Der Pop-Crooner Morrissey fühlte sich vom „Spiegel“ falsch zitiert – Nun legt das Magazin Beweise vor. Der Streit geht weiter.

Hamburg - Diese Nummer ging nach hinten los. Zumindest für Steven Patrick Morrissey. Der frühere The Smiths-Sänger warf dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vor, ihn in einem Interview falsch zitiert zu haben. Morrissey unterstrich seihttp://78.media.tumblr.com/f7fb0c4e3c8a835025294081b278434b/tumblr_ng3ag2mR4n1rq3prxo1_1280.jpgne bisherigen Dementi am vergangenen Montag via Facebook nochmals und verkündete bei einem Konzert, man möge bitte nichts glauben, es sei denn, man hätte gesehen oder gehört, wie ihm die Worte aus dem Mund kommen. „Der Spiegel“ leistete derweil Morrisseys Aufforderung Folge und veröffentlichte das Gespräch, das im November in Los Angeles geführt wurde.

 

Kurz: Er wurde nicht falsch zitiert. Oder, wie ein britisches Magazin kommentierte: „O je! Das ist ja noch viel schlimmer als angenommen.“ Besagtes Interview verursachte selbst unter glühenden Verehrern des Sängers Kopfschütteln. Da plauderte der in Los Angeles lebende Morrissey freimütig, gewohnt streitbar und bisweilen eben auch sehr einfältig über seine Sicht auf das derzeitige Weltgeschehen: Brexit, Tierrechte, Donald Trump, Harvey Weinstein, Flüchtlinge und nationale Identität.

Morrissey erklärt die Welt

Im Gespräch bezeichnete er unter anderem den Brexit als den größten demokratischen Sieg in der Geschichte der britischen Politik seit vielen Jahren. Er fragte, wo, bitte schön, die Eltern des 14-jährigen Jungen waren, als der Schauspieler Kevin Spacey ihm gegenüber mutmaßlich sexuell übergriffig wurde. Er nannte Berlin „die Vergewaltigungshauptstadt“ – „ja, ja! Wegen der offenen Grenzen“. Und er betrieb „Victim Blaming“, indem er die Motivation der mutmaßlichen Opfer von Harvey Weinstein infrage stellte.

Das alles wäre genügend Stoff für hitzköpfige Diskussionsrunden gewesen, zumal der 58-Jährige die Provokation und eiskalten Zynismus von jeher als stimulierende Stilmittel einsetzt. Fans des Sängers wissen das einzuordnen, etwa wenn der Veganer beim Geruch von Imbissbuden auf einem Festival sagt: „Ich rieche verbranntes Fleisch. Bei Gott! Ich hoffe, es ist Menschenfleisch.“

Morrisseys Vorwürfe sind haltlos

Nun wählte Morrissey leider den Weg, die Aussagen kategorisch wegzuleugnen und die „Spiegel“-Autorin Juliane Liebert als Lügnerin hinzustellen, anstatt vom Ross zu steigen und sich zu erklären. Weder der Autorin noch dem Magazin lassen sich da Vorwürfe machen. Höchstens denen, die die griffigen Sätze verbreiteten, ohne auch die Zeilen zu berücksichtigen, in denen „Moz“, wie seine Fans ihn auch nennen, seine teils haarsträubenden Gedanken zumindest ein bisschen präzisiert.

Morrisseys Problem scheint da nicht nachlässiger oder miserabler Journalismus, sondern vielmehr die eigene Eitelkeit zu sein. Sein ewiges Selbstbild vom Elder Statesman, der den Doofen mal eben die Welt erklärt und den Einzelkindern ein großer Bruder ist. Fast selbstbesoffen von der eigenen Genialität wettert er auf seiner neuen Platte gegen das Establishment, gegen die Eliten und gegen die Medien, die alle lügen. Als ob noch immer 1991 wäre, und nicht längst auch die Frustrierten, die Rassisten und Trump mit der gleichen Argumentation hausieren gehen würden.