Scientology will sich in der Heilbronner Straße in Stuttgart-Nord niederlassen. Der Bezirksbeirat ist alarmiert und will mit einer Informationskampagne über die neuen Nachbarn aufklären.

S-Nord - Seit vier Jahren pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Deshalb war Sabine Mezger vorgewarnt. Dass es ernst wird, hat die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Nord seit vergangenem April schwarz auf weiß: In ihrem Postfach im Rathaus war ein Hochglanzmagazin samt Begleitschreiben. In dem persönlichen Brief teilt ihr die Scientology Gemeinde Baden-Württemberg mit, dass sie „mittelfristig“ die Eröffnung einer Residenz in Stuttgart plant. Der Verfasser des Anschreibens geht davon aus, dass sich Mezger „vielleicht darüber informieren möchte, wie solche Eröffnungen in anderen Städten abgelaufen sind.“ Mezger unterrichtete umgehend den Bezirksbeirat von der Offensive der Organisation, die sich selbst als Kirche bezeichnet, von Experten als Sekte eingestuft wird und an der Ecke Heilbronner und Tunzhofer Straße ihren neuen Sitz eröffnen will.

 

Jetzt, ein Jahr später, scheint es soweit zu sein: Das Landesamt des Verfassungsschutzes hält es für möglich, dass die Niederlassung dieses Jahr eröffnet. Unter Beobachtung der Verfassungsschützer stehen die Scientologen nach Auskunft von Sprecher Georg Spielberg, weil die Organisation das Gesellschaftssystem verändern will und ihre Ideologie der freiheitlich-demokratischen Grundordnung widerspricht. Mit Parolen wie „Jugend für Menschenrechte“ Anti-Drogen-Kampagnen oder Anti-Stress-Tests werde an Ständen um Mitglieder geworben ohne auf den scientologischen Hintergrund hinzuweisen.

Am Stand präsent ist Scientology bereits jetzt in der Nähe der neuen Residenz bei der Stadtbibliothek und dem Einkaufszentrum Milaneo – auf öffentlicher Fläche. Auf Milaneo-Gelände ist laut Centermanagerin Andrea Poul Werbung nicht gestattet – aus Gründen der Gleichberechtigung auch nicht von kirchlichen und religiösen Gruppen.

Ordnungsamt will Wirkungsbereich einschränken

Die Stadtverwaltung muss die Werbestände im öffentlichen Raum genehmigen, weil die Organisation nicht verboten ist. Allerdings wurde durch die Sondernutzungsrichtlinien der Bereich eingeschränkt. In der City inklusive Königstraße dürfen seit geraumer Zeit nur noch Organisationen werben, die einen Freistellungsbescheid vom Finanzamt vorlegen können. Den Bescheid, den nur gemeinnützige Organisationen erhalten, konnte Scientology laut Ordnungsamt nicht erbringen. Werben darf Scientology noch an drei Standorten: Ecke Urban- und Charlottenstraße, Cannstatter Carré und Stadtbibliothek. Demnächst wegfallen soll auch der Platz bei der Stadtbibliothek. „Wir weiten die Sondernutzungsrichtlinien für die Innenstadt aus. Jetzt gelten sie für den Bereich vom Hauptbahnhof bis zur Eberhard- und Torstraße. Noch dieses Jahr sollen sie auf die Stadtbibliothek und das Gerberviertel ausgedehnt werden“, sagt Gisa Gaietto vom Ordnungsamt.

Dass Scientology künftig nicht mehr an der Stadtbibliothek, wo sich Schüler und junge Leute treffen, werben können soll, lässt Schulen und Kirchen aufatmen. Peter Burkhardt, Leiter der Pragschule, sieht seine Grundschüler zwar nicht gefährdet, hält es aber für wichtig, Eltern und Anwohner per Gemeindeblätter zu sensibilisieren. Seine Kollegen von der Kaufmänischen Schule und der Werner-Siemens-Schule wollen Scientology im Religions- oder Ethikunterricht behandeln.

Der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig hält es für „bedauerlich“, dass die Scientologen mit ihrer neuen Repräsentanz im Norden Fuß fassen wollen. „Deren Ziel ist es, den Menschen zum Gott zu machen. Die Ideologie ist brutal und eine Gefahr für die Stadt und die Menschen.“ Der katholische Stadtdekan Christian Hermes sagt: „Wir wissen, dass die Organisation gefährlich ist.“ Er sieht Eltern und Schulen in der Verantwortung aufzuklären.

Das will auch Bezirksvorsteherin Mezger. In kleiner Runde will sie sich mit Vertretern von Kirche und Verfassungsschutz beraten. Eine Informationskampagne soll dann über die umstrittene Organisation in der Nachbarschaft aufklären. Scientology war zu keinem Statement bereit.