rülke aus allen Poren dringt. Sein ganzes Streben sei darauf ausgerichtet, 2016 Vize-Ministerpräsident zu werden, sagen Weggefährten; dem ordne er alles unter. Diese Zielstrebigkeit unterscheidet ihn vom FDP-Landeschef Michael Theurer, der Vertrauten zufolge oft „selber nicht weiß, was er will“. Als ein Zeitungsbericht kürzlich den Eindruck erweckte, der Europaabgeordnete aus Horb liebäugele selbst mit dem Spitzenposten für die Landtagswahl, ruderte er im Doppelinterview mit Rülke umgehend zurück: Das Brüsseler Mandat werde er während der vollen Legislaturperiode ausfüllen. Ansonsten sei alles offen – „ob Mann ob Frau, ob Doppelspitze oder alleine“.

Rülkes Stärken sind unbestritten

Hans-Ulrich Rülke arbeitet derweil erkennbar an sich und seinem Ruf. Seine Stärken werden in der Partei allgemein anerkannt: Mit scharfem Verstand und scharfer Zunge hat er sich im Landtag den Ruf des „heimlichen Oppositionsführers“ erworben. Wo andere schwadronieren, bringt er die Dinge auf den Punkt. Vor allem dank ihm wird die gerade noch siebenköpfige Abgeordnetenriege wahrgenommen. Doch liberale Strategen fragen sich, ob die permanente Attacke auf Grün-Rot und den populären Ministerpräsidenten bei ihrer Klientel wirklich ankommt. Bei der Wahl gehe es auch um Sympathiewerte, ein „Krawallkurs“ zahle sich da nicht aus. „Brüllke“ lautet ein Spitzname des Fraktionschefs seit einem seltsamen Schreianfall am Rednerpult.

Rülke kennt diese Vorbehalte – und reagiert darauf. Seine Wortwahl hat er seit der Wahl zum Vizeparteichef erkennbar gemäßigt, zumindest phasenweise. Es gebe inzwischen ganze Tage, „an denen er niemanden beleidigt“, das sei doch ein Fortschritt, witzelte unlängst ein FDP-Funktionär. Um zum Sympathieträger zu werden, bedürfe es freilich noch mehr. Dem Vorwurf der Fundamental-Opposition begegnete der Fraktionschef diese Woche mit einer Fleißarbeit. Seine Leute ließ er auflisten, wie sich die liberalen Parlamentarier bei den 84 Gesetzesbeschlüssen seit 2011 verhalten haben: 44 hätten sie abgelehnt, aber immerhin 40 mitgetragen - das zeige, wie konstruktiv man agiere. In eigenen Initiativen habe die FDP sogar Punkte aus dem grün-roten Koalitionsvertrag wie die Direktwahl der Landräte oder ein Transparenzgesetz aufgegriffen. Leider erfolglos.

Gelbe, Grüne und Rote machen gemeinsame Sache: das ist bis jetzt in der Tat schwer vorstellbar. Zu sehr wurde und wird die FDP immer noch als Juniorpartner der CDU wahrgenommen. Mit welcher Koalitionsaussage – falls überhaupt – man 2016 antreten will, ist indes offen. Manche Strategen warnen davor, sich alleine auf die Union festzulegen; man müsse auch zu anderen Bündnissen bereit sein. Vor drei Jahren habe man für die allzu enge Anlehnung an die CDU gebüßt, meint auch Theurer.

In den EnBW-Ausschüssen reagiert die FDP recht defensiv

Doch sein Vize Rülke steht wie kein anderer Spitzenliberaler für schwarz-gelb, auch wegen der engen Verbindung zu Mappus. Bis heute, wird beklagt, habe die FDP ihre Rolle und die ihres Vizepremiers Ulrich Goll in dessen Regierung nicht wirklich aufgearbeitet. „Erschreckend“ nannten es jüngst die Jungen Liberalen, dass auch die Landtags-FDP die Verstaatlichung der EnBW im Ergebnis nach wie vor gut finde.

In den beiden Untersuchungsausschüssen zur Ära Mappus agierten die FDP-Obleute – obwohl neu im Landtag und eigentlich unbelastet – merkwürdig defensiv. Andreas Glück fiel im EnBW-Gremium vor allem durch sein Lamentieren auf, nun müsse es aber aber mal gut sein mit der Aufklärung. Timm Kern streicht im Ausschuss zum Polizeieinsatz im Schlossgarten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit heraus, wieder hätten sich keine Beweise für eine politische Einflussnahme ergeben – auch bei solchen Zeugen, die gar nichts mit dem Einsatz zu tun hatten.

Über Monate hinweg hatte die StZ Kern immer wieder gefragt, wie er die Mail-Korrespondenz zwischen Mappus und Rülke in den Ausschussakten bewerte. Seine Antwort: kenne man nicht, finde man nicht. Erst als der Ausschussvorsitzende die Existenz der Mails öffentlich bestätigte, in denen Mappus gegenüber Rülke im Herbst 2010 politische Coups ankündigte, wurde die Fraktion doch noch fündig. Kommentieren wolle Kern sie aber nicht, hieß es: „Sie haben nach seiner Einschätzung keine politische Relevanz.“