Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Die Brutstätte des Widerstands liegt im Wyhler Nachbardorf Weisweil, genauer: in der Wirtschaft Fischerinsel von Balthasar Ehret, genannt „der Belz“. Dort wird die örtliche Bürgerinitiative gegründet, später das Komitee der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen. Dort wird auch der Plan besprochen, wie der geräumte Bauplatz im Rheinwald wieder besetzt werden könnte.

 

Ehret hat die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) hinter sich – und einen eigenen Kopf. Parteiräson interessierte ihn wenig, wie die anderen KKW-Gegner fürchtet der Rheinfischer vor allem um seine Existenz. Ehret kann reden, er reißt die Leute mit. Das gefällt nicht allen.

Die seelischen Wunden, die wütende Wortgefechte innerhalb der heterogenen KKW-Gegnerschaft gerissen haben, sind bis heute nicht verheilt. Für viele ist Balthasar Ehret ein rotes Tuch geblieben. Was die Menschen am Kaiserstuhl dem Fischerinsel-Wirt zu verdanken haben, wird auch 21 Jahre nach seinem Tod immer noch von dem Stigma „der Kommunist“ verdeckt.

Das Ablenkungsmanöver

Am Sonntag, 23. Februar 1975, marschieren Balthasar Ehret und rund 200 seiner Mitstreiter lärmend von Weisweil durch den Rheinwald zum stacheldrahtumzäunten Bauplatz. Es ist ein Ablenkungsmanöver. Die Polizei fällt darauf rein: Sie entblößt die Flanke an der Nato-Rampe, obwohl sich dort fast 30 000 Menschen zu einer Kundgebung versammelt haben.

Als die Reden verklungen sind und nebulös von einem „Lehrpfad“ gesprochen wird, der nun frei sei, liegen auf einmal Baumstämme und Bretter auf dem Stacheldraht, es tauchen Bolzenschneider auf, der Weg ist geebnet. Die Menschen rennen zu Tausenden auf den Bauplatz und durchbrechen die dünne Polizeikette. Die gelinkte Staatsmacht muss unter Spott und Hohn abziehen, der Platz ist wieder besetzt, er bleibt es ein halbes Jahr lang.

Die richtige Aussprache ist wichtig am Kaiserstuhl. Wer Wyhl „Wühl“ ausspricht, anstatt „Wiel“ zu sagen, erntet in der Region ein mitleidiges Lächeln. „Daran und an der Abkürzung erkannte man, wer einheimisch und auswärtig war“, erzählt Axel Mayer, gebürtig in Teningen, heute wohnhaft in Endingen. Nicht ein AKW, sondern ein KKW habe es zu verhindern gegolten. „Kein KKW!“ – so ist es in Schönschrift auf die Transparente gemalt worden.

Nachdem die Staatsmacht Stärke gezeigt und den Bauplatz mit Polizeigewalt geräumt hat, herrscht Wut und Frust. Die Kernkraftgegner stehen am Stacheldrahtzaun, der sie an die Berliner Mauer erinnert. Auf einer Versammlung ruft ein enttäuschter CDU-Wähler: „Dieser Partei empfehle ich, aus ihrem C einen Hammer und aus dem D eine Sichel zu machen!“

Balthasar Ehret: Fischer, Wirt – und Anführer

Die Brutstätte des Widerstands liegt im Wyhler Nachbardorf Weisweil, genauer: in der Wirtschaft Fischerinsel von Balthasar Ehret, genannt „der Belz“. Dort wird die örtliche Bürgerinitiative gegründet, später das Komitee der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen. Dort wird auch der Plan besprochen, wie der geräumte Bauplatz im Rheinwald wieder besetzt werden könnte.

Ehret hat die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) hinter sich – und einen eigenen Kopf. Parteiräson interessierte ihn wenig, wie die anderen KKW-Gegner fürchtet der Rheinfischer vor allem um seine Existenz. Ehret kann reden, er reißt die Leute mit. Das gefällt nicht allen.

Die seelischen Wunden, die wütende Wortgefechte innerhalb der heterogenen KKW-Gegnerschaft gerissen haben, sind bis heute nicht verheilt. Für viele ist Balthasar Ehret ein rotes Tuch geblieben. Was die Menschen am Kaiserstuhl dem Fischerinsel-Wirt zu verdanken haben, wird auch 21 Jahre nach seinem Tod immer noch von dem Stigma „der Kommunist“ verdeckt.

