Im Westen wieder was Neues: Die zweite Ausgabe des Stadtteilmagazins „Streunen und Schlendern“ lädt zum Flanieren ein. Wir haben uns mit den Machern Anna Ruza und Stoff Büttner im Augustin getroffen.

Stuttgart - Ein ganz normaler Montagabend im Augustin an der Schwabstraße. Einige Stammgäste debattieren bei reichlich Bier und Zigaretten die Weltlage oder den VfB, die Spielautomaten werden genutzt, das Radio plärrt Gemischtes. Wirt Kostas wie immer mittendrin, versorgt seine Gäste, leiht hier ein Ohr, trägt dort etwas zur Diskussion bei. Eckkneipenalltag.

 

 

Sieht man sich diesen integren Laden so an, käme man nicht auf die Idee, in die weit verbreitete Moritat auf den Tod der Pinte einzustimmen. Zumal viele Läden in der Stadt längst nicht mehr nur für dieses Bild aus vergilbten Vorhängen, gescheiterten Existenzen und einem Herrengedeck nach dem anderen stehen. Sieht man auch an den beiden Gestalten, die den Laden jetzt betreten: Stoff Büttner und Anna Ruza sind Stammgäste hier, begrüßen Kostas mit einer herzlichen Umarmung. Anna verschwindet in der Küche, um in Töpfen zu rühren, Stoff zapft sich erst mal ein Bier. „Ich hab hier früher regelmäßig aufgelegt“, meint er erklärend. „Bei der letzten EM haben Anna und ich zudem hinter der Theke ausgeholfen, als es hier mal so richtig brannte.“

 

Späti in Sicht?

 

Heute fühlen sie sich hier so Zuhause wie das außerhalb der eigenen vier Wände nur möglich ist, lieben das Augustin und seine hemdsärmelige Geradlinigkeit ebenso wie den Westen. Dass zwei wie sie eines Tages auf die Idee kommen würden, ein Stadtteilmagazin wie „Streunen und Schlendern“ zu realisieren, lag da eigentlich auf der Hand. Stoff betreibt das I love Sushi, hat mit Kollegen den Applaus Gin auf den Markt gebracht und ist Teil der Brightzeit-Agentur, seine Partnerin Anna ist gelernte Kunsttherapeutin, arbeitet heute als freie Grafikerin und Illustratorin. Gemeinsam betreiben sie auch den Kunstautomat, nächstes Jahr übernehmen sie zudem das MuK in der Johannesstraße. „Wir nennen den Laden dann allerdings Kiosko“, betont Stoff schmunzelnd. Könnte das der erste Stuttgarter Späti werden?

 

Gestalter und Anpacker

 

Dass wir uns ausgerechnet hier im Augustin treffen, um über „Streunen und Schlendern“ und den Westen zu sprechen, ist naheliegend. Läden wie dieser sind es, die den Westen für die beiden so besonders machen. „Hier ist unsere Heimat, also war es für uns naheliegend, mal etwas zu diesem Thema zu machen“, meint Anna, als wäre es das Normalste auf der Welt. Die zwei fanden es schade, dass der Westen kein schönes, wertiges und hübsch aufbereitetes Stadtteilmagazin hatte, also haben sie kurzerhand selbst eins konzipiert, anstatt immer nur zu lamentieren. „Wir sind Menschen, die gerne mitgestalten, die Sachen einfach machen und den Stadtteil aktiv prägen“, erklärt Anna. „Wir sehen uns als Macher, Zusammenbringer. Wenn wir eine Idee haben, klopfen wir sie sofort ab, wie wir sie umsetzen können – und machen es dann auch.“

 

Die erste Ausgabe erschien im Sommer, rechtzeitig zum 60. Geburtstag des Stadtteils, und fand großen Anklang, die nächste Ausgabe ist ab sofort erhältlich. Ihr Ziel: Den Westen als das abbilden, was er ist: Ein bunter Kiez. „Viele Menschen kennen nur das, was sich um ihre Wohnung oder den Weg zur Arbeit abbildet“, umreißt Stoff den Anspruch des Magazins. „Wir wollen die Leute ermutigen, sich in ihrem Stadtteil rumzutreiben und neue Sachen zu entdecken.“

 

Bötchen bauen

 

Ins Heftle kommt nur das, wohinter die beiden auch wirklich stehen können, neben Adressen und Kurztexten sind auch einige Touren dabei, die selbst Ortskundigen den Westen auf eine ganz andere Art und Weise näherbringen sollen. Shopping, Kultur, Friseure, Gastronomie oder schräge Originale wie das Augustin finden ihren Weg in das ansprechend gestaltete Heftchen im Taschenformat, auch eine Anleitung zum Bötchen bauen und fahren lassen auf dem Feuersee.

 

Der Lohn: Sogar den Bezirksbeirat West konnte man schon damit überzeugen. Geplant ist bereits ein Ableger für den Süden, aber wenn es nach Anna und Stoff geht, ist der Himmel die Grenze: „Wir denken immer groß“, lacht Stoff. „Im Grunde könnte dieses Konzept in allen Stadtteilen funktionieren – und darüber hinaus.“ Zunächst widmet man sich aber dem Westen, immerhin eines der größten zusammenhängenden Wohngebiete Deutschlands. „Wir lieben es hier und treiben uns super gern vor der eigenen Haustür rum.“ Verständlich: Die beiden wohnen im Westen, sowohl der Sushi-Laden als auch die Brightzeit sind um die Ecke. „Wir sind sehr gern im Lumen oder in der Metzgerei – oder eben hier, im Augustin.“

 

Kostas serviert neues Bier, die Spielautomaten blinken. Orte wie diese machen es für Anna und Stoff aus, allerdings gehören sie nicht zu der Sorte Quartiersschützer, die jeder Neueröffnung argwöhnisch gegenüberstehen. „Wir freuen uns über jeden neuen Impuls, über jeden Synergieeffekt“, betont Anna, die früher das Outer Rim am Vogelsang geleitet hat. Immerhin: In dieser Hinsicht tut sich was, am Paradebeispiel Bismarckplatz kann man sehen, wie sehr gute Gastronomie einen Plan zum Leben erwecken kann. „Wir vertragen noch deutlich mehr solcher Läden“, wirft Stoff sogleich ein. „Es gibt noch eine Menge Luft nach oben.“ Dennoch steht schon jetzt fest: An Material für viele weitere „Streunen & Schlendern“-Hefte wird es nicht mangeln.

 

„Streunen und Schlendern“ erscheint am 1. Dezember und liegt in vielen Lokalitäten aus. Online ist es unter www.streunenundschlendern.de abrufbar.