Die neue HBO-Serie „Westworld“ ist Science-Fiction und Western, Psychodrama und Shakespeare-Tragödie, Videospielfantasie, Philosophiestunde und Sozialexperiment – also für alle etwas, die dem Ende des Fantasyepos „Game Of Thrones“ entgegenbangen.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Ein Zug fährt durch die Prärielandschaft. Ein Mann, der sich einen schwarzen Stetson aufgesetzt hat, verrät seinem Gegenüber, dass er Stammgast in diesem Vergnügungspark für Western-Rollenspieler ist. Das erste Mal sei er noch mit seiner Familie gekommen, habe Fische gefangen und in den Bergen nach Gold gesucht. „Das nächste Mal bin ich allein angereist und habe mich sofort für die böse Seite entschieden“, schwärmt er. „Das waren die besten zwei Wochen meines Lebens!“

 

Willkommen in Westworld, einem Disneyland der Zukunft, das Träume wahr werden lässt – auch die geheimsten. Und in dieser Spielwelt, die von Androiden bevölkert ist, die als Cowboy, Indianer, Revolverheld oder Bardame den zahlenden Gästen zur Verfügung stehen, sind es vor allem genau diese schlimmsten Fantasien, die grausamsten Obsessionen, die ungehemmt ausgelebt werden. Von all den Geschichten, die sich die Macher des Vergnügungsparks für ihre Besucher ausgedacht haben, sind die die beliebtesten, in denen die Gäste die Westworld-Androiden foltern, vergewaltigen oder ermorden dürfen. Doch was ist, wenn diese künstliche Menschen doch eine Seele haben, wenn sie irgendwann einmal nicht mehr die Opferrolle in diesen pervers-dekadenten Spaß spielen wollen?

„Westworld“ zeigt die menschliche Seele als finsteren Ort

Michael Crichtons Film „Westworld“ (1973) nahm die „Terminator“-Filme vorweg und war eine Art Vorabversion von Crichtons „Jurassic Park“-Filmen. Jonathan Nolan, der unter anderem für seinen Bruder Christopher die Drehbücher für „Memento“ oder „The Dark Knight“ geschrieben hat, hat nun für den US-Sender HBO aus Crichtons Stoff eine Serie gemacht. Eine Serie, die in ihrer Stofffülle, ihrer Erzähltiefe kaum zu fassen ist, die Science-Fiction, Western, Psychodrama, Shakespeare-Tragödie, Videospielfantasie, Philosophiestunde und Sozialexperiment in einem ist und die die menschliche Seele als einen finsteren Ort vorführt.

„Westworld“ – das wird in den ersten vier Episoden vor, die der Sender HBO TV-Kritikern vorab zur Verfügung gestellt hat – ist ein Erzählmonster, das ständig vom Erzählen selbst erzählt, das voller Verweise ist, die von William Goldings „Herr der Fliegen“ bis Ridley Scotts „Blade Runner“, von Shakespeares „König Lear“ bis Goethes „Faust“ reichen. Der pervertierte Doktor Faustus aus „Westworld“ zum Beispiel ist ein zunächst namenloser Mann in Schwarz (Ed Harris), der seit 30 Jahren den Vergnügungspark besucht und den all das Morden, Foltern und Vergewaltigen nur noch langweilt. Er strebt nach Erkenntnis, will herausfinden, was diese Scheinwelt im Innersten zusammenhält: „Die anderen wollen sich nur die Hörner abstoßen. Ich nicht“, sagt er einmal, „ich will in den Kern des Spiels vordringen.“

Die Androiden stehen im Zentrum, die Menschen sind Nebenfiguren

Jonathan Nolans perfider Dreh ist allerdings, dass die menschlichen Besucher des Parks Nebenfiguren sind und er seine Geschichten aus der Perspektive der Androiden erzählt. Zwar werden diese nach den Misshandlungen, die sie Tag für Tag erleiden müssen, stets über Nacht repariert, und ihre Gedächtnisspeicher werden gelöscht. Nach einem Software-Update, das Vergnügungspark-Chef Dr. Robert Ford (Anthony Hopkins) aufgespielt hat, entwickelt sie jedoch eine Art Bewusstsein, können sich an Fragmente aus ihren früheren Existenzen zu erinnern und beginnen nach dem Sinn ihres Lebens zu fragen.

„Was Fliegen sind den müßigen Knaben, das sind wir den Göttern. Sie töten uns zum Spaß.“ Das lässt Shakespeare Gloster im vierten Akt seines „König Lear“ sagen. Und die Glosters in „Westworld“ heißen Dolores Abernathy (Evan Rachel Wood), Meave Millay (Thandie Newton) oder Teddy Flood (James Marsden), sie sind als Farmermädchen, Amüsierdame, Cowboy, den Launen der grausamen Götter ausgeliefert, die in diesem Fall all jene sind, die sich eine Eintrittskarte für Westworld leisten können.

Die Welt der unbegrenzten Möglichkeiten als Tummelplatz der Perversionen

Diese staubige Westernwelt wird von einem finster-nihilistischen, existenzialistischen Ton bestimmt. Mal spielt das Honkytonk-Klavier den Song „Black Hole Sun“ von der Grungeband Soundgarden, mal ertönt eine orchestrale Version von „Paint It Black“ von den Rolling Stones, mal ist Johnny Cashs „Ain’t No Grave“ im Abspann zu hören. Gezeigt wird eine Welt ohne Ausweg, ohne gnädigen Gott. In Westworld könnten große, schöne Träume wahr werden, ist Freisein keine Utopie. Westworld ist ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten, der aber zum Tummelplatz der Perversionen verkommt.

„Wir haben uns anfangs Hunderte von hoffnungsvollen Geschichten ausgedacht, die hier in Westworld spielen können – aber keiner hat sich dafür interessiert“, lässt Nolan ziemlich früh in der Serie einmal einen der Westworld-Verantwortlichen sagen und sich für all den Sex und die Gewalt rechtfertigen – und kommentiert damit letztlich auch die aktuelle TV-Unterhaltung. Das Fantasyepos „Game Of Thrones“ zum Beispiel, das nicht zuletzt deshalb so erfolgreich ist, weil es eine zynische Welt voller Sex- und Gewaltorgien inszeniert. Und „Westworld“ eifert hier „Game Of Thrones“ durchaus nach. Was natürlich ganz im Sinne der HBO-Programmverantwortlichen sein dürfte.

Schließlich soll „Game Of Thrones“, die erfolgreichste HBO-Serie aller Zeiten, nach der achten Staffel zu Ende gehen, und ein Nachfolger, der sowohl Kritiker als auch das Publikum begeistert, ist bisher noch nicht gefunden. „Westworld“ aber hat das Zeug dazu – auch wenn die Serie vielleicht zu kühl, zu selbstreferenziell ist, um tatsächlich auch auf dem Massenmarkt bestehen zu können.

Parallel zur US-Erstausstrahlung bei HBO wird die zehn Folgen umfassende erste „Westworld“-Staffel seit dieser Woche in Deutschland in der Originalfassung auf Sky Demand, Sky Go und Sky Ticket gezeigt.