Werke von James Rizzi in Kornwestheim Volksfest im Schlaraffenland

So heiter wie auf den Bildern des 2011 verstorbenen Künstlers James Rizzi erlebt man New York selten. In Kornwestheim sind noch bis 2. September 700 dieser Werke zu sehen. Aber Vorsicht: Ansteckungsgefahr mit guter Laune.
Kornwestheim - Fröhliche, freundliche, lachende Menschen im verbissenen Gewühle der Großstadt zu finden, ist schon schwer genug. Auf den Bildern des New Yorker Künstlers James Rizzi aber lachen nicht nur die Menschen, sondern die – natürlich knallbunten – Häuser. Deren obere Etagen wachsen sich zu Gesichtern aus, die mit ansteckend guter Laune über all jene Autos, Menschen, Vögel, Katzen und Hunde hinweg strahlen, die da lustig durch die Straßen wimmeln, als sei gerade Volksfest im Schlaraffenland. Die häufigste soziale Interaktion auf Rizzi-Bildern neben dem Lachen? Der Kuss.
Wer diese Pop-Art, die zwischen Comic, Kinderzeichnung, Kinderbuchillustration und Karikatur umher schwebt, noch nicht kennt, kann bis 2. September im Kornwestheimer Kultur- und Kongresszentrum „Das K“ ausprobieren, ob der berühmte Gute-Laune-Effekt beim Betrachten von Rizzi-Bildern auch bei ihm auftritt. 700 Werke des 2011 im Alter von 61 Jahren verstorbenen Künstlers sind dort zu sehen, nicht nur Bilder, sondern auch Möbel und Besitztümer aus seinem New Yorker Apartment.
Misslaunige Kritiker
Dass einige Motive in minimaler Variation immer wieder auftauchen, wird man auch in dieser schön arrangierten, bislang nie von Besuchermassen im Selfie-Wahn überlaufenen Ausstellung bemerken. Manche Kritiker haben das Rizzi ebenso zum Vorwurf gemacht wie seine fröhliche Vermarktungstüchtigkeit. Da ist man dann mitten drin in der Wackligkeit von Kunstdebatten. Bei manchen Malern führt die Wiederholung der Motive gerne mal zum Lob, da habe jemand sein Thema gefunden und bleibe ihm treu. Und die kommerziell höchst erfolgreichen Maschen von Andy Warhol werden bis heute als geniale Reaktion auf eine durchkommerzialisierte Welt gewertet.
Die unterschiedlichen Maßstäbe haben wohl damit zu tun, dass manche Kritiker schlicht mit Rizzis guter Laune nichts anfangen können. Kunst hat leidensschwer zu sein, ersatzweise von dröhnender Monotonie – und mit dieser Haltung verträgt sich Rizzis Werk voller putziger Figuren und Stadtlandschaften wie der Fleckentferner mit dem Tintenklecks.
Die Nähe zu den Fratzen
Zwar sind konsequent an allen Wänden in Kornwestheim kleine Bilder auch in Kinderaugenhöhe gehängt, sodass die Kleinen ziemlich unabhängig von den Großen und sichtlich vergnügt ihre eigene Ausstellung erleben können. Aber dem offenen erwachsenen Blick zeigen Rizzis Bilder noch eine andere Seite. Die Gesichter sind gar nicht so weit weg von Fratzen, es bräuchte nicht viel, um aus dem Lachen ein Wut- oder Entsetzenskreischen zu machen. Und die Häuser mit ihren Gesichtern könnten schnell zu urbanen Dämonen werden, die Albträume durchspuken.
Rizzis Kunst unternimmt die bewusste Anstrengung, die Stadt einmal anders zu zeigen, als sie so leicht wahrnehm- und darstellbar ist. Jedes Rizzi-Bild enthält die Frage, ob der Blick, mit dem wir an die Welt herangehen, nicht viel zum Zustand der Welt beiträgt. Man kann hier eine Aufforderung herauslesen: Geh freundlich durch die Stadt, und Du wirst eine freundlichere Stadt als sonst erleben.
Ein paar Besonderheiten
Zu den Besonderheiten vieler Rizzi-Bilder gehört ein 3-D-Effekt, ein eher skurril-verschmitzter als illusionstechnisch penibler. Jedes Rizzi-Bild wird dabei zweimal gedruckt. Aus dem einen werden in Handarbeit die Personen, Tiere und Gegenstände ausgeschnitten, ganz wie Personen und Kulissen jener Papierfigurentheater, mit denen sich Kinder in vordigitalen Zeiten amüsierten. Diese Ausschnitte werden dann mit Hilfe kleiner, aufgeleimter Holzrähmchen in geringem Abstand genau über ihrem Pendant auf dem zweiten, noch vollständigen Bild platziert. Alle Arbeitsschritte und Werkzeuge kann man in der Kornwestheimer Ausstellung in Augenschein nehmen.
Die hat zusätzlich zu den Bildern auch noch Möbelstücke und Artefakte aus Rizzis New Yorker Wohnung zu bieten. Große Fototapeten zeigen, wie die Räume im Original aussahen. Und davor steht etwa der große Tisch, an dem Rizzi gearbeitet und Freunde bewirtet hat, und die Wurlitzer-Jukebox, aus der man, einziger Wermutstropfen, leider nicht mehr Ritchie Valens’ „La Bamba“, Dee Clarks „Raindrops“ und Bobby Days „Rockin’ Robin“ durch den Saal schmettern lassen kann.
Heiteres Ideal
Aus der Ferne mag diese posthume Zurschaustellung von einstiger Privatheit wie ein zwielichtiger Marketingtrick wirken, wie der Versuch, gerade auch jene zum Verkauf stehenden Grafiken, die nach Rizzis Tod gedruckt wurden, mit der Aura des Authentischen aufzuladen. Steht man vor den Fotos und zwischen den Möbeln, muss man diesen abfälligen Verdacht korrigieren.
Rizzi lebte mit und zwischen den eigenen Bildern und dem eigenen Merchandising, das sich dünkelfrei unter Plastikspielzeug und Scherzartikel gesellte. Die Wohnung als Museum des eigenen Schaffens, dieses Konzept hatte hier nichts Weihevolles. Rizzi fühlte sich wohl mit dem eigenen Werk und dem eigenen Erfolg, und er lud quasi jeden Gast ein, mit ihm zusammen die Grenze zwischen dem realen und dem rizzifizierten New York zu verwischen. In diesem Studio-Loft war sie völlig aufgehoben, ein echter Mensch lebte hier bereits im heiteren Ideal. Da scheint es eine naheliegende und schöne Idee, die Wohnung nach dem Tod ihres Bewohners auf Reisen zu schicken. Ein paar mehr Menschen, die von Rizzis Optimismus und Wohlwollen angesteckt werden, kann die Welt gut gebrauchen.
Ausstellung: Bis 2. September 2018 im Kornwestheimer Kultur- und Kongresszentrum „Das K“. Täglich von 10 bis 19 Uhr.
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