Wie der Spitzenkoch Niederkofler der Gänsestopfleber abschwor Auf dem Gipfel

Norbert Niederkofler ist im Atelier Moessmer in Bruneck angekommen. Nur wenige Monate nach der Eröffnung erhielt das Restaurant drei Michelin-Sterne und einen grünen Stern für Nachhaltigkeit. Wie geht das bitteschön? Foto: LorenzoPolato

Können Köche die Welt verändern? Wenn es nach Norbert Niederkofler geht schon. Sein Atelier Moessmer ist wohl das einzige Lokal Italiens, in dem es kein Olivenöl gibt. Er hat möglicherweise mehr für Südtirol geleistet als so manche Werbekampagne: Zu Besuch in Bruneck.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Norbert Niederkofler kann nicht genau sagen, wie viel Gänsestopfleber er in seinem Leben verarbeitet hat. „Viel zu viel“, antwortet er schnell. Für Gänsestopfleber und seine Gerichte mit Meeresfisch – es waren viele Hunderte Kilo im Jahr – war er bekannt. Sehr bekannt. Er kochte für Prominente wie Elon Musk und Joe Cocker. Heute ist er nicht nur der Grandseigneur der Gourmetliga, sondern auch ein Vorreiter der neuen radikalen Regionalität. Dabei hat er seine Wurzeln in der klassischen Küche. Als junger Kerl arbeitet er bei Eckart Witzigmann in der Aubergine in München, bei Jörg Müller auf Sylt und bei David Bouley („für mich ein Foodjunkie, immer seiner Zeit voraus“) in New York. Nach Südtirol kommt er zurück, natürlich, wie kann es anders sein, wegen Amore. Die Liebe geht, der Koch bleibt. Sein Ansporn ist ein Ausspruch von Witzigmann, der gesagt hat: „Ich verwette keinen Cent darauf, dass du mal einen Stern kochst.“ Das war sein Antrieb – und: „Alto Adige war weltweit nicht bekannt für Gastronomie.“ Das muss er ändern.

 

„Ich habe all das gemacht, was ich in New York, London und Asien gesehen habe. Und jetzt? Wie komme ich auf drei Sterne?“

Als erstes Restaurant in den Bergen schafft es das St. Hubertus im Hotel Rosa Alpina in St. Kassian auf zwei Sterne – und zwar mit Gerichten, die es eigentlich überall gibt: „Ich habe all das gemacht, was ich in New York, London und Asien gesehen habe. Und jetzt? Wie komme ich auf drei Sterne?“

Niederkofler fragt seine Gäste, warum sie zu ihm kommen. Die Antworten klingen stets ähnlich: wegen den Bergen, dem Essen, der Region. Warum aber braucht es dazu Luxusprodukte aus aller Herren Länder? „Ich hatte irgendwann die Schnauze voll“, sagt Niederkofler nonchalant. „Man kann um die ganze Welt fliegen und bekommt überall das Gleiche zu essen.“ Er wollte nicht mehr vergleichbar sein, etwas ganz Eigenes schaffen. 2008 hat er „Cook the Mountain“ verfasst. Es ist eine Art Manifest, das auf vier Säulen gebaut ist. Kein Olivenöl, keine Zitrusfrüchte, kein Gemüse aus dem Gewächshaus und „No Waste“, kein Abfall also.

Auf welcher Höhe wächst was zu welchem Zeitpunkt?

Durch seine Beschränkung, kein Gemüse aus Gewächshäusern zu verarbeiten, lernt er die Natur und die Täler neu kennen: Auf welcher Höhe wächst was zu welchem Zeitpunkt? In welcher Talschaft beginnt die Natur wann zu erblühen? Rund 400 Pilz-, Wurzel-, Gemüse-, Kräutersorten und Beeren hat das Team im Repertoire, und wer im Herbst sammelt, muss schon an das kommende Jahr denken und die Lebensmittel haltbar machen. Eine weitere Regel: keine Zitrusfrüchte! Die Säure kommt über Fermentation, die Beeren und Kräuter ins Essen. Und das Atelier Moessmer ist wohl das einzige Restaurant Italiens, das kein Olivenöl verwendet. Sie nehmen stattdessen Traubenkernöl. „Wir können Zitronenverbeneöl machen, das hundert Prozent nach Zitronenverbene schmeckt“, so Niederkofler. Damit kommt er zum No-Waste-Prinzip, bei dem kein Blatt vergeudet und natürlich das Tier im Ganzen verwendet wird. Dafür braucht es aber auch ein zweites Restaurant wie das Alpinn droben auf dem Kronplatz. „Ich habe viele Sachen gemacht, um drei Sterne zu bekommen“, sagt der 63-Jährige. Dass er es dann mit seinem Prinzip von „Cook the Mountain“ erreicht, ist eine Sensation. Ebenso, dass er das nach nur wenigen Monaten am neuen Ort in der feudalen Villa in Bruneck schafft. Obendrauf auf der Sterne-Torte: ein grüner Stern für die Nachhaltigkeit.

