Rabindra Puri restauriert alte Häuser in Nepal. Zu Zeiten des Betonbooms wurde er deshalb ausgelacht. Jetzt ist er wegen seiner Kenntnisse der traditionellen Newari-Architektur ein gefragter Mann, berichtet unser Korrespondent Willi Germund.

Kathmandu - Das unversehrte jahrhundertealte Bauernhaus wirkt mit seinen dunklen Ziegeln, den getrockneten Knoblauchzehen und Sonnenblumen an der Veranda und den fein geschnitzten Simsen wie eine Provokation inmitten der Zerstörung, die Nepals Erdbeben über Bhaktapur in der Nähe der Hauptstadt Kathmandu gebracht hat. Der Sanskrit- Name der Stadt bedeutet auf Deutsch „Ort der Gläubigen“. Doch nicht einmal die eigene Familie will dem Hausbesitzer Rabindra Puri glauben. Der 45-jährige kann noch so oft wiederholen: „Das Haus ist so gut wie erdbebensicher.“ Seine Frau, die beiden Kinder und die Mutter schlafen wie alle Nachbarn lieber in einem Zelt im Hof.

 

Der 45-Jährige hat sich längst daran gewöhnt, nicht ernst genommen zu werden. „Als ich das alte Bauernhaus Ende der neunziger Jahre gekauft und renoviert habe“, erzählt der Familienvater, „bin ich ausgelacht worden.“ Seit dem Erdbeben auf dem Dach der Welt, das mehr als 8500 Menschenleben kostete und mehr als 3000 Erdrutsche verursachte, gilt der gedrungene kräftige Mann in Nepals Öffentlichkeit wegen seines schmucken und vor allem unversehrten Haus im Zentrum von Bhaktapur als eine Art Heilsbringer. „Ich werde ins Fernsehen eingeladen, dauernd klopfen Besucher an meine Tür, und jeder will wissen, wieso meine Haus und andere von mir errichtete Gebäude nicht eingestürzt sind“, sagt Puri und verkneift sich jeden Anschein von Rechthaberei.

Die neuen Götzen Zement und Aluminium

Dabei hätte er allen Grund, die 28 Millionen Einwohner zählende Himalaja-Nation mit erhobenem Zeigefinger nach dem Motto „Ich habe es euch schon immer gesagt“ zu schelten. Denn noch vor ein paar Wochen wollte niemand zuhören, wenn er von den Vorzügen seiner architektonischen Ideen schwärmte. Schließlich hatte Puri bewiesen, dass die Renovierung seines jahrhundertealten Bauernhauses billiger kam als ein Neubau. Auch seine Warnungen vor den wahrscheinlichen katastrophalen Folgen eines Erdbebens verhallten.

Denn Nepal glaubte längst an einen Götzen, der erstmals in den sechziger Jahren im Tal von Kathmandu aufgetaucht war. „Das Unheil begann, als erstmals Zement in unserem bis dahin abgeschotteten Nepal erschien“, sagt Puri. Neue Bauingenieure des Landes wurden im benachbarten Indien und in der Sowjetunion ausgebildet und kehrten mit einem unerschütterlichen Glauben an die vermeintlichen Wunderkräfte von Zement und Beton zurück.

„Die Lehren der Newari-Architektur wurden darüber weitgehend vergessen“. Puri zeigt auf sein eigenes unversehrtes