Was sind schon sieben Minuten Mehrarbeit pro Werktag? In Stefano Massinis spannendem Sozialdrama diskutiert ein weiblicher Betriebsrat diesen Deal. Regie führt der Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier.

Stuttgart - Elf Frauen, elf Persönlichkeiten, elf Schicksale. Jedes Mitglied des Betriebsrats hat nachvollziehbare Argumente, das Angebot der neuen Firmeneigner anzunehmen. Hatten doch alle befürchtet, ihre Arbeit zu verlieren. Nur eine einzige, die Betriebsratsvorsitzende Blanca (mit pflichtbewusster Autorität: Magda Agudelo), warnt vor dem Deal. Warum? „Ich habe da so ein Bauchgefühl.“ Beim Rest ist die Erleichterung groß, dass Management und Investoren nur ein kleines Entgegenkommen einfordern. Das Anliegen dieser „Krawatten“, wie die Männerbosse bei den Arbeitnehmerinnen heißen: Die Pause soll von fünfzehn auf acht Minuten verkürzt werden, eine Arbeitszeitverlängerung von sieben Minuten also. Die erscheint der Mehrheit trügerisch harmlos, bis sich eine ans Rechnen macht und die anderen stutzig werden lässt.

 

Diese Konstellation, mit der Stefano Massinis Theaterstück „7 Minuten“ beginnt, erinnert nicht von ungefähr an „Die zwölf Geschworenen“. Der Intendant des Piccolo Teatro di Milano verweist selbst auf Reginald Roses Justizdrama von 1954, das mit Henry Fonda in der Hauptrolle auch fürs Kino verfilmt wurde. Rose habe „den Finger in die Wunde der amerikanischen Gesellschaft“ gelegt, merkt Massini an und ergänzt: „Im Abstand von sechzig Jahren muss der Finger hier in Europa in die Wunde der Arbeitswelt gelegt werden.“

Frauenpower ist kein westliches Privileg

Mit dezenten, aber wirkungsvollen Anpassungen an die aktuelle Nachrichtenlage – Massenentlassungen bei Siemens, Flüchtlinge als anspruchslose Arbeitskräfte, bei denen Firmen gültige Mindeststandards unterlaufen – haben der Regisseur Werner Schretzmeier und seine detailgenaue Ausstatterin Gudrun Schretzmeier das Stück des 1975 in Florenz geborenen Autors nun fürs Theaterhaus inszeniert.

Ethnisch divers geht es heute in den Fabriken zu. Dies findet seine Entsprechung im multikulturellen Ensemble. Alle elf Schauspielerinnen verkörpern ihre Figur nuanciert und unverkopft. Da gibt es die pragmatische Angestellte Sophie (Dahab Borke), die Blanca mit Zahlen zu Gewinn und Auftragslage zwar Argumente für deren Nein liefert, aber doch auf dem Pfad des geringsten Widerstands bleibt. Da gibt es die stichelnde Ingrid (Katja Schmidt-Oehm) und die eigenwillige Vorarbeiterin Naomi – die aus dem Kongo stammende Karmela Shako stattet sie mit verinnerlichtem Stolz und einem kölschen Akzent aus. Die Griechin Elektra (Katerina Papandreou) verschafft sich mit ungeschminkter Ehrlichkeit Respekt. Aus den Reihen des Publikums mischt sich Larissa Ivleva als Maria ins Geschehen und macht klar, dass auch die Zuschauer in den Fängen ihres Arbeitslebens stecken. Und der aus Syrien stammenden Eman Dwagy gelingt als Kurdin Samra ein kleiner Triumph. Erst seit 2015 in Deutschland, wehrt sich ihre Figur gegen Unterstellungen und führt vor, dass Frauenpower kein Privileg des Westens ist.

Durch das Changieren zwischen der Diskussion des zentralen Konflikts und dem Frotzeln unter Kolleginnen wird das im hyperrealistischen Sozialraum einer Textilfabrik angesiedelte Kammerspiel zum Mikrokosmos sozialer Zustände. Zugleich bildet sich eine Gesellschaft ab, die sich aus falsch verstandener Dankbarkeit, überhaupt in Lohn und Brot zu stehen, in die Defensive treiben lässt. Dabei wird jedes Mal, wenn lautes Maschinenrattern aus den Produktionshallen zu hören ist, klar, was jede Minute Mehrarbeit mit sich bringt. Umso unverständlicher, dass keine Betriebsrätin eine achtminütige Pause als absurd kurz und kaum zu nutzen entlarvt. Langsam, aber sicher zieht sich die Krawattenschlinge der Firmenlenker zu.

Dem Team um Werner Schretzmeier glückt mit „7 Minuten“ eine glaubwürdige und seelenvolle Parabel auf reale Zustände. Die Botschaft teilt sich dabei ganz ohne moralischen Impetus mit, werden doch die inneren Konflikte der Figuren deutlich und als echtes Dilemma begriffen.