Wer wird Oberbürgermeister in Konstanz? Mit dem Lastenrad auf Wahlkampftour

In der Fahrradstadt Konstanz funktioniert ein Wahlkampf nicht ohne Lastenfahrrad. Das weiß auch Amtsinhaber Uli Burchardt. Foto: LGM

Bei der Oberbürgermeisterwahl in Konstanz gilt der Stuttgarter SÖS-Stadtrat Luigi Pantisano als der schärfste Verfolger von Amtsinhaber Uli Burchardt.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Konstanz - In Zeiten, in denen große Diskussionsveranstaltungen nur als Livestream denkbar sind, gewinnt für wackere Wahlkämpfer der gute alte Wochenmarkt wieder an Bedeutung. An diesem Morgen auf dem Konstanzer Stephansplatz sind sie alle da: Vier Männer wollen zum Oberbürgermeister der 86 000-Einwohner-Stadt am Bodensee gewählt werden. Ein Fünfter ist es bereits und möchte es bleiben. Uli Burchardt (CDU), bundesweit als schwarz-grüner Klima-OB bekannt, kämpft um eine zweite Amtszeit. An diesem Sonntag ist der erste Wahlgang.

 

Doch an Burchardts Wahlstand ist die Stimmung eher mau. Der Kandidat musste schon weg – der Dienst ruft –, und sein Wahlkampfmanager Jan Mittelstaedt lugt ein wenig säuerlich über seinen Bayern-München-Mundschutz. Direkt hinter einem Altglascontainer musste er das schwarz-weiß-blaue Lastenfahrrad mit den Werbebroschüren parken. Von dort sieht er, dass es bei Luigi Pantisano zwei Marktgänge weiter deutlich reger zugeht. Der Stuttgarter Stadtrat, der in Konstanz fünf Jahre lang als Quartiersmanager arbeitete, gilt als schärfster Konkurrent – und zwar nicht nur, weil er Wahlwerbung auf dem Datingportal Tinder macht. Auch er hat ein Lastenfahrrad dabei.

Die Grünen setzen auf einen Roten

„Fragen Sie ihn doch mal, wovon er eigentlich lebt“, sagt Mittelstaedt verächtlich. Dass der Werbeprofi, der eine eigene Agentur betreibt, ungefragt über einen Mitbewerber lästert, zeigt die Nervosität, die mittlerweile in Burchardts Lager herrscht. Es ist aber auch ein Hinweis auf einen pikanten Farbwechsel. In der Landeshauptstadt vertritt Pantisano die Linksgruppierung „Stuttgart ökologisch sozial“ (SÖS) und arbeitet im Wahlkreisbüro des Linken-Bundeschefs Bernd Riexinger.

In Konstanz wird der 40-Jährige maßgeblich von den Grünen unterstützt. Alles ist grün: die Wahlkämpfer, die Flyer, das Lastenfahrrad. Die größte Gemeinderatsfraktion will unbedingt zurück an die Rathausspitze. Rot-Grün statt Schwarz-Grün lautet jetzt die Devise. Denn in der Stadt, in der die Grünen 1996 deutschlandweit erstmals einen OB-Sessel eroberten, ließ sich kein eigener Kandidat finden.

Erfolgreicher war da die SPD, die mit dem Konstanzer Anwalt Andreas Hennemann – mit rotem Lastenfahrrad – ins Rennen geht. Und auch ein ganz schwarzes Lastenrad steht auf dem Markt. Andreas Matt, ein Unternehmensberater und ehemaliger Geschäftsführer des Wirtschaftsrats der CDU in Sachsen-Anhalt, wirbt mit seiner Wirtschaftskompetenz. Nur einer ist nicht mit dem Radl da: Jury Martin, ein Ingenieur mit langen Haaren und sozialen Ambitionen, geht lieber zu Fuß. Etliche unterstellen, er nehme die Kandidatur ohnehin nicht so ernst.

Frontalangriff im Rezo-Stil

„Wie links ist Pantisano wirklich?“ Diese Frage stellt inzwischen auch die Lokalzeitung „Südkurier“. Für viele Konstanzer kommt das spät. 15 000 haben ihre Briefwahl schon erledigt. Pantisano kommt bei vielen gut an. Auf dem Wochenmarkt ist er ständig im Gespräch. Es geht um Wohnen, Verkehr, Klimaschutz. Nicht nur Jüngere bleiben stehen. Auch eine Rentnerin, die im Rollator Einkäufe vorbeischiebt, lässt sich Wahlwerbung zustecken. Doch sie werde ihn wählen, bekennt die 88-Jährige. „Herr Burchardt hat nicht so viel bewirkt, wie er versprochen hat.“

Manche urteilen noch härter. Der OB habe es in den vergangenen acht Jahren schlicht vermasselt, behaupten zwei Erstwähler, die auf Youtube im Rezo-Stil eine verheerende Bilanz ziehen und bereits 6000-mal geklickt wurden. Wohnungen entstünden nur für Bonzen, das Auto habe weiterhin Vorfahrt, im Klimaschutz sei nichts erreicht worden. Burchardt, der stets enge Jeans trägt, schafft allerdings das, woran seine Bundespartei bei der Rezo-Debatte kläglich scheiterte. Er kontert den Frontalangriff geschickt mit eigenen Videos. Mit Jugendlichen versteht es der bei klassischen Repräsentationsaufgaben oft linkisch wirkende Rathauschef durchaus zu kommunizieren.

Abkühlung nach dem Klimanotstand

Die Aktivisten von Fridays for Future überzeugt er allerdings nicht mehr. Nach der bundesweit beachteten Ausrufung des Klimanotstands im Mai 2019 hatten sie mit dem OB sogar gemeinsam eine Pressekonferenz ausgerichtet. „Wir sind von ihm persönlich enttäuscht“, sagt jetzt der 18-jährige Student Jannis Krüßmann. Beim Klimaschutz gebe es in Konstanz viele Papiere, aber keine Erfolge. Der Tiefpunkt war eine Abstimmung kurz vor der Sommerpause. Da hatte der Gemeinderat mit einer Stimme Mehrheit – darunter die des OB – das Ziel einer Klimaneutralität bis 2030 verworfen.

„Ich bin der Einzige, der hier auch über das Geld redet“, sagt Burchardt bei einer der wenigen Podiumsdiskussionen. Nachhaltigkeit ist für den 49-Jährigen ein Lebensthema, und das gilt für ihn eben nicht nur beim Klimaschutz. Zahlreiche Konstanzer Persönlichkeiten wissen das zu schätzen und unterstützen seine Kampagne. Seit er die CDU-Kreistagsfraktion führt, steht auch die eigene Partei, die vor acht Jahren noch fremdelte, fest hinter ihm. Für einen Sieg im ersten Wahlgang müsste Burchardt allerdings zweistellig zulegen. 2012 erzielte er bei der Stichwahl nur 39,1 Prozent. Kein OB im Land amtiert mit weniger Zustimmung.

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