Nur kurz wollte er in Stuttgart bleiben – und feiert nun 50 Jahre als Wahl-Stuttgarter. Der Theaterchef und Regisseur Charles C. Urban, ein US-Amerikaner, sagt, warum er von dieser Stadt nicht loskommt, wie sie sich verändert und was ihn einst hier irritiert hat.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Le Grand Rex ist ein unter Denkmalschutz stehendes Pariser Kino, das heute als Theater und Konzertsaal dient. Es fasst 2750 Zuschauer und ist in den 1930ern nach dem Vorbild amerikanischer Filmpaläste errichtet worden. Dorthin hat es am Dienstag Charles C. Urban, ein in Stuttgart lebender US-Amerikaner, gezogen – zum Auftritt von Bob Dylan. Kann es eine bessere Vorbereitung geben als den Konzertbesuch für das Stück „The Legend of ol’ Bob Stuff“?

 

Im Merlin im Stuttgarter Westen will Urban mit dem New English American Theatre Dylans Geschichte aufführen mit Songs des heute 81-Jährigen. Nicht allein Premiere einer spannenden Inszenierung kann der Regisseur feiern. Er feiert 50 Jahre Stuttgart! Dass er nicht in Chicago studiert hat, was eigentlich der Plan 1972 war, hat er bis heute nicht bereut. Es gibt viele Gründe, warum er seine Wahlheimat Stuttgart liebt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

„In Chicago gab’s Ketten, in Stuttgart inhabergeführte Traditionsläden“

Stuttgart oder Chicago? Wie so oft haben der Zufall und das Herz entschieden. Charles C. Urban war 18 Jahre jung, als er Urlaub in München machte. Dort fanden die Olympischen Spiele statt. In der bayerischen Hauptstadt lernte er eine Stuttgarterin kennen. Deshalb fuhr er spontan mit ihr in die Kesselstadt – und konnte nicht ahnen, so lange hier zu bleiben.

„Wäre das Mädchen aus Oberammergau gewesen, würde ich heute vermutlich englischsprachiges Theater vor Alpenkulisse machen“, sagt er. Was ihm damals in Stuttgart auffiel? „Als Amerikaner und Neuankömmling in Stuttgart war ich begeistert von dem vielen kleinen inhabergeführten Traditionsgeschäfte, viele in Familienbesitz seit Generationen“, erinnert er sich, „das kannte ich nicht, denn in Chicago gab es schon damals fast ausschließlich Kettenläden und unpersönliche Franchise Geschäfte.“ Alles sei „einige Nummer kleiner“ gewesen als er es gewohnt war, was der junge Charles als „persönlicher und herzlicher“ empfand.

Probleme hat er mit den Öffnungszeiten in Stuttgart

Die Magie der Topagrafie hat es ihm angetan. „Chicago ist flach wie es flacher nicht geht“, sagt er. Er genoss es, mit den Straßenbahnen die Hügel hinauf und runter zu fahren und so alle Stadtteile kennenzulernen. „Heute sind leider viele dieser schönen, aussichtsreichen Strecken unter die Erde verbannt“, bedauert er, ist aber ein Fan der Zacke und Seilbahn.

Was ihm anfangs Probleme bereitete: „Das waren die Öffnungszeiten. Die lokalen Geschäfte machten um 18 Uhr zu und in der Stadt um 18.30 Uhr. Samstags musste man sich beeilen um vor 14 Uhr etwas in der Stadt einzukaufen. Nicht einfach für einen Langschläfer!“ Sonderbar fand er, der mit 24-Stunden-Fernsehprogramm aufgewachsen war, dass in Deutschland um Mitternacht das Testbild kam.

Urban kennt OB Nopper, seit dieser elf Jahre alt ist

Charles C. Urban machte in einem Dental Labor an der Tübinger Straße eine Lehre als Zahntechniker – und lernte den damals elfjährigen Frank Nopper, heute OB von Stuttgart, kennen. Im selben Haus befand sich die Kanzlei des Vaters von Nopper. An Fasching, wenn der Umzug vorbeizogen, standen alle gemeinsam auf dem Balkon.

Wie sich Stuttgart in 50 Jahren verändert hat? „Stuttgart ist definitiv Internationaler geworden“, antwortet er, „mit allen Vor- und Nachteilen“. Stuttgart sei eine buntere Stadt geworden – mit vielen neuen Möglichkeiten. „Ich bin so lange hier, ich weiß genau wo und wann das erste indische, thailändische, mexikanische, chinesische etc. Restaurant eröffnet hat – und der erste McDonalds!“

Was ist aus der Frau geworden, derentwegen er nach Stuttgart kam?

Sein New English American Theatre ist nun 31 Jahre alt. Anfangs war das Publikum zu gleichen Teile „native Speakers“, also Briten und Amerikaner, und Deutsche, die ihr Schulenglisch auffrischen wollten. Mittlerweile stammt ein sehr großer Anteil des Publikums aus Einwanderungsländern, in denen English als Zweitsprache gesprochen wird. Zu den Höhepunkten im Theater zählt er sein erstes Musical „The Fanasticks by Harvey Schmidt und Tom Jones“ sowie „The Event by John Clancy“, ein Stück, das er völlig neu konzipiert hat und das in Den Haag beim Festival of European Anglophone Theatrical Societies ausgezeichnet wurde.

Was ist aus der Frau geworden, deretwegen er nach Stuttgart kam? „Das Abenteuer und Wagnis, nach Stuttgart zu ziehen, hat sich gelohnt“, sagt er heute: „Wir sind seit 45 Jahre verheiratet und glücklich miteinander“. Das Theater sei eben „nur“ seine zweite Liebe.