Jäger retten in Stuttgart-Obertürkheim ein desorientiertes Jungtier. Jetzt hat der Nager ein neues Revier in Wernau.

Obertürkheim/Wernau - Als Roland Hafenrichter neulich kurz vor Mitternacht einen Anruf von der Polizei bekam, glaubte er zuerst an einen verspäteten Aprilscherz. Wenn ein Tier angefahren oder ein Reh von Hunden gerissen wird, wird der Jagdpächter aus Stuttgart-Rotenberg immer wieder um Hilfe gebeten. Doch was ihm die Polizeibeamtin am Telefon erzählte, konnte der erfahrene Jäger kaum glauben. „In der Johannisbeerstraße in Obertürkheim haben Bewohner einen Biber entdeckt“, bekam Hafenrichter zu hören. Geistesgegenwärtig packte der Rotenberger, der auch ein passionierter Angler ist, einen großen Kescher ein und eilte nach Obertürkheim.

 

Anwohner hatten gegen 23.30 Uhr die Polizei über das umherirrende Nagetier informiert. „Die Kollegen riefen die Tiernotrettung sowie die Wilhelma an. Nachdem beide nicht helfen konnten, haben sie den Jagdpächter informiert“, berichtet der Polizeisprecher Stephan Widmann. Eine gute Wahl, denn für Hafenrichter sind Deutschlands größte Nagetiere keine Unbekannten. „Ich war oft auf Angeltouren in Kanada. Biber schwammen dort oft am Ufer oder an unseren Booten vorbei“, sagt er. Dass sich in den Neckarvororten ein solcher Nager findet, mochte er jedoch zunächst kaum glauben.

Hafenrichters Zweifel waren allerdings schnell verflogen. Tatsächlich irrte ein Prachtexemplar mit dem typischen breiten Schwanz im Bereich der Augsburger- und Johannisbeerstraße umher. Was tun? Die Gefahr, dass das gestresste Tier auf der Suche nach einem geeigneten Lebensraum über die viel befahrene Augsburgerstraße läuft und überfahren wird, war den Tierrettern zu groß. Der Biber musste zu seiner eigenen Sicherheit in Gewahrsam genommen werden – kein einfaches Unterfangen. Die Nagetiere sind zwar eigentlich recht friedfertige Zeitgenossen. Wenn sie jedoch sich oder ihre Jungtiere verteidigen müssen, können sie durchaus auch wehrhaft sein. Und vor ihren Zähnen, mit denen sie gar stattliche Bäume „fällen“ können, sollte man sich tunlichst in Acht nehmen.

Roland Hafenrichter hatte allerdings das geeignete Utensil für den Biberfang im Kofferraum: „Einen Riesenkescher für den Lachsfang, den ich aus Kanada mitgebracht habe.“ Die Biberjagd mit Unterstützung einer Jagdkollegin war nach wenigen Minuten erfolgreich und der gewichtige Fang im Netz. Und danach? Der betonierte Neckar schien den Rettern ungeeignet, um den Biber dort wieder in die Freiheit zu entlassen. „Ein Anwohner machte uns auf eine leere Regentonne aufmerksam, in der wir den Biber zunächst unterbrachten. Mit dem Polizeifahrzeug ging es dann Neckar aufwärts“, erzählt Hafenrichter. Der Ausreißer bekam sozusagen eine Polizei-Eskorte zu den Wernauer Baggerseen. „Dort ließen wir ihn frei. Er ist dort schnell untergetaucht“, erzählt Hafenrichter. Die Baggerseen sind als Bibergebiet bekannt. Niels Hahn, der Biberbeauftragte des Regierungspräsidiums Stuttgart, hält es sogar für sehr wahrscheinlich, dass das „Obertürkheimer Findelkind“ sogar ursprünglich aus Wernau stammt. „Jetzt ist die Zeit, in der die erwachsen gewordenen Biber von ihren Eltern verstoßen werden und auf der Suche nach einem eigenen Revier auf Wanderschaft gehen“, erklärt Hahn. Flüsse wie der Neckar seien als Wandergebiete bekannt. Die Biber überwänden auf ihren nächtlichen Touren problemlos auch Schleusen und Wehre. „Leider kommen auf ihrer Tour auch viele Biber unter die Räder“, sagt Niels Hahn. Das drohte auch dem verirrten Tier in Obertürkheim – hätte Roland Hafenrichter nicht so beherzt eingegriffen.