WhatsApp, Youtube, Twitter hat fast jeder Schüler auf dem Handy. Bequem könnten Lehrer manche dieser Apps für die Kommunikation mit der Klasse nutzen. Doch das ist verboten.

Stuttgart - Universitäten und Arbeitgeber erwarten von Schulabgängern Medienkompetenz und den sicheren Umgang mit digitaler Kommunikation. Praktische Beispiele und Übungen gehören dazu. Doch nicht überall verläuft dies reibungslos, vor allem dort nicht, wo sogenannte Applikationen personenbezogene Daten erheben.

 

Die Szene: Elternabend. Die Lehrer setzen zu einer Suada an über fehlende oder mangelhafte Hausaufgaben. Die Mütter und Väter holen zur Replik aus: ihre Kinder hätten am Ende der Stunde zu wenig Zeit zum Abschreiben der Hausaufgaben, „man könnte die Aufgaben von der Tafel abfotografieren und per WhatsApp verschicken“, schlägt ein Vater vor. Seine Idee fand nur geteiltes Echo und wurde von den Lehrern abgelehnt. Erstens, weil sie im Abschreiben von der Tafel einen pädagogischen Nutzen sehen, zweitens aus rechtlichen Gründen.

Datenschützer gegen Nutzung

„Die Eltern- und Lehrerschaft ist in dieser Frage gespalten“, sagt Matthias Schneider, Pressesprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Die einen sehen es pragmatisch, und da alle Schüler WhatsApp nutzen, die App als Chance, an den Kindern dran zu bleiben. Die anderen kritisieren, dass der Messengerdienst keine sichere Plattform bietet und personenbezogene Daten sammelt.“ Gehe es allerdings nur um die juristische Frage, dürfe die Lehrerin, der Lehrer, WhatsApp, Facebook und Co. im schulischen Zusammenhang nicht nutzen.

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Das Kultusministerium Baden-Württemberg gibt in dieser Sache klare Anweisungen. Eine Handreichung aus dem Jahr 2013 verbietet Lehrkräften die Nutzung sogenannter Messenger-Dienste – also das papierlose, schnelle Hin- und Herschicken sowie Verbreiten von Texten, Bildern und Tonnachrichten – für dienstliche oder unterrichtliche Zwecke. Die Datenschützer fürchten den Missbrauch persönlicher Daten und Fotos. „WhatsApp sammelt personenbezogene Daten ein“, begründet Ingrid Bounin, die Referatsleiterin Medienbildung im Landesmedienzentrum. Anbieter von Apps speichern die Daten meist auf US-amerikanischen Servern mit weniger strengen Datenschutzauflagen als in Deutschland – und nutzen sie kommerziell.

Der Popularität von WhatsApp tut das keinen Abbruch. Von der 5. Klasse an ist die App auf fast jedem Schülerhandy, hochgeladen oft von den Eltern. Bei der Lehrergewerkschaft GEW werden entsprechend viele Klagen laut. „Lehrkräfte befinden sich beim Umgang mit Social Media-Anwendungen und WhatsApp auf einer ständigen Gratwanderung“, sagt GEW-Pressesprecher Matthias Schneider. Die Pädagoginnen und Pädagogen müssten versuchen, nah an den Schülern dranzubleiben und die Anwendungen kennen, doch „leider hat die grün-schwarze Landesregierung die Fortbildungsmittel gekürzt“, so Schneider. Seit 2017 stehen 550 000 Euro weniger zur Verfügung als im Vorjahr (3,691 Millionen Euro). Zum Vergleich: Im Jahr 2002 betrug das Budget für Fortbildungen noch 5,07 Millionen Euro. Schneider: „Der Fortbildungsbedarf ist hoch, viele Angebote sind überbucht.“

Die hohe Nachfrage wurde durch die Unterrichtseinheit Medienbildung beflügelt, sie ist seit 2016 verbindlicher Bestandteil des Bildungsplans über alle Klassenstufen hinweg. „Für die Klasse 5 muss die Schule 35 Stunden aus ihrem Kontingent dafür entnehmen“, sagt Hans-Jürgen Rotter, Leiter des Stadtmedienzentrums Stuttgart. Das SMZ unterstützt Lehrkräfte bei der Integration digitaler Medien in den Unterricht. „Wenn ein Lehrer in Rücksprache mit der Schule und den Eltern eine WhatsApp-Gruppe einrichtet, ist das zwar einfach, aber nicht rechtens.“

Technische Unterstützung an Schulen fehlt

Das Landesmedienzentrum (LMZ) unterstützt Schulen beim Medieneinsatz und informiert bei Bedarf Schüler, Lehrer und Eltern über Umgang und Gefahren mit digitalen Medien. „Jedes Jahr finden rund 2000 Veranstaltungen mit etwa 40 000 Teilnehmern statt, die Nachfrage übersteigt bei weitem das Angebot“, versichert Ingrid Bounin, Medienfachfrau am LMZ.

Sie empfiehlt Lehrern im Rahmen der Medienbildung eine Software zu nutzen, deren Dienste deutschen, zumindest aber europäischen Datenschutzrichtlinien entsprechen. Doch bisher können nur wenige Schulen mit sicheren Kommunikationsdiensten aufwarten, „die technische Ausstattung dazu fehlt an allen Schulen“, sagt GEW-Sprecher Schneider. Es sei eher die Ausnahme, dass eine Schule ihre eigene Plattform zum Informationsaustausch stellt. „Medienbildung kann aber nicht nur die Vermittlung von Theorie sein, ein Lehrer muss auch eintauchen können in die Erlebniswelt seiner Schüler. Für WhatsApp hat er aber keine Alternative.“

Zahl der Beschwerden verdoppelt

Kathrin Grix, die Vorsitzende des Stuttgarter Gesamtelternbeirats, bestätigt: „Es gibt an Stuttgarter Schulen durchaus WhatsApp-Gruppen, aber nur auf freiwilliger Basis und nur in Absprache mit den Eltern.“ Manche dieser Gruppen hätten Moderatoren bestimmt, die auf die Einhaltung der Umgangsregeln achten würden. Das sei vor allem dann angebracht, wenn Schüler andere persönlich schmähen oder mobben oder gar Eltern sich an einer Hatz gegen Lehrer beteiligen. Ein solcher Fall sei aus Ludwigsburg bekannt.

Zu Kontrollen wurden jüngst auch Eltern einer 5. Gymnasialklasse aufgefordert, deren Söhne und Töchter eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet hatten. Die Gruppe sollte laut Klassenlehrer „für organisatorische Dinge und Fragen“ genutzt werden. Als „die privaten Nachrichten immer mehr zugenommen“ hätten, sah man vonseiten der Schule keinen Nutzen mehr in einer Fortführung.

Beim Landesamt für Datenschutz haben sich die Beschwerden von Eltern innerhalb eines Jahres verdoppelt. In 80 Prozent der rund 40 Fälle ging es dabei um die schulische Nutzung von WhatsApp, vor allem um Fotos aus schulischen Veranstaltungen.