Marius Müller-Westernhagen hat bei seiner intimen Clubtournee im Stuttgarter Theaterhaus Station gemacht, um sein neues Album vorzustellen – und dabei verzichtet er sogar darauf ein Best-of-Repertoire abzufeuern.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Leicht hat es Marius Müller-Westernhagen nicht. Stets muss er sich im Kreise der deutschen Musiker der übermächtigen Konkurrenz geschlagen geben, sei es in Sachen lyrischer Tiefe (den Einstürzenden Neubauten oder Tocotronic etwa), musikalischem Format (Kraftwerk, The Notwist, um nur zwei zu nennen) oder internationalem Bekanntheitsgrad (Modern Talking, Tokio Hotel).

 

Umgekehrt hat er es natürlich doch sehr leicht. Fußballstadien hat er mit seiner Musik schon gefüllt, aus allem Gröbsten dürfte er also raus sein; und wenn ihn die Medien einmal behelligen, dann allenfalls angesichts eines neuen Poussierverhältnisses.

Letzteres betrifft Frau Lindiwe Suttle, „eine unglaubliche Singer-/Songwriterin, die zuletzt etwas durch die Klatschpresse gegangen ist“, wie Westernhagen süffisant bei seinem Auftritt am Mittwochabend im natürlich seit langem ausverkauften großen Saal des Theaterhauses sagte.

Natürlich ausverkauft? Da kommt man ins Grübeln. Logisch ist diese Halle bis zum Anschlag gefüllt, es passen ja auch nur knapp zweitausend Leute hinein. Aber wenn Westernhagen, wie zu vermuten steht, nach der in zwei Wochen anstehenden Veröffentlichung seines neuen Albums im, sagen wir einmal: Herbst auf eine große Tournee geht – wo würde er dann in Stuttgart spielen? Im Stadion? Gewiss nicht, dafür hat er seinen Zenit längst überschritten. In der immerhin bis zu fünfzehntausend Besucher fassenden Schleyerhalle? Denkbar, aber auch nicht wirklich wahrscheinlich; nur achttausend Besucher sind schließlich bei seinem letzten Stuttgarter Gastspiel vor bald vier Jahren in diese Arena gekommen. Die Porsche-Arena würde es wohl sein – oder ist auch sie mittlerweile zu groß? Es wird sich vielleicht bald weisen.

Notorisch sanfte Rockballaden

Zu hören, wo dann auch immer, wird es dann jedenfalls die Lieder aus seinem neuen Album „Alphatier“ geben, das in Gänze vorzuführen er jetzt auf der Tournee und mithin auch im Theaterhaus die Pläsier hatte. Es sei „nicht weniger als die Quintessenz seiner Karriere“, fabuliert beziehungsweise deliriert die „Produktinformation“ auf der Website des Internetkaufhauses Amazon. Denn das wird, bei aller Kritik, die man an Marius Müller-Westernhagen üben kann, den Songs dieses Albums gewiss nicht gerecht. Tatsächlich handelt es sich nämlich um zwölf leidlich unspektakuläre Rocksongs in seltsam gleichem Duktus im ewig gleichen Viervierteltakt, inklusive der notorischen sanften Rockballade sowie einer dann doch sehr guten (sich freilich nur auf der kommenden „Limited Premium Edition“ des Albums befindenden) Nummer, dem Stück „Hast du vergessen“.

Das alles weiß man, weil er dieses Album im Theaterhaus Stück für Stück in der Originalreihenfolge gespielt hat. Das hat natürlich gleich doppelten Charme: einerseits wegen des erfrischend die Branchenkonventionen sprengenden Einfalls, erst einmal auf Tournee zu gehen und dann das neue Album zu veröffentlichen; andererseits angesichts der liebenswerten Schrulligkeit, auf jegliches Abfeuern eines Best-of-Repertoires bei diesem Konzert zu verzichten. . .

. . . aber das dann eben doch nicht so ganz. Zur Zugabe kommen die alten Gassenhauer „Sexy“, „Mit 18“ und zum Kehraus „Johnny Walker“, fast wirkt es, als sei dies eine Geste der Entschädigung an das Publikum für vorangegangene Mühsal. Und überhaupt: das Zugabenritual wird von Westernhagen ad absurdum geführt, indem er nach dem Ende des regulären Konzerts, ohne erst den schütteren Schlussapplaus des ohnehin recht reservierten Publikums abzuwarten, verkündet, dass es gleich eine Zugabe geben werde – woraufhin das Publikum in beklemmender Stille artig in der Halle verharrt.

Er will nicht auf den Alteisenstapel

Zuvor gibt es eine relativ ungeschmeidige Vorstellung der Band, in der neben der von Westerhagen fleißig umtänzelten Backgroundsängerin Lindiwe Suttle unter anderem der nicht sonderlich bekannte Schlagzeuger Aaron Comess („einer der besten fünf Trommler der Welt“, so Westernhagen) eingeführt wird. Westernhagen gibt zudem noch die Aufforderung „Ihr dürft ruhig tanzen“ aus, woraufhin sich allerdings nicht jeder prompt entschließt, die Multifunktionsjacke lässig um die Hüften zu schlingen und kräftig abzurocken.

„Marius Müller-Westernhagen, lehrte dieser Abend, hat den Zenit seiner Karriere zwar längst überschritten, ist aber noch immer bei Stimme, hat noch immer ein paar anständige Nummern im Repertoire und will sich noch lange nicht auf dem Alteisenstapel ablegen lassen“, könnte man folglich als Quintessenz festhalten – aber genau dieser Satz stand dummerweise schon vor vier Jahren am Ende des Artikels über seinen Auftritt in Stuttgart. Lassen wir also den Meister selber sprechen: „Alles definiert sich heutzutage nur noch über Erfolg und nicht mehr über Qualität“, sagt Westernhagen an einer Stelle seines Konzerts im Theaterhaus schließlich auch noch.

Dem ist nichts hinzuzufügen.