Auf die Eröffnung musste Daniel Bucovarov lange warten, aber nun kam sie zum richtigen Zeitpunkt: Seit zwei Monaten wird in der neuen Filiale der Lokalbrauerei Wichtel im Cannstatter Bahnhof Bier ausgeschenkt. „Es ist der perfekte Standort für die Europameisterschaft“, sagt der Betriebsleiter und schaut dabei sehr zufrieden aus. Denn wenn der VfB ein Heimspiel hat, ist die Gaststätte und der Biergarten mit den rund 500 Sitzplätzen gleich zwei Mal gefüllt – vor dem Anpfiff und nach dem Abpfiff. Während der Europameisterschaft rechnen die Stuttgarter Brauhäuser mit einem Ansturm. Carls Brauhaus befindet sich am Schlossplatz schließlich mitten im Geschehen. In Sophie’s Brauhaus hat der Braumeister vorsichtshalber Überstunden gemacht. Und Oliver Kupresakovic will mit trendigem Tankbier die Fußballfans ins Bosch-Areal locken. „Das Bier geht uns nicht aus“, verspricht auch der Wichtel-Chef.
Das Personal hat Daniel Bucovarov aufgestockt, Fernseher und Leinwände fürs Public Viewing aufstellen lassen. Viele Tische sind schon reserviert. Für Cannstatt hat sich die 1989 in Ditzingen gegründete Lokalbrauerei aufgrund der zentralen Lage entschieden, der Bahnhof zählt zu den am stärksten frequentierten Bahnhöfen im Land. Gebraut wird an den Standorten in Feuerbach und der Böblinger Motorworld, serviert werden in Bad Cannstatt zusätzlich zur hauseigenen Spezialität Flammkuchen auch schwäbische Gerichte. „Das Stadion zieht die Menschen an“, ist er sich sicher, auch wenn viele kein Ticket hätten.
Hoffen auf ein zweites Sommermärchen
Beim Gedanken ans deutsche Sommermärchen im Jahr 2006 gerät Daniel Bucovarov sofort ins Schwärmen: „Es war ein unbeschreibliches Fest, das beste, das es bis dahin gab.“ Das Spiel gegen England ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben. Als die Schlachtenbummler von der Insel nach Stuttgart strömten. Dass die Generalproben mit den VfB-Fans klappten, stimmt ihn zusätzlich optimistisch.
In Carls Brauhaus wurden die Lager aufgefüllt, mehr Personal engagiert, die Möbel verrückt, um Platz für Fernseher zu schaffen. Wenn sich 30 000 Fans auf dem Schlossplatz zum Public Viewing tummeln, wird es auch in der Gaststätte von Dinkelacker gerappelt voll sein. „Wir erwarten tatsächlich einen sehr großen Andrang“, sagt Sandra Larrudé. Sie vergleicht es mit Spitzentagen während des Volksfestes oder des Weihnachtsmarkts – nur sind es diesmal vier Wochen am Stück.
Fans wollen Schweinshaxe und Bier
Für Fußballfans seien die Brauhäuser ein absoluter Anziehungspunkt, weil es dort ihr Lieblingsgetränk gibt und mit Schnitzel, Schweinshaxe oder Kässpätzle „alles, was ein Fußballfan essen möchte“. Die Betriebsleitung hat deshalb einen Plan erstellt, „wir wir heil über die EM kommen“, erzählt Sandra Larrudé und ergänzt: „Die Vorfreude ist genau so groß wie der Respekt vor den Herausforderungen.“
Mit zwei Riesenflatscreens auf der Terrasse und einer Leinwand im Lokal sorgt Oliver Kupresakovic für den Anschluss an die EM. Die Speisekarte hat der Gastronom auch in Englisch zu bieten, um die Touristen vom benachbarten Maritim Hotel anzusprechen. Nach 18 Jahren verwandelte er sein Café Felix Ende März ins Brauhaus Eins, in dem Tankbier ausgeschenkt wird. „Wir wollten etwas Besonderes bieten, für das es sich lohnt, ins Bosch-Areal zu kommen“, sagt er. Seiner Ansicht nach ist der Geschmack des Bieres, das von Stuttgarter Hofbräu geliefert und in luftdichten Beuteln in Drucktanks gelagert wird, „einzigartig“. Vier Behälter mit jeweils 500 Liter Fassungsvermögen befinden sich im Brauhaus Eins, 4000 Halbe kann Oliver Kupresakovic ausschenken: „Da muss viel los sein, dass es leer wird.“
Hoffen auf schlechtes Wetter
In Sophie’s Brauhaus ist Jannis Peifer seit Fasching damit beschäftigt, 18 000 Liter Bier herzustellen. Das liegt vor allem daran, dass die Gaststätte seit 2016 einen Biergarten in Cannstatt betreibt, für den zwei extragroße Fernseher angeschafft wurden. Denn von der Weltmeisterschaft weiß Iksan Ismailovski noch zu gut, dass in seinem Lokal im ersten Stock in der Marienstraße trotz TV-Übertragung und Klimaanlage bei sommerlichen Temperaturen eher weniger los sein wird. Nur bei den Deutschland-Spielen ist immer voll und viel reserviert. Für die geplante Terrasse verweigerte die Stuttgarter Stadtverwaltung die Genehmigung. „Wir hoffen auf schlechtes Wetter“, sagt deshalb der Braumeister und lacht.
In gewisser Weise ist sein Chef Iksan Ismailovski also trotz des bevor stehenden Großereignisses entspannt. Immerhin führt er seit fast einem Viertel Jahrhundert die Gaststätte durch die Sommerflaute. Aber ein bisschen verärgert ist er trotzdem, schließlich ist das seit 1993 bestehende Sophie’s Brauhaus nicht nur die älteste Lokalbrauerei in Stuttgart, sondern auch das einzige „echte Brauhaus“ in der Innenstadt. Dass die neuerdings wieder zunehmende Konkurrenz sich ebenfalls Brauhaus nennt, hält er eigentlich für Kundentäuschung. „Aber ein richtiger Bierkenner sieht gleich, wo wirklich gebraut wird“, tröstet er sich.