Zubereitet wird auf der Hitze des Feuers, kein Gas, keine Induktion, kein Sous-Vide, kein Niedrigtemperaturgaren

20 Jahre lang hat hier in Bruneck der Romanautor Joseph Zoderer untertags geschrieben in der Villa. Heute wird gekocht. Und wie! Zubereitet wird auf der Hitze des Feuers, kein Gas, keine Induktion, kein Sous-Vide, kein Niedrigtemperaturgaren. Für Kulinarikbegeisterte ist der Restaurantbesuch an sich ein kleiner Lehrgang in der Optimierung eines Restaurants, an Abläufen und Werten. Einer der bekannten Klassiker ist das Tatar von der Renke, das erste Gericht, bei dem wirklich alles vom Fisch verarbeitet wurde; inklusive Schuppen, Kopf, Haut und Gräten. Niederkofler und sein Team servieren aber auch Rote-Bete-Gnocchi oder Graukäse-Risotto. Graukäse war früher ein Arme-Leute-Essen, eine Spezialität aus dem Ahrntal, woher Niederkofler stammt. „In Nepal machen die mit den Yaks genau dasselbe“, erklärt Niederkofler, der sich intensiv mit Bergkulturen aus aller Welt beschäftigt. Und: „Das ist ein einzigartiges Produkt, das du eben nicht in Hamburg oder New York bekommst.“

Der bekannte Südtiroler Architekt Walter Angonese hat nicht nur die Villa mit ihren 4,50 Meter hohen Räumen sanft unter Denkmalschutzvorkehrungen renoviert, sondern auch einen futuristischen Küchenanbau angesetzt. Aufgebaut ist das Restaurant wie eine Wohnung in besseren Kreisen: Wer eingelassen werden will, muss klingeln, raus in den Garten führt eine geschwungene Treppe, unter den feinen Leder- und Stöckelschuhen knirscht der Kies. Nebenan in der Tuchwarenfabrik werden seit 1894 die Loden hergestellt. Es ist das älteste Industrieunternehmen im Südtiroler Pustertal. Klar, dass das Servicepersonal in den guten Stoff gewandet ist.

Können Köche die Welt verändern?

Eigentlich könnte Niederkofler in Rente gehen. Aber er hat noch viel vor. Können Köche die Welt verändern? Er ist davon überzeugt – und lebt es vor. Seine Projekte reichen weit über Südtirol hinaus. Sein Manifest hat er schon auf Venedig übertragen und es „Cook the Lagoon“ genannt. Derzeit arbeitet er an Ähnlichem in Mailand und in Saudi-Arabien. Er wird nach Indien in die Himalaja-Region reisen, um dort noch mehr von der Bergkultur zu verstehen. Auch Australien und die Aborigines stehen auf seinem Plan. Er ist wissensdurstig, möchte das große Ganze verstehen. „Mein Ziel ist es, das Wissen weiterzugeben, Leute auszubilden.“ In seinem Lokal beträgt das Durchschnittsalter 26 Jahre. Er möchte etwas nachhaltig ändern. Seine Söhne sind 13 und 5 Jahre alt.

Immer wieder drängt sich die Frage auf, was Luxus ist? Ist es der Kaviar oder die Karotte, die der Bauer, der keine Pestizide verwendet, morgens aus dem Boden gezogen hat? Niederkofler vermisst nichts, keinen Steinbutt, keine Jakobsmuschel. „Wir haben sogar Sojasoße, aber die machen wir selbst aus Berglinsen“, so Niederkofler.

Damit sein Wissen weitergegeben wird, gibt es an der Universität in Bozen den Studiengang Gastronomie und Önologie in Bergregionen, den Niederkofler mit entwickelt hat. Es geht um Bergkulturen, Landwirtschaft und Weinbaukunde. Niederkofler weiß, dass sich vieles ändern muss. „Die Rolle eines Kochs muss anders gedacht werden“, so Niederkofler. „Man muss versuchen, Dinge zusammenzubringen.“ So ist das Atelier Moessmer mit dem Alpinn auf dem Kronplatz und all den anderen Aktivitäten vielleicht gar mehr als ein Restaurant. Niederkofler nennt es „Think Tank“. Es ist ein Ort, der die Welt ein bisschen besser machen möchte.

Bruneck und Umgebung

Atelier Moessmer
Via Walther Von Der Vogelweide, 17 - 39031 Brunico (BZ); https://ateliernorbertniederkofler.com/de/

Alp.Inn
Kronplatz 11, 39031 - Bruneck, täglich 9.30 bis 16.15 Uhr https://alpinn.it/de/

Hoteltipp
Wer im Hotel Petrus übernachtet, hat einen Tisch im Atelier Moessmer sicher. https://www.hotelpetrus.com/

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