36 Extremistengruppen in 18 Staaten haben dem selbst ernannten Kalifen al-Baghdadi Gefolgschaft geschworen. Darunter sind auch Kommandos in den Mittelmeerstaaten Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten.

Stuttgart - Vor zwei Jahren waren seine Krieger noch eine abtrünnige Filiale von Al-Kaida im Irak und in Syrien. Heute ist der Islamische Staat die mächtigste und reichste Terrororganisation der Welt mit eigenem Staatsgebiet und globaler Propagandamaschine, die Radikale auf allen Kontinenten mobilisiert. In zahllosen Sprachen brüsten sich die Dschihadisten auf Twitter und Facebook mit Enthauptungen, Massenhinrichtungen und Kreuzigungen – eine bestialische Brutalität, zu der selbst ihre früheren Al-Kaida-Chefs in Afghanistan auf Distanz gingen.

 

Die Henker schneiden Gefangenen vor laufender Kamera die Köpfe ab, überrollen ihre Opfer mit Panzern oder verbrennen sie bei lebendigem Leibe in Käfigen. Jesidische Frauen wurden zu Tausenden verschleppt und als Sexsklavinnen an verdiente Kämpfer verkauft. Als „mittelalterlich-modernen Faschismus“ prangerte US-Außenminister John Kerry kürzlich das Treiben der Mörder an.

„Wir kennen keine Grenzen, wir kennen nur Fronten“

Seit Anfang letzten Jahres haben sie in der syrischen Provinzstadt Raqqa ihr Hauptquartier. Im Juni 2014 gelang es wenigen Hundert Kämpfern, im benachbarten Irak die Zwei-Millionen-Metropole Mosul im Handstreich zu nehmen. „Wir kennen keine Grenzen, wir kennen nur Fronten“, hieß ihr Motto. Bald standen die Dschihadisten vor Erbil und Bagdad, doch dann häuften sich die Rückschläge. Aus Tikrit und Kobane wurden sie nach heftigen Kämpfen vertrieben, letzte Woche auch aus der strategisch wichtigen Kleinstadt Sinjar. Im Gegenzug gelang es den Männern im Westen des Irak die gesamte Provinz Anbar mit den Städten Ramadi und Falludscha in ihre Gewalt zu bringen. In Syrien schossen sie sich durch die Eroberung von Palmyra den Weg in Richtung Damaskus frei.

Ideologisch ist die Anziehungskraft des Islamischen Staates ungebrochen, so dass er sich parallel zu seinem Kalifats-Territorium in Syrien und im Irak immer mehr zu einem transnationalen Terrorimperium entwickelt. Drei Dutzend Extremistengruppen in 18 Staaten haben dem selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi bisher die Gefolgschaft geschworen, darunter Kommandos in den Mittelmeerstaaten Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Der IS-Ableger „Provinz Sinai“ steht im Verdacht, vor zwei Wochen eine russische Urlaubermaschine mit 224 Passagieren zerstört zu haben, die auf dem Weg von Scharm al-Scheich nach St. Petersburg war.


 

Schätzungsweise 6000 Europäer kämpfen für den IS

Die Kämpfer des Islamischen Staats sind gut trainiert und kriegserfahren, die Zahl der willigen Selbstmordattentäter beispiellos. Nach Schätzungen von Brüssel kämpfen 6000 Europäer in ihren Reihen, darunter 25 ehemalige Bundeswehrsoldaten. Aus den arabischen Staaten stammen mindestens 20 000 Extremisten, die größten Kontingente aus Tunesien, Saudi-Arabien und Marokko – inzwischen aber auch aus dem Kaukasus und den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens. Die Gesamtstärke der Terrormiliz wird auf 50 000 Mann geschätzt, andere Quellen sprechen sogar von 100 000. Geworben werden die selbst ernannten Gotteskrieger vor allem im Cyberspace und in radikalen Moscheen. Nach einer Studie der renommierten Brookings Institution verfügt der IS über 45 000 bis 70 000 Twitterkonten, die im Schnitt je 1000 Follower haben.

Das Vermögen der Terrormiliz schätzen westliche Geheimdienste auf mehr als zwei Milliarden Dollar. Die USA und Europa verdächtigen seit Langem superreiche Privatleute, salafistische Stiftungen und Moscheevereine aus Kuwait, Katar, den Emiraten und Saudi-Arabien, die Gotteskrieger zu finanzieren. Die saudische Regierung dagegen versichert, die Geldflüsse seien inzwischen gestoppt. Alle Bankkonten würden regelmäßig auf verdächtige Bewegungen geprüft.

Der IS verfügt über zahlreiche Einnahmequellen

Bedingtes Lob kam vom renommierten Washington Institute for Near East Policy. Der Eindruck sei falsch, dass das Königreich nichts tue, um private Spenden an Terrorgruppen zu unterbinden, heißt es in einer Studie. Die sichtbarste Aktion sei die Überwachung des Banksektors, um verdächtige Transaktionen zu blockieren. Doch das reiche nicht aus, weil ein beträchtlicher Teil der Gelder nach wie vor in bar transferiert werde, lautete das Fazit der US-Experten. „Riad könnte wesentlich mehr tun, um private Spenden zu begrenzen.“

Darüber hinaus verfügt der IS längst über andere Einnahmequellen. Die Terrorführer verkaufen Öl aus eroberten Fördergebieten in Syrien und im Irak, betreiben Kidnapping und Schutzgelderpressung in einem industriellen Maßstab. Unternehmen müssen Wegzölle entrichten, die zehn Millionen Untertanen zahlen Steuern. Nach einer Studie der amerikanischen Rand-Stiftung nimmt der IS allein durch Erpressung und Steuern im Jahr 400 Millionen Dollar ein. Hinzu kommen 500 Millionen aus dem Verkauf von Erdöl über türkische, irakische und kurdische Banden.

Sie besitzen 253 Ölquellen – davon sind 161 in Betrieb

Dreistellige Millionenbeträge fließen obendrein durch den Schmuggel mit geraubten Antiquitäten. Washington kalkuliert die Ölproduktion der Terrormiliz auf bis zu 50 000 Barrel pro Tag. Auch die Dschihadisten führen peinlich genau Buch. Ihr „Finanzministerium“ bezifferte die Zahl seiner Ölquellen jüngst auf 253, von denen 161 in Betrieb sind. Selbst die mehr als 6000 alliierten Luftangriffe konnten das blühende Geschäft nicht zum Erliegen bringen. Allerdings gelang es am Montag einem US-Kampfflugzeug mit einem Streich 116 IS-Tanklaster zu sprengen.