Das Ablenkungsmanöver

Am Sonntag, 23. Februar 1975, marschieren Balthasar Ehret und rund 200 seiner Mitstreiter lärmend von Weisweil durch den Rheinwald zum stacheldrahtumzäunten Bauplatz. Es ist ein Ablenkungsmanöver. Die Polizei fällt darauf rein: Sie entblößt die Flanke an der Nato-Rampe, obwohl sich dort fast 30 000 Menschen zu einer Kundgebung versammelt haben.

Als die Reden verklungen sind und nebulös von einem „Lehrpfad“ gesprochen wird, der nun frei sei, liegen auf einmal Baumstämme und Bretter auf dem Stacheldraht, es tauchen Bolzenschneider auf, der Weg ist geebnet. Die Menschen rennen zu Tausenden auf den Bauplatz und durchbrechen die dünne Polizeikette. Die gelinkte Staatsmacht muss unter Spott und Hohn abziehen, der Platz ist wieder besetzt, er bleibt es ein halbes Jahr lang.

Nach weiteren Jahren des nicht nachlassenden Protestes, nach komplizierten Verhandlungen und nach dem unrühmlichen Abgang des Ministerpräsidenten Hans Filbinger beerdigt dessen Nachfolger Lothar Späth das Projekt endgültig.

Die Auswirkungen der Ereignisse vom Februar 1975

„Wyhl war der Anfang vom Ausstieg aus der Kernenergie“, sagt Axel Mayer. Als der Bauplatz Ende Februar 1975 besetzt wurde, war der damals 20-jährige Vermessungstechnikerlehrling dabei – und auch schon vorher, als auf der anderen Rheinseite im elsässischen Marckolsheim gegen ein geplantes Bleiwerk demonstriert wurde. Es war das Vorspiel für Wyhl. „Ich war da eigentlich noch für die friedliche Nutzung der Atomkraft“, sagt Axel Mayer. „Blei schien mir gefährlicher als Atom.“

Der Kampf geht weiter

Mit Wyhl wurde Axel Mayer zum prinzipiellen Kernkraftgegner und ist es bis heute geblieben – sogar beruflich: Er ist Regionalgeschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Freiburg. In seinem kleinen Büro stapeln sich Nistkästen für den Vogelschutz neben Kartons mit Flugblättern gegen die Atomkraft und Plakaten mit der Parole „Nai hämmer gsait“ – die drei Worte gelten jetzt dem Reaktor in Fessenheim, der 25 Kilometer von Freiburg, 38 Kilometer von Wyhl entfernt direkt am elsässischen Rheinufer liegt. Er ist 1977 in Betrieb genommen worden, der jetzige Präsident François Hollande hat nach seiner Wahl angekündigt, den ältesten französischen Meiler vom Netz zu nehmen, doch der Energiekonzern EDF pokert hartnäckig um den Weiterbetrieb.

Wyhl konnte die Protestbewegung verhindern, Fessenheim nicht. „Der Widerstand gegen das KKW Wyhl hat meinem Leben eine andere Richtung gegeben“, sagt Axel Mayer. Der Platzbesetzer ist später Mitglied der Grünen geworden und sitzt heute für die Ökopartei im Kreistag von Emmendingen. Mayer kannte viele der markanten Typen der damaligen Bewegung persönlich: den Gastwirt Balthasar Ehret, den Müller Siegfried Göpper, den Pfarrer Günter Richter, den Apotheker und FDP-Landtagsabgeordneten Erich Schött, die Winzerin Annemarie Sacherer.

Protestler werden Unternehmer

Oder den Sasbacher Elektriker Werner Mildebrath. Dieser hatte 1975 als Erster am Kaiserstuhl einen Sonnenkollektor gebaut, ein Jahr später fand bei ihm im Dorf die weltweit erste Solarmesse statt, später wurde daraus die Intersolar, die erst nach Freiburg, dann nach München ging. „Wir haben immer schon nicht nur Nein gesagt“, erklärt Axel Mayer, „sondern von Anfang an Ja zu alternativen Energien. Aber die waren ja gerade erst im Entstehen.“

Eine Wiege der Grünen

Aus Protestlern wurden Unternehmer. Der einstige KKW-Bauplatzbesetzer Manfred Volk etwa hat in Gutach im Elztal eine Fabrik zur Herstellung von Wasserturbinen gegründet. Und nicht von ungefähr ist das nahe Freiburg zur Brutstätte für solare Energie, zeitweise zur „Solarhauptstadt“ und heute zur „Greencity“ geworden, regiert von einem grünen Oberbürgermeister, dessen Partei eine ihrer Wiegen auch auf dem Bauplatz von Wyhl hat. Das „Freundschaftshus“ auf dem besetzten Platz war das Herzstück der Besetzer – eine Art Volkshochschule, Konzertbühne für Liedermacher und eine internationale Begegnungsstätte. Der Protest war grenzüberschreitend in jeder Hinsicht.

Viele waren dabei. Viele haben nun, zum 40-Jahr-Jubiläum der Platzbesetzung, eine Geschichte zu erzählen. „Wyhl stand zunächst mal nicht auf unserem Plan“, sagt Michael Moos. Der Rechtsanwalt und Gemeinderat der Unabhängigen Liste in Freiburg war seinerzeit ein Wortführer des maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland: „Ein Aufstand von Bauern war jenseits unserer Theorie vom Kampf der Arbeiterklasse und des Volkes.“

Linke und Bauern liefern sich hitzige Debatten

Der Autor und Regisseur Erich Krieger, damals Kader der ebenfalls maoistischen Konkurrenzpartei KPD, erinnert sich: „Als Revolutionäre kamen uns alle Volkskämpfe wie gerufen. Es ging uns nicht in erster Linie um die Verhinderung eines Atomkraftwerkes.“ Zumal alle Kommunisten ein Problem hatten: ihre staatlichen Vorbilder bauten in Osteuropa und Asien Kernkraftwerke, und so hätten ihre westdeutschen Anhänger eigentlich nicht gegen den Reaktor in Wyhl demonstrieren können.

Es gab hitzige Debatten. „De Staat umkehre – des git’s bi uns nit“, sagte der Müllermeister Siegfried Göpper zu den frech auftretenden Maoisten von auswärts, die ihn daraufhin als „Kapitalistenschwein“ beschimpften. Göpper konterte: „Wenn ihr uns helfe wollt, dann gehn ihr wieder!“

Unklar ist, ob die Maoisten tatsächlich gegangen sind oder ob sie es waren, die den Zaun bei der Platzbesetzung zerschnitten haben, wie einige von ihnen heute behaupten. „Das ist alles nicht so wichtig“, winkt der Grüne Axel Mayer ab. „Es war grad die richtige Mischung zur rechten Zeit: Nicht zu viele Linke, nicht zu viele Bauern.“ Keiner könne den Erfolg alleine auf sein Konto buchen. „Wir hatten einfach auch viel Glück. Manchmal öffnet sich aus unerfindlichen Gründen ein Zeitfenster, in dem Dinge möglich werden, die wenige Monate davor nicht machbar waren oder es wenige Wochen danach schon nicht mehr sind.“

Der Kampf geht weiter

Wohl wahr. Die Proteste gegen die Atomkraftwerke in Grohnde oder Brokdorf waren nicht weniger heftig – aber nicht erfolgreich. Nur das in Wyhl geplante KKW wurde verhindert. Das bundesdeutsche Atomprogramm hatte am Rhein zwar einen Riss bekommen, aber erst nach der Katastrophe von Fukushima im März 2011 kam hierzulande der Ausstieg.

Zu Ende ist für Axel Mayer der Kampf damit noch längst nicht. Die eigentlich angekündigte Energiewende werde in Wahrheit zurzeit übel ausgebremst, meint er. Das 40-Jahr-Besetzerjubiläum sieht Mayer deshalb mit gemischten Gefühlen auf sich zukommen. „Die Umweltbewegung wird häufig für das gelobt, was sie in der Vergangenheit getan und erreicht hat“, sagt er. „Und sie wird dafür kritisiert, was sie aktuell fordert und durchsetzen will.“