Eine grün-schwarze Koalition im Land schafft auf Dauer nicht Stabilität, sondern Politikverdruss, kommentiert der StZ-Autor Reiner Ruf – und erklärt, warum das so ist.

Stuttgart - In einer Zeit, in der das Politikmodell Merkel in Berlin zum Auslaufmodell mutiert, erfährt es mit Grün-Schwarz in Baden-Württemberg eine neue Blüte. Unter dem Führungsduo Kretschmann-Strobl präsentiert sich die Regierungskoalition in Stuttgart als grün durchwirkte Groß-CDU, die den politischen Raum für sich beansprucht und der Konkurrenz die Luft zum Atmen nimmt. SPD und FDP erreichen als Oppositionsparteien auf Landesebene kaum die Wahrnehmungsschwelle, die AfD schafft dies nur auf die krawallige Tour.

 

Es ist die Totalität der Mitte. Als sich Grüne und Christdemokraten nach der Landtagswahl 2016 zusammenzwangen, machte Winfried Kretschmann aus der Not eine Tugend. Eher aus Versehen hatte er die SPD so klein regiert, dass sie ihm als Mehrheitsbeschaffer abhanden kam. Für das zunächst als schwierig imaginierte Bündnis mit der CDU (er-)fand er dann das Bild vom Stabilitätsanker. In schwerer See, so ging die Erzählung, bedürfe es einer sturmfesten Regierung. Nur eine solche könne sich des Ansturms der Rechtspopulisten erwehren, das Leuchtfeuer der Demokratie nähren und die Gesellschaft zusammenhalten.

Grün-Schwarz in sein Narkotikum für die Demokratie

Diese Rede führen der Ministerpräsident und sein Vize Thomas Strobl bis heute. Sie finden ein andächtiges Publikum. Es ist ja auch nicht verkehrt, in den Bundesländern solide Regierungen zu haben, wenn in Berlin plötzlich der Machtverzicht in Mode kommt. Doch für eine lebendige Demokratie ist Grün-Schwarz ein Narkotikum. Anders gesagt: Eine Mitte, die sich bis an die politischen Ränder ausbreitet, erstickt den Diskurs. Angela Merkel schob die CDU in einer Linksbewegung so weit in die Mitte der Gesellschaft hinein, dass am Ende niemand mehr wusste, wofür die Partei steht. Dafür wurde sie für (fast) alle wählbar – bis die Flüchtlingskrise kam. Kretschmann führte seine Grünen von links her in die Mitte. Sie sind jetzt ebenfalls für (fast) alle wählbar. Wer in der Wahlkabine bei den Grünen sein Kreuz setzt, muss nicht fürchten, dass ihm die Hand verdorrt oder ein Blitz vom Himmel fährt.

Geschrei und Verblödung

Die Demokratie lebt von und in der Auseinandersetzung divergierender Meinungen. Gegenwärtig aber hat es den Anschein, als gäbe es zu wenig zivilisierten Streit und zu viel Geschrei bei nachlassender Bindekraft von parlamentarischer Demokratie und verfassungsrechtlicher Normierung. Das politische Geschehen weist eine Tendenz zur Verrohung und zugleich zur spaßgetriebenen Banalisierung auf. Nötig wäre hingegen eine, vorbildhafte Streitkultur der politischen Akteure.

Aber das ist schwierig, wenn in Berlin die Kanzlerin einen von Umfragen inspirierten Populismus der Mitte praktiziert, der vorrangig der Machtabsicherung dient. Und wenn in den Bundesländern große Koalitionen wie Grün-Schwarz regieren, die alle Debatten ersticken. In der Landespolitik geht das schnell, weil man sinnvoll nur über das diskutieren kann, was man kennt. Und in den Ländern endet diese Kenntnis nicht selten mit dem Namen des jeweiligen Ministerpräsidenten.

Große, dicke, breite Koalitionen würgen den konstruktiven Streit ab. Streit innerhalb der Regierung aber ist auch keine Lösung. Das kommt bei den Wählern nicht gut an. Bei Grün-Schwarz jedenfalls herrscht Streitverbot. Zumal die Grünen sind da strikt, bei der CDU lästern sie schon über die „Kontrollfreaks“. Und wenn es doch mal kracht, dann bei Nebensachen. Bei wichtigen Fragen wie etwa der Schulstruktur herrscht Stillstand und Unentschiedenheit. Nur bei der – von den Grünen eingehegten – Verschärfung des Polizeirechts war eine Kontroverse zu erkennen, die etwas Neues schuf. Demokratie braucht aber Polarität, um Alternativen kenntlich zu machen. Grün-Schwarz ist auf Dauer zu monopolar, um der Demokratie gut zu tun.