Immer wieder gibt es Kritik an der Vergabe von sportlichen Großveranstaltungen. Wo liegt die Grenze zwischen Politik und Sport?

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Kiew - Als die Menschenrechtsdebatte um die Olympischen Spiele 2008 in Peking kurz vor den Spielen wieder kräftig Fahrt aufnahm, sprach Chinas Premier Hu Jintao diesen einen Satz, der längst zu einem geflügelten Wort in der sportpolitischen Landschaft geworden ist: „Don’t mix politics with games.“ Man möge Politik und Spiele trennen.

 

Es ist das Mantra der Funktionärskaste.

Gigantische PR-Plattform?

Die Spiele in Peking fanden natürlich statt, und alle Fragen um die Situation von Oppositionellen in der Volksrepublik wurden nach der Eröffnungsfeier von einem 16-tägigen Rausch der prächtigen Bilder übertüncht. Nun also die Ukraine. Und wieder wird der Sport mit der Frage konfrontiert, ob man sich einfach so auf diese bequeme Ansicht zurückziehen darf. Darf man einem autoritären Regime wie jenem in Kiew eine gigantische PR-Plattform wie eine Fußball-EM bieten? Stellvertretend für viele wirft die Grünen-Politikerin Viola von Cramon der Uefa vor, im Vorfeld der EM nicht genügend Druck auf den Ausrichter ausgeübt zu haben. Der Präsident des Europäischen Fußball-Verbandes (Uefa), der Franzose Michel Platini, verweist bei dieser Kritik immer wieder auf die Stellung des Sports. „Wir sind keine politische Institution, und wir werden nie eine sein.“

Der Sport als integrierendes Element

Funktionäre tragen gerne ein Sendungsbewusstsein vor sich her, wenn es darum geht, die positive Wirkung herauszustellen. Der Sport als integrierendes Element einer auseinanderdriftenden Welt – so oder so ähnlich wird das in den Konzernzentralen der großen Sportorganisationen wie dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), dem Fußball-Weltverband (Fifa) und der Uefa gesehen. Als größter gemeinsamer Nenner der Erde. Auch westliche Politiker profilieren sich gerne auf Kosten des Sports und nutzen die Strahlkraft der Großereignisse für ihre Zwecke. Der IOC-Präsident Jacques Rogge geißelt die Doppelmoral und warnt vor einer Überfrachtung und viel zu großen Erwartungen, wenn es um sportliche Großereignisse geht: „Wenn ausländische Politiker im Vorfeld der Spiele mit China hart ins Gericht gehen, dann aber an den Eröffnungsfeierlichkeiten zugegen sind, ja sogar Wirtschaftsverträge mit China abschließen – was soll ich davon halten? Wir können nicht alle Probleme dieser Welt lösen“, hat Rogge einmal im Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ gesagt.

Funktionäre haben keine Berührungsängste

Tatsächlich aber geht der Sport auf seiner Welttournee mit seinen begehrten Hochglanzprodukten Problemen auch nicht unbedingt aus dem Weg. Die Funktionäre haben keine Berührungsängste mit den Potentaten dieser Welt, die sich nur allzu gerne mit sportlichen Großereignissen schmücken. Mal wird der Sport aktiv missbraucht. Man denke nur an die Olympischen Spiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles, die zu einem Schlachtfeld des Kalten Krieges mutierten und die olympische Idee konterkarierten. Damals drohte der Sport zwischen den politischen Systemen zerrieben zu werden.

Mal lässt sich der Sport wissentlich missbrauchen. Man denke an die Fußball-WM 1978 in Argentinien, als im Umfeld des Ereignisses die Militärjunta weiter mordete. Oder an die Spiele in Peking, oder an die Winterspiele 2014, die im russischen Sotschi ausgetragen werden. Die Gefahr, für politische Propaganda instrumentalisiert zu werden, ist allgegenwärtig.

Dieses Bewusstsein ist indes nicht allzu stark ausgeprägt und führt bisweilen zu sehr fragwürdigen Entscheidungen. Der Eishockey-Weltverband IIHF etwa hält trotz großer internationaler Proteste daran fest, dass die WM 2014 in der letzten Diktatur Europas stattfinden wird, in Weißrussland. Und erst vor einer Woche drehte der Formel-1-Zirkus unbeirrt von den Protesten in Bahrain seine Runden.

Die Vergabe von Sportereignissen erfolgt (den Faktor Korruption einmal ausgeklammert) unter strategischen Gesichtspunkten. Es geht um Milliarden, nicht um Menschenrechte. Es geht um Märkte, für die Idee und den Sport, aber natürlich auch für die Sponsoren und deren wirtschaftliche Interessen. Der asiatische Markt ist lukrativ und noch nicht ausgereizt, ebenso Südamerika – und eben Osteuropa.