Über die Feiertage glühen wieder die Speicherkarten der Digitalkameras. Doch wer glaubt, in einem Archivordner auf dem Computer seien die Bilder lebenslang sicher, der irrt. Expertem empfehlen: ausdrucken.

Stuttgart - Die Festplatte verabschiedet sich, kurz bevor die Diplomarbeit fertig ist, die alten Disketten mit den Tagebüchern von früher lassen sich nicht mehr lesen, ein Dieb klaut das Handy mit den Familienbildern von Weihnachten: Jeder hat schon einmal erlebt, wie vergänglich digitale Daten sind. Das Fotoalbum von Oma Erna hingegen thront seit bald 60 Jahren im Regal – und wird das viele weitere Jahrzehnte tun, falls das Haus nicht abbrennt. Damit sind Oma und Uroma immer gegenwärtig. Die Fotos der eigenen Kinder hingegen sind weniger präsent.

 

Das Problem wird der Öffentlichkeit erst langsam bewusst: Digitale Datenträger wie Festplatten haben eine begrenzte Lebenszeit. Schon nach fünf bis 20 Jahren verlieren sie ihren Magnetismus – und damit die gespeicherten Daten. Dazu kommt, dass auch Dateiformate schnell überholt sind und sich mit den Nachfolgeversionen der gängigen Programme oft schon nicht mehr öffnen lassen. Wer seine Daten also nicht regelmäßig auf den neuesten Speichermedien sichert und in aktuelle Dateiformate umkopiert, wird sie alsbald unwiederbringlich verloren haben.

Wird unsere Zeit also „als finsteres 21. Jahrhundert in die Geschichte eingehen“, wie das Archivprojekt „Memory of Mankind (MOM)“ warnt: ein Zeitalter, aus dem außer unserer Grabsteine keine weiteren Informationen für die Nachwelt erhalten bleiben? MOM hat den digitalen Daten den Kampf angesagt: Die Betreiber brennen Dokumente von Universitäten, Museen und zahlungskräftigen Privatpersonen auf Keramiktafeln – „das haltbarste Material überhaupt“, wie das Archiv wirbt: Damit seien die Daten Hunderttausende von Jahren sicher, zumal sie in einem alten Salzwerk in Österreich eingelagert werden, dessen Gestein wasserdicht ist und der hoch genug liegt, um nicht von Überflutungen bedroht zu sein. Informationen Zehntausende Jahre zu erhalten, darin sind sich die Experten einig, das geht nicht digital. Andere Archive planen in anderen Zeiträumen und arbeiten an Modellen, wie digitale Daten zumindest einen längeren Zeitraum überstehen. Die Archivare im Deutschen Literaturarchiv in Marbach sind immer häufiger mit digitalen Nachlässen von Autoren konfrontiert. „Früher bestanden Nachlässe aus Papier, beispielsweise Briefe und Manuskripte“, sagt der dortige Leiter des Referats Wissenschaftliche Datenverarbeitung, Heinz Werner Kramski.

Experten empfehlen, die Daten auszudrucken

Im sicheren Lagern von Papier ist man in Marbach Meister. Aber digitale Dokumente werfen völlig neue Fragen auf. Computerspiele oder Software beispielsweise sind nicht einmal linear abzubilden, man kann sie nicht auf Papier oder gar Keramikplatten verewigen oder in stabilere Dateiformate umwandeln. Zudem enthalten Datenträger weitere Informationen, die für das Archivieren wichtig sind, wie Metadaten oder auch gelöschte Anteile, die nur durch eine digitale Kopie erhalten bleiben.

Seit in Marbach vor etwa zehn Jahren der digitale Nachlass des Autors Thomas Strittmatter landete – der erste seiner Art in Form eines Atari-Computers und 43 Disketten –, forschen Kramski und seine Kollegen an ausgefeilten Methoden, solche Daten für die Nachwelt zu erhalten, damit Interessierte auch dann noch Strittmatters Nachlass lesen können, wenn der letzte Atari-Computer der Welt den Geist aufgegeben hat.

Wer die Experten fragt, wie wir unsere Daten langfristig am besten sichern, bekommt erstaunlich häufig die Antwort: ausdrucken oder auf Filmen speichern, physikalische Datenträger anstatt digitaler nutzen. „Papier hat sich über Jahrtausende bewährt“, sagt Pascalia Boutsiouci, die das Konsortium der Schweizer Hochschulbibliotheken leitet. Seit digitale Daten in Massen produziert werden, ist alles kompliziert geworden. „Archivierung ist nicht nur ein technischer Prozess“, sagt Boutsiouci, es geht auch um die Auswahl der Daten – und vor allem wer dafür zuständig ist.

Denn eine Erhebung, die sie 2006/07 im Auftrag der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen durchführte, erbrachte ernüchternde Ergebnisse: 80 Prozent der befragten Universitätsangehörigen gaben an, dass es in ihrer Einrichtung keine Vorschriften oder Vereinbarungen zur digitalen Langzeitarchivierung gebe. Während der eine Professor seine Forschungsdaten als CD-ROM in einer Schublade lagert, lässt ein anderer sie einfach auf dem Uni-PC. Wechselt er in den Ruhestand, ist es Zufall, ob er die Daten übergibt – und ob sie dann noch lesbar sind.Wenn es ernst wird, bauen Archivare nach wie vor auf den antiquiert anmutenden Mikrofilm. Er gilt auch im digitalen Zeitalter als eine der sichersten Methoden, Daten lange zu erhalten. Auch die nach Meinung der Politik wichtigsten Dokumente der deutschen Geschichte werden auf Mikrofilm gebannt und bombensicher eingelagert. Im sogenannten „Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland“ in einem alten Stollen bei Freiburg lagern 825 Millionen Aufnahmen in 400 Meter Tiefe in Edelstahltonnen. 27 000 Kilometer Mikrofilm bewahren historische Dokumente für die Zukunft – von der Krönungsurkunde Ottos des Großen aus dem Jahr 936 über die Baupläne des Kölner Doms bis hin zum Spielplan der Bayreuther Festspiele von 1989.

Der gute alte Mikrofilm kommt wieder zu Ehren

Und vielleicht werden auch digitale Daten eines Tages auf Mikrofilm archiviert: Der Baseler Professor für Medientechnologie, Rudolf Gschwind, sieht ein Problem darin, dass künftige Generationen unsere digitalen Dokumente decodieren müssen, um aus den Nullen und Einsen wieder ein Schriftstück oder ein Bild herzustellen. Was ist, wenn der Code verloren geht? „Archivieren heißt ja auch zu garantieren, dass ich das wieder lesen kann“, sagt er. „Mikrofilm ist visuell und selbsterklärend.“ Man müsse ihn nur gegen das Licht halten und sehe die Informationen.

Zusammen mit einigen Kollegen bannt Professor Rudolf Gschwind digitale Daten in Form von Nullen und Einsen auf Mikrofilm, gemeinsam mit einer Art Anleitung in Textform zur Decodierung für die Historiker der Zukunft. Im Gegensatz zu reinen Kopien des Bildschirminhaltes blieben so auch die Dateistrukturen erhalten – genau jenes Nichtlineare, das digitale Daten ausmacht und das den Marbacher Archivaren solch Kopfzerbrechen bereitet.

Eines allerdings könnte den Siegeszug des Mikrofilms als Speichermedium der Zukunft stoppen: der Niedergang der analogen Fotoindustrie. Denn um die kriselnden Filmfabriken zu erhalten, dafür ist der Mikrofilm-Markt nicht groß genug.