Ein Gericht bestätigt, dass Krankenhäuser Expertise aufgrund genügend hoher Fallzahlen pro Jahr nachweisen müssen, um sich um diese Risikogruppe zu kümmern.

Berliner Büro: Norbert Wallet (nwa)

Eine sehr wichtige Entscheidung für die medizinische Versorgung von Frühgeburten in Deutschland: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Urteil, das unserer Zeitung vorliegt, entschieden, dass ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), des höchsten Gremiums der Selbstverwaltung im Gesundheitswesens, aus dem Jahr 2021 rechtens und verhältnismäßig war, in einem gestuften Verfahren die Mindestmenge an Fällen heraufzusetzen, die Kliniken erbringen müssen, um die Versorgung von extrem untergewichtigen Frühgeborenen übernehmen zu können.

 

Die Versorgung ist anspruchsvoll

Klingt kompliziert. Darum geht es: Die medizinische Betreuung von Frühgeburten, insbesondere mit einem extremen Untergewicht von unter 1250 Gramm, stellt an das medizinische Personal erhebliche Ansprüche. So kann es zum Beispiel aufgrund der unzureichende Entwicklung der Lungen nach der Geburt zum sogenannten Atemnotsyndrom kommen, was sowohl bei der Behandlung der Schwangeren vor der Entbindung als auch bei der Versorgung des Kindes nach der Geburt erhebliche Erfahrung des Teams erfordert.

Mindestmengen reduzieren Todesfälle

Darauf hatte der GBA reagiert. Er hat den gesetzlichen Auftrag, Mindestmengen für komplizierte und risikobehaftete planbare Behandlungen festzulegen. Vorgeschriebene Mindestmengen können bei den extrem untergewichtigen Frühgeburten schwerere Komplikationen und Todesfälle reduzieren. Deshalb hatte der GBA im Dezember 2020 die seit 2010 geltende Mindestmenge für die Versorgung von Frühgeborenen mit einem Aufnahmegewicht von unter 1250 Gramm in einem mehrjährig gestuften Prozess von 14 auf 25 pro Jahr und Klinik erhöht. Krankenhäuser, die die erforderliche Mindestmenge voraussichtlich nicht erreichen, dürfen diese Leistungen nicht erbringen und nicht mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Dabei sind Ausnahmen für Notfälle vorgesehen. Zudem haben die Bundesländer die Möglichkeit, die Mindestmenge ein Jahr lang auszusetzen, wenn die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung gefährdet ist.

Lucha sorgt sich um flächendeckende Angebote

Diese Neuregelung war von Beginn an heftig umstritten. So hatte Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) mit einer eigenen Klage gegen den GBA gedroht. Er befürchtete durch die Heraufsetzung der Mindestmengen Versorgungslücken im Land, da Kliniken aus der Versorgung der Frühgeborenen ausscheiden, die die Mengen nicht erreichen. Bislang ist es zu dieser Klage nicht gekommen. Stattdessen klagten rund 30 Kliniken aus ganz Deutschland, darunter auch mehrere aus Baden-Württemberg.

Das Gericht wies die Klage deutlich ab

Das Gericht wies die Klage nun mit sehr deutlichen Formulierungen ab. „Für Relativierungen wie sie die Klägerinnen vornehmen wollen, indem sie zuletzt eine Verringerung der jährlichen Anzahl der Sterbefälle um nur wenige Fälle nicht für geeignet halten, eine Anhebung der Mindestmenge zu rechtfertigen, ist aus Sicht des Senats angesichts der überragenden Wichtigkeit des Schutzes menschlichen Lebens kein Platz“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Zurückschrauben der „Gelegenheitsversorgung“

Der GBA-Vorsitzende Josef Hecken wertete gegenüber unserer Zeitung das Urteil als „wichtiges Signal“. Er hoffe, man habe „nun die Chance, den Blick endlich auf Fakten zu lenken“. Es gebe „einen wissenschaftlich belegbaren Zusammenhang zwischen der Fallzahl und der Versorgungsqualität“. Das Urteil erkenne „den Leitgedanken des GBA an: mit den Mindestmengen die sogenannte Gelegenheitsversorgung weiter einzuschränken“. Künftig sollen „Risikogeburten an jenen Kliniken konzentriert werden, die dafür eine hinreichende Behandlungsroutine besitzen und auch personell, technisch und organisatorisch entsprechend qualitätsgerecht ausgestattet sind“, sagte Hecken . Die beste Versorgung gebe es für Kinder und Mütter „in jenen Kliniken, in denen viele Fälle durch ein eingespieltes, gut geschultes interdisziplinäres Team betreut werden“.