Lars von Trier ist unberechenbar und kompliziert. Dennoch wagt die Filmgalerie 451, den Regisseur in einer Werkschau greifbar zu machen.

Stuttgart - Den Ruf, ein unberechenbarer Querkopf zu sein, pflegt der dänische Filmregisseur Lars von Trier mit Hingabe. Aus Kalkül, vermuten manche, um im Gespräch zu bleiben. Mit seinen zum Hinauswurf führenden Witzeleien beim Filmfestival von Cannes, er sei eigentlich ein Nazi, hatte von Trier die Medienmaschine für Vorabberichte über seinen neuen Film „Melancholia“ aber schon genug angekurbelt.

 

Nun auch noch zu verkünden, er selbst möge dem am Donnerstag gestarteten „Melancholia“ gar nicht mehr, er finde den Film mittlerweile kitschig (wörtlich: „Schlagsahne mit Schlagsahne obendrauf!“), war wohl kaum ein kühler Versuch der Zuschauerlockung. Trier ist ein komplizierter Charakter.

Angst vor dem bereits Gemachten

Dazu gehört, dass der 1956 geborene Däne keinen seiner Filme lange mag, auch nicht „Melancholia“, eine Weltuntergangsgeschichte, die der deutschen Romantik huldigt und voller Zitate aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ steckt. Den „Ring“ hätte Trier vor ein paar Jahren in Bayreuth inszenieren sollen, kniff dann aber. Er fühle sich, gestand er, dem Werk nicht gewachsen.

Normalerweise aber scheint Trier weniger Angst vor dem zu haben, was er noch nie gemacht hat, als vor dem, was er schon einmal gemacht hat. Er ist dauernd auf der Suche nach Neuem, ihn langweilt gerade auch das, wofür er Lob bekommt. Man kann das kreative Unruhe nennen. Aber vielleicht ist es auch ein Ausdruck einer Depression.

Stilbrüche und Leiden

Marc Hug von der Stuttgarter Vorzeigevideothek Filmgalerie 451 versucht trotzdem, in einer umfangreichen, wenn auch nicht vollständigen Werkschau Lars von Trier greifbar zu machen. Im „Filmtheater 451“, seinem Videobeamer-Kino mit Bewirtung in der Türlenstraße, zeigt er von Mittwoch an bis zum Montag darauf täglich mehrere Trier-Filme in bunter Abfolge.

Darunter sind die Frühwerke „Element of Crime“ und „Europa“, die mit ihren Zitaten, Stilbrüchen und Innovationen gut vermitteln, dass hier einer an der Filmgeschichte leidet. Daran, dass so viel schon erzählt, so viele Bilder schon gefunden wurden, dass man sich immer ein wenig als Nachahmer und Zuspätkommender fühlen muss.

Alles andere als öde fanverzückt

Wie anregend diese Frustration aber auf Trier wirken konnte, zeigt seine TV-Serie „Hospital der Geister“. Hier mischt er nicht nur die Klischees von Krankenhausserie und Spukfilm auf, hier verstößt er besonders energisch gegen die Regeln der sanften Zuschauerführung. Wenn von der Erneuerung der Fernsehserien durch die großen US-Epen die Rede ist, müsste immer auch Triers „Hospital der Geister“ als europäisches Meisterstück genannt werden.

Zum ersten der beiden „Hospital-der-Geister“-Blöcke (Samstag, 15.10., 18 Uhr und Sonntag, 16.10., 18 Uhr) kommt eine Referentin ins Filmtheater 451, die an der Uni Hamburg lehrende Antje Flemming. Die geht in ihrem Buch „Lars von Trier – Goldene Herzen, geschundene Körper“ (Bertz und Fischer, 256 Seiten, 25 Euro) alles andere als öde fanverzückt ans Werk des Filmemachers heran. Flemming analysiert Triers Werke konsequent mit weiblichem Blick und unterstellt dem Filmemacher ein tief gestörtes Verhältnis zu Frauen.
Schade also, dass Lars von Trier nicht auch noch kommt. Der Abend mit Flemming könnte dann wieder viele Zitate für die Medienmaschine liefern.