Fast wie bei Stuttgart 21: In einem kleinen Dorf im Enzkreis tobt ein erbitterter Streit um die Ansiedlung einer Goldscheidefabrik. Ein Stimmungsbild.

Wimsheim - Eigentlich ist Wimsheim ein Flecken, 2609 Einwohner zählt das Örtchen im Süden des Enzkreises. Politik wird hier oft am Stammtisch ausgehandelt. Die Fraktionen im Gemeinderat sind eher Zählgemeinschaften, Parteien gibt es nicht. Doch seit mehr als einem Jahr ist die Kommune hochpolitisiert. Es gibt zwei Lager, keines spricht mehr mit dem anderen. Es gibt Demonstrationen, Bürgerinitiativen, Prozesse vor dem Verwaltungsgericht, die Forderung nach einem Bürgerentscheid. Dabei geht es um die Goldscheideanstalt C. Hafner, die sich von Pforzheim in die kleine Kommune verlagern will.

 

Ortstermin Anfang September. Wie schon so häufig wurde die Gemeinderatssitzung in die Hagenschießhalle verlegt, eine schön sanierte Turnhalle mit Glasfoyer. 30 Meter vor dem Haupteingang hat die Bürgerinitiative Wimsheim (BIW) zu einer Protestkundgebung eingeladen. Die Organisatoren sprechen von 200 Teilnehmern, die Polizei von 80. Viele stehen mit verschränkten Armen da. Es gibt kreative Protestplakate. Zwei Bürger haben sich ganz in Schwarz gewandet und tragen ein Plakat mit einer Traueranzeige: „Hier wird der Dorffriede zu Grabe getragen.“ Schon berühmt geworden ist der „Hafi“, der Hafner-Esel, ein aus Pappe gebasteltes Tier, das vorne Goldmünzen frisst, symbolisch für die Gewerbesteuereinnahmen, die Wimsheim erwarten könnte. Hinten scheidet er giftige Abgase aus.

Holger Lehmann hat sich mit einem Megafon in der Hand etwas erhöht hingestellt. „Warum hat der Gemeinderat Angst vor einem Bürgerentscheid?“, ruft er, und die Zuschauer stimmen lautstark mit ein: Die Gemeinderäte seien überfordert, hätten vergessen, wer sie eigentlich gewählt hat. Lehmann ist ein kultivierter Mann mit weißen Haaren und einem Doktortitel. Er ist das Aushängeschild der Bürgerinitiative, die bisweilen ziemlich ruppig auftritt und in der Goldscheideanstalt den Gottseibeiuns schlechthin sieht. Dem Bürgermeister Mario Weisbrich hat die BIW unterstellt, ein Diktator zu sein, der an „ungute Zeiten der Geschichte“ erinnere. Auf Plakaten wurde ihm empfohlen, in den Nachbarort zu wechseln. Inzwischen distanziert sich die Führung der BIW von solcher Radikalität, allerdings nur halbherzig.

Zwei Frauen werden handgreiflich

Direkt vor der Halle stehen 30 Meter von den Gegnern entfernt gut 50 Anhänger der Industrieansiedlung. Fassungslos beobachten sie die Demonstration. Sie schweigen, und doch scheinen sie zu fragen: Was ist nur mit dem beschaulichen Wimsheim geschehen?

Auch Mario Weisbrich gibt sich wortkarg. „Nein, ich will nichts mehr sagen zu dem Thema“, teilt der Rathauschef mit. Weisbrich hat viel mitgemacht, seit er im Herbst 2012 mit dem Vorschlag kam, auf 5,6 Hektar eine Goldscheideanstalt mit einem 36 Meter hohen Schornstein im Gewerbegebiet Breitloh-West anzusiedeln. Früher ist der junge, etwas rundliche Bürgermeister fröhlich und leutselig durch seinen Ort gestreift. Jetzt sieht man ihm den Stress an. Weisbrich ist ruhiger geworden. Und misstrauischer. Die beißende Kritik hat ihm zugesetzt. Wenn er etwas zum Thema Hafner sagt, sichert er sich über seinen Rechtsanwalt ab, senkt die Stimme und bleibt betont sachlich. Ihm gehe es um die Arbeitsplätze, der Ort könne sich mit Hafner entwickeln. „Ich will mich nicht provozieren lassen“ – das hat er sich als oberstes Ziel gesetzt. Damit nicht das passiert, was auch in der Hagenschießhalle kurz vor der Sommerpause das Klima weiter vergiftet hat: Zwei Frauen sind handgreiflich geworden. Eine von ihnen war die Gattin eines hafnerfreundlichen Gemeinderates, die einer Hafner-Gegnerin den Arm weggerissen hat. Damals musste die Polizei anrücken.

Der Vorfall richtet wie ein Brennglas den Blick auf den Kern des Konfliktes, er steht symbolisch für die Wut, die im Ort grassiert. Der Streit weist viele Parallelen zu Stuttgart 21 auf. Eine kreative Protestkultur einer gut situierten Mittelschicht, die um ihre Lebensqualität fürchtet. Die Verfestigung der Lager, eine Radikalisierung der Projektgegner wie auch der Projektbefürworter. Die Eskalation der Debatte, bei der nur noch die eigene Sichtweise als Wahrheit betrachtet wird. Demonstrationen. Sowie Kritik an der Presse, die nicht objektiv im Sinne der jeweils eigenen Sichtweise berichte.

Der Zwist spaltet die Dorfgemeinschaft

Der Zwist spaltet die Dorfgemeinschaft. Selbst im Männergesangsverein, der in seinem Namen den Zusatz „Freundschaft“ trägt, fliegen die Fetzen. Die Vereinsführung ist für die Industrieansiedlung, manche Mitglieder sind dagegen. Einige sollen nicht mehr zu den wöchentlichen Proben kommen. Als im Sommer das große Straßenfest in Wimsheim gefeiert wurde, hatten die Sänger einen großen Pavillon aufgebaut. An den Biertischen wurde erregt diskutiert. „Wir mussten irgendwann eingreifen und sagen: Keine Politik heute, wir feiern“, sagt der Vize Ralf Benzinger, der gleichwohl vehement bestreitet, der Verein sei polarisiert.

So ist vieles aus dem Lot geraten in der kleinen Gemeinde. Wie bei Stuttgart 21 hat sich eine starke außerparlamentarische Opposition emotional in den Konflikt verhakt. „Wir wollen keinen Lärm, keinen Gestank, keine Gifte, wir wollen unser schönes Dorf mit der Natur behalten“, sagen sie. Eine Kontroverse über eine gelbe Rauchfahne, die angeblich aus dem Kamin der Hafner-Fabrik in Pforzheim gekommen sein soll, steht exemplarisch für die gesamte Auseinandersetzung. Auf der Homepage der BIW ist ein Video zu sehen mit Qualm. „Das wurde uns zugespielt, es ist am 7. Juli um 8.25 Uhr aufgenommen worden“, erklärt Holger Lehmann, der Vorsitzende der Bürgerinitiative. Das bringt nun die Hafner-Anhänger auf die Palme, die in der „Interessengemeinschaft für Wimsheim“ engagiert sind. Ihr Sprecher ist Dieter Schlittenhardt, er wirft der BIW vor: „Sie manipuliert die Bevölkerung und schreckt dabei nicht für Lügen und Betrug zurück.“ Er behauptet, das Video sei nachträglich bearbeitet worden.

Was sagt denn die Firma Hafner selbst zu all diesen Vorwürfen, zu dem Unbill im Ort? Lange Zeit erst einmal gar nichts. Obwohl mit Hans-Günter Schenzel einer der Geschäftsführer sogar in Wimsheim wohnt, war von dem Pforzheimer Familienunternehmen kaum etwas zu hören. Man setzte eher auf stille Diplomatie. Erst vor der Gemeinderatsentscheidung tauchte ein Flugblatt auf, in dem der Geschäftsführer Philipp Reisert der BIW vorwarf, die Bevölkerung „aufzuhetzen“.

Die Welten driften weiter auseinander

Inzwischen redet die Firma jedoch – auch mit der Presse – und öffnet ihre Tore in Pforzheim, sogar für den kritischen Bereich, das sogenannte Gekrätze, wo Gold aus Edelmetallresten gewonnen wird. „Wir produzieren nur einen Kubikmeter im Jahr“, erklärt Philipp Reisert. Der Betriebsleiter erzählt zwar, dass mit sogenanntem Königswasser, einem Gemisch aus Salz- und Salpetersäure, gearbeitet werde, doch passiert sei noch nie etwas, es gebe „mehrfach redundante Sicherheitssysteme“.

Bei einem Pressegespräch wird sein Kollege im Management, Hans-Günter Schenzel, deutlicher. „Wo kommen wir denn hin, wenn in Deutschland das Recht nicht mehr gilt? Das ist dann eine Meinungsdiktatur von unten“, schimpft er auf die Hafner-Gegner. Die hält er für „ahnungslos und fehlgeleitet“, sie täten ihm „nur noch leid“. So verbittert die Anhänger der BIW gegen Hafner streiten und sich dabei vielleicht verrannt haben – auch der Manager Schenzel wirkt in diesem Moment wie einer, der mitten im Schützengraben steckt und nur noch Gegner sieht, der jetzt recht haben will.

So driften die Welten in Wimsheim immer weiter auseinander. Die Gemeinderatssitzung in der Hagenschießhalle macht das anschaulich. Vorne sitzen die Räte abgeschottet, es wird kaum diskutiert, der Bebauungsplan bei zwei Enthaltungen beschlossen. Hinten grummeln die Bürger, stören mit Zwischenrufen. Doch Mario Weisbrich geht darauf nicht ein, zieht die Formalien durch, rechtfertigt sich nicht. Das macht die Wutbürger noch wütender.

Genauso wie die Weigerung des Rathauschefs, einen Bürgerentscheid zuzulassen. Zweimal haben die Ansiedlungsgegner 800 Unterschriften gesammelt – mehr als Weisbrich vor drei Jahren Stimmen bei der Bürgermeisterwahl hatte. Doch den Antrag lehnte er aus formalen Gründen ab: weil er sich gegen die Bauleitplanung der Gemeinde richte.

Der verzwickte Streitfall liegt inzwischen beim Verwaltungsgericht. Die BIW wird vom früheren Pforzheimer Oberbürgermeister Joachim Becker anwaltlich vertreten. Seine Analyse: „Nur ein Bürgerentscheid könnte den Konflikt lösen.“ Das wäre dann eine letzte Parallele zu Stuttgart 21.

Was produziert die Firma C. Hafner?

Unternehmen
: Seit mehr als 160 Jahren steht der Firmenname C. Hafner für Edelmetalle. Um zu expandieren, will das Unternehmen nun mit rund 200 Beschäftigten den bisherigen Standort Pforzheim aufgeben und nach Wimsheim abwandern.

Verfahren:
In einem riesigen Ofen werden die so genannten „Gekrätze“ thermisch behandelt. Dabei handelt es sich um Reste von Edelmetall, die zum Beispiel anfallen, wenn ein Schmuckhersteller Material übrig hat. Dieses Gekrätze wird verbrannt. Anschließend wird die Asche gemahlen und gemischt. Etwa 400 Kilogramm Edelmetall werden auf diese Weise täglich verarbeitet. Doch es werden bei Hafner nicht nur Metallschnipsel verbrannt. Größere Edelmetallbrocken werden im sogenannten Scheideprozess geschmolzen und chemisch behandelt. Im Jahr produziert Hafner nach eigenen Angaben insgesamt einen Kubik-meter Gold, das entspricht etwa 19 Tonnen.

Risiken:
In der Produktion wird mit „Königswasser“ gearbeitet, einem Gemisch aus konzentrierter Salz- und Salpetersäure. Das Unternehmen verweist darauf, dass die Abluft- und Abwasser-anlagen auf dem neuesten Stand seien und daher keine Gefahr für Anwohner bestehe. Kritiker des Unternehmens meinen, dass durch die Produktion Schadstoffe wie Quecksilber, Cadmium, Arsen, Blei und Dioxine in die Umwelt gelangten.