Im Stuttgarter Literaturhaus feiern an diesem Samstag die unabhängigen Verlage – Carsten Pfeiffer vom Verlag Das kulturelle Gedächtnis erklärt, warum wir sie brauchen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - An diesem Samstag treffen sich die unabhängigen Verlage bei dem Festival Wetterleuchten. Rund um das Stuttgarter Literaturhaus wird dann wieder zu erleben sein, um wie viel die Welt ärmer wäre, gäbe es nicht den Idealismus, die Inspiration, die Leidenschaft von Verlegern, die unter teils eher gewittrigen Bedingungen ihrer Liebe zu guten Büchern nachgehen – Leute wie Carsten Pfeiffer vom Verlag Das kulturelle Gedächtnis.

 

Herr Pfeiffer, was bewegt einen in diesen Tagen, sich auf das Wagnis einer Verlagsgründung einzulassen?

Wir machen Bücher, die zu Unrecht vergessen sind, die Antworten aus der Vergangenheit auf Fragen geben, die heute noch gestellt werden. Zum Beispiel die Geschichte eines Flüchtlings, der die Hälfte seines Geldes Schleppern in den Rachen werfen muss, um Landesgrenzen zu überwinden. Der eine gefährliche Überfahrt übersteht und in ein Land kommt, in dem er unerwünscht ist. Er ist kein Syrer auf der Flucht nach Deutschland, sondern ein Schwabe, der um 1750 in die USA ausgewandert ist: Gottlieb Mittelberger und seine „Reise in ein neues Leben“.

Muss man zurückschauen, um nach vorne sehen zu können?

Im letzten Jahr haben wir eine kleine Auswahl der „Adagia“ gemacht von Erasmus von Rotterdam. Ein Humanist, Weltbürger und Pazifist. Und dann entert ihn ausgerechnet eine Partei wie die AfD und macht ihn zum Patron ihrer Stiftung. Wir haben gesagt, lassen wir einmal Erasmus, der sich nicht mehr wehren kann, selbst zu Wort kommen.

Trägt sich das?

Wir sind fünf Verleger die sich zusammengetan haben. Wir haben alle einen Brotberuf im Umfeld der Branche. Wir haben zusammen Geld in den Topf geworfen. Wir müssen davon nicht leben und zahlen uns keine Gehälter. Das macht uns unabhängig. Wir wollen natürlich, dass sich unserer Bücher gut verkaufen, aber müssen nicht nach dem Bestsellererfolg schielen. Was wir einnehmen, stecken wir in ein neues Programm. Die einzige Bedingung ist, dass wir nichts zuschießen wollen.

Funktioniert das unter den gegenwärtigen Bedingungen noch?

Die Pleite des Zwischenhändlers KNV hat uns schon heftig getroffen und vor große Probleme gestellt. Als die Insolvenz am 14. Februar bekannt wurde, standen fast 20 Prozent unseres Vorjahresumsatzes im Feuer. Wir hatten ein ausgesprochen erfolgreiches Weihnachtsgeschäft 2018. Unsere Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimmschen Wörterbuch war eine der Geschenk-Empfehlungen des Literarischen Quartetts. Das ging ab wie geschnitten Brot – zu einem großen Teil über den Zwischenhändler. KNV hat im Dezember im großen Stil bei uns eingekauft – und dann kam die Insolvenz.

Sie sind also um ihr Weihnachtsgeschäft gekommen?

Von der Wirkung her ist es so, teilweise. Wir haben die Bücher nachgedruckt, mussten den Drucker bezahlen. Sie wurden von KNV verkauft, aber wir haben das Geld dafür nicht gesehen.

Und was bedeutet das jetzt?

Alle haben sehr gut zusammengearbeitet. Die KNV-Kollegen und der Insolvenzverwalter agierten sehr ehrenwert und bemühten sich, den Schaden zu reduzieren. Ein Teil des Geldes ist beim Teufel, trotzdem ist das halbwegs glimpflich abgelaufen. Aber wir mussten den Euro schon ein paar Mal umdrehen.

Ist der Posten nicht allgemein windiger geworden?

Das Problem, das die meisten kleinen Verlage eint, ist das der strukturellen Veränderungen in unserer Branche: immer mehr kleinere, inhabergeführte Buchhandlungen schließen ihre Pforten, weil sich das Geschäft nicht mehr lohnt, sie ein Nachfolgeproblem haben. Oder sie verkaufen an eine der Ketten: Thalia, Hugendubel oder Osiander, die ja sehr expansiv sind. Eine der schlimmen Nachrichten der letzten Wochen war zum Beispiel, dass in Freiburg die berühmte Buchhandlung zum Wetzstein schießt, das ist ein ganz besondere Buchhandlung in Deutschland, ein Leuchtturm. Solche Geschäfte gibt es immer weniger.

Was müsste passieren, dass Sie nicht selbst Teil des Kulturellen Gedächtnis werden.

Der Mut ein spannendes Sortiment zusammenzustellen, nimmt ab, kleinere Verlage werden oft gar nicht mehr eingekauft. Die Inspiration der Kunden findet aber im Laden statt, wenn man da nicht mehr präsent ist, kann man auch nicht entdeckt werden. Für kleine Verlage ist das das größte Problem: die mangelnde Sichtbarkeit im Sortiment. Wir können nur die Buchhandlungen beschwören: werdet nicht zu eindimensional, ihr habt nur die Chance zu überleben, mit gutem Service, guter Kundenberatung – und einem neugierig machenden Angebot.

Info

Carsten Pfeiffer, 1967 geboren, ist Verlagskaufmann. Er war Buchhändler und Antiquar, dann lange Jahre Vertriebsleiter eines großen Schulbuchverlages und ist heute einer der Verleger des Verlags Das kulturelle Gedächtnis

Das kulturelle Gedächtnis wurde 2017 Thomas Böhm, Peter Graf, Carsten Pfeiffer und Tobias Roth gegründet. Er hat sich zum Ziel gesetzt, Bücher, die die Zeit braucht, in schönen, sorgfältig gemachten Ausgaben wieder in Erinnerung zu rufen.

40 Verlage und ihre Autoren stellen sich an diesem Samstag, 13. Juli, in einem bunten Reigen in und um das Literaturhaus Stuttgart vor. Von 11 Uhr an finden Lesungen und Gespräche statt: über Schatullen und Bredouillen, Weltreisen, Exorzismus in Polen, essbare Wildpflanzen und das Leben in abgelegenen Schweizer Bergdörfern. Ausstellungen, Leseohren für Kinder und Ferienlektüreempfehlungen der Stuttgarter Buchhandlungen ergänzen das Programm.