Die öffentlich-rechtlichen Sender schwimmen in Geld. Die Umstellung auf die Haushaltsabgabe beschert ihnen Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro. Ob ARD und ZDF deshalb zur werbefreien Zone werden sollten, daran scheiden sich die Geister.

Stuttgart - Auch wenn Werbezeitverkäufer ihren Kunden das Gegenteil versichern: Fernseh- und Radiowerbung geht vielen Menschen auf die Nerven, erst recht, wenn sie aufdringlich, dilettantisch oder beides zugleich ist. Während die Spots bei RTL & Co. ebenso wie beim Privatradio der Preis sind, den man für die kostenlose Nutzung entrichten muss, sieht das bei ARD und ZDF anders aus. Sie bekommen insgesamt rund acht Milliarden Euro an Gebühren: Warum sollten sie also auf die vergleichsweise überschaubaren Werbeeinnahmen, die bei der ARD etwa im Jahr 2014 gerade mal 1,8 Prozent der Gesamterträge ausmachten, angewiesen sein? Und auch das ZDF, so heißt es bei den Privatsendern, könnte ohne seine Werbeeinnahmen von 111 Millionen Euro im laufenden Jahr auskommen, wenn es sich die jährlichen rund 50 Millionen Euro Lizenzgebühr für die Champions League sparen würde.

 

Sportliche Großereignisse machen ohnehin einen ordentlichen Posten in den Budgets von ARD und ZDF aus. Die ARD hat in der kommenden Gebührenperiode von 2017 bis 2020 die Rekordsumme von 1,163 Milliarden Euro für Sportübertragungen veranschlagt und beantragt. Diese Zahl umfasst unter anderem geplante Lizenzen für die Olympischen Spiele sowie die Bundesligarechte für die „Sportschau“. Außerdem wollen ARD und ZDF bei den Übertragungen der Qualifikationsspiele für die EM 2020 und die WM 2022 mitbieten. Hier ist allerdings mit heftigem Widerstand von RTL zu rechnen, zumal der Privatsender mit den Quali-Spielen zur EM 2016 gerade ausgezeichnete Erfahrungen gemacht hat. Kein Wunder, dass der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) der Meinung ist, ARD und ZDF sollten auf Werbung verzichten und attraktive Sportereignisse den Privatsendern überlassen.

Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro

Jüngst hat die Diskussion neue Nahrung bekommen: Als sich abzeichnete, dass die Umstellung der Rundfunkgebühr auf die Haushaltsabgabe Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro bringen würde, verlangte der Interessenverband der Privatsender, die Werbung bei ARD und ZDF zu reduzieren. Die Politik hat allerdings zunächst die monatliche Abgabe von 17,98 Euro auf 17,50 Euro gesenkt. Die restlichen Mehreinnahmen kommen auch keineswegs, wie gern unterstellt wird, den Sendern zugute, sondern werden auf Sparkonten zwischengelagert. Sie sollen verwendet werden, um die Rahmenbedingungen des Rundfunkbeitrags zu korrigieren.

Allerdings denken auch die Ministerpräsidenten schon länger über eine Reduzierung der Werbung bei ARD und ZDF und den Verzicht auf Sponsoring („Diese Sendung wird präsentiert von . . .“) nach. Im Gegenzug müsste allerdings die zum 1. April gesenkte Haushaltsabgabe wieder angehoben werden – so steht es in den Grundsätzen der Rundfunkfinanzierung. In der laufenden Gebührenperiode von 2013 bis 2016 erwartet die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für die ARD Werbeeinnahmen in Höhe von 1,45 Milliarden Euro; davon entfallen gut 820 Millionen auf den Hörfunk und gut 620 Millionen aufs Fernsehen. Nach Abzug der Eigenkosten und der Ausgaben für das Werberahmenprogramm bleiben Erträge in Höhe von gut 420 Millionen Euro übrig. Beim ZDF geht die KEF von Erträgen in Höhe von gut 515 Millionen aus. Durch das Sponsoring kommen bei der ARD 86,2 Millionen und beim ZDF noch 52 Millionen Euro hinzu.

Privatsender hoffen auf neue Werbekunden

Fielen alle diese Gelder weg, müsste der Rundfunkbeitrag laut KEF um 1,25 Euro pro Monat erhöht werden. Damit wären die Zuschauer jedoch nicht einverstanden: 77 Prozent wären laut Umfrage nicht bereit, für weniger Fernsehwerbung höhere Gebühren zu zahlen. 50 Prozent plädieren sogar für eine Ausweitung der TV-Werbung auf die Zeit nach 20 Uhr, wenn der Beitrag dadurch sinken würde. 67 Prozent akzeptieren die Werbung, wenn dadurch besondere Sportrechte für ARD und ZDF gesichert würden. Ohne Sponsoring, ergänzt eine ARD-Sprecherin, wäre die Wettbewerbsfähigkeit von ARD und ZDF bei Sportrechten „massiv eingeschränkt“.

Hintergrund des VPRT-Plädoyers für die öffentlich-rechtliche Werbefreiheit ist die Hoffnung, frei werdende Werbeerlöse würden den Privatsendern zugute kommen. Bei dieser Rechnung wird allerdings übersehen, dass viele Werbespots bei ARD und ZDF ältere Zuschauer ansprechen. Die Zielgruppe von RTL endet jedoch bei den 59-Jährigen, Sat 1 richtet sich an Menschen zwischen 14 und 49 Jahren, und Pro Sieben hätte am liebsten nur die ganz Jungen. Nach Ansicht eines ZDF-Sprechers würde es durch ein öffentlich-rechtliches Werbeverbot daher allenfalls „in geringem Maße zu einer Verschiebung von Werbebudgets hin zu kommerziellen Sendern kommen, da das öffentlich-rechtliche und das kommerzielle Sendersystem unterschiedliche Zielgruppen ansprechen.“ Die Zuschauer von ARD und ZDF seien markenbewusst und hätten im Schnitt einen höheren Bildungsgrad sowie ein höheres Einkommen.

Ohnehin lassen die Befürworter der Werbefreiheit gern außer acht, dass sich das Gebot auch aufs Radio beziehen würde. Während ARD und ZDF im ersten und im zweiten TV-Programm an Werktagen bis 20 Uhr jeweils insgesamt nur zwanzig Werbeminuten ausstrahlen dürfen, ist die Regelung bei den Hörfunksendern großzügiger. Dem SWR sind zum Beispiel insgesamt 177 Minuten Werbung pro Tag erlaubt. Marketingexperten weisen zudem darauf hin, dass ein Reklameverzicht das Werbemedium Radio erheblich beschädigen würde. Auch die KEF befürchtet für diesen Fall einen „nachhaltigen Bedeutungsverlust des gesamten Hörfunks“.

Pro von Ariane Holzhausen: Qualität statt Quote

Alle Fehleinschätzungen der Verantwortlichen von ARD und ZDF gipfeln in einer ihrer Stellungnahmen zum Verzicht auf Werbung: „Bestimmte hochwertige Zielgruppen sind für die Werbewirtschaft über die privaten Programme nur schwer oder nicht erreichbar (z.B. Entscheider, Akademiker, Kultur- und Politikinteressierte, Wirtschaftsaffine etc.) – (...) das bedeutet aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eine gravierende Einschränkung für die deutsche Wirtschaft“.

Bei den Öffentlich-Rechtlichen geht man also davon aus, eine Art Premium-Zielgruppe zu bedienen. Dabei schaffen es die beiden Sender nicht einmal, ein anständiges Programm, sagen wir einmal, für dich und mich zu machen. Und die Sorge um ihren Einfluss auf die deutsche Wirtschaft sollte auch nicht die ihre sein. Im Gegenteil.

Der Werbeverzicht würde zu der Unabhängigkeit führen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erst legitimiert. Die Zielgruppe wäre klar definiert und nicht mehr nur werberelevant, statt auf die Quote zu schielen könnte man den Blick konzentriert auf die Qualität des Programms richten, das nicht nur von Akademikern gezahlt wird, sondern dank der Haushaltsabgabe von jedem.

Da sich das erlaubte Maß an Reklame sowieso nur noch auf ein paar beliebte Werbeinseln – Wetter und Karneval, was Entscheider eben gerne gucken – verteilt, könnte man sich das gleich sparen. Der Gewinn wäre immens: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte ein Alleinstellungsmerkmal, ein klares Profil, das nicht zuletzt auch im Kampf mit den Privaten, den Streamingdiensten und dem Internet dienlich wäre. Im Idealfall macht ein Werbeverzicht aus ARD und ZDF ein deutsches BBC. Wenn die Grundversorgung am Ende so sehr stimmen würde wie bei der British Broadcast Company, würde der Zuschauer den Ausgleich für den Werbeausfall bestimmt gerne zahlen. Sollte die Haushaltsabgabe und die damit verbundenen Mehreinnahmen dafür noch nicht reichen, müsste er dafür im Monat auf eine Butterbrezel verzichten.

Kontra von Tim Schleider: Tanz, „Almased“-Mädle, tanz!

Mir kommt der immer wieder hochkochende Streit um die Werbung in unseren öffentlich-rechtlichen TV- und Radioprogramme wie ein Stellvertreterkrieg vor. Verständnis habe ich für die Position von RTL und Sat 1 – aus ihrer Sicht sind die Werbezeiten in den Programmen von ARD und ZDF eine ungerechte Konkurrenz. Wer aber als Politiker oder Zuschauer über die Werbung bei den Öffentlich-Rechtlichen klagt, will damit ja zumeist nur seine persönliche Unzufriedenheit mit dem Programm im Ersten und Zweiten zu Protokoll geben. Irgendwie wird ein geheimnisvoller Zusammenhang gezogen zwischen „Da läuft nur noch Mist in der Kiste“ einerseits und den letzten Werbeminuten, die ARD und ZDF nach vielerlei einschränkenden Regulierungen überhaupt noch zur Verfügung haben.

Würde man den Öffentlich-Rechtlichen diese zusätzliche Einnahmen nehmen, ginge das aber ganz sicher nicht zu Lasten der Sport-Übertragungsrechte. Es würde auch kein einziges „Traumschiff“ weniger gedreht. Und auch die Haushaltsabgabe würde ganz sicher nicht zum Ausgleich entsprechend angehoben; kein Ministerpräsident würde sich mit einer derart unpopulären Entscheidung Wählerschelte einfangen wollen. Nein, der Rotstift würde in den Funkhäusern noch stärker dort angesetzt, wo er jetzt schon besonders stark regiert: bei den Qualitätsprogrammen von 3Sat, Phoenix und Arte, bei SWR 2 und Deutschlandfunk. Dort, wohin der vom Mainstream angeblich so genervte Zuschauer und Zuhörer schon jetzt jederzeit wechseln könnte – und wo übrigens rund um die Uhr herrliche Reklamefreiheit herrscht.

Nein, auch ohne „Almased“ und „Obi“ vor der „Tagesschau“ wird der ARD- und ZDF-Mainstream garantiert kein bisschen besser. Er ist genau so, wie er ist, weil Millionen Fernsehzuschauer ihn so am liebsten sehen (was das gleichzeitige Klagen darüber nicht ausschließt). Aber die Qualität in den kleinen Programmen würde es ohne Diätdrink kurz vor acht noch schwerer haben. Also: beweg dich, „Almased“-Mädle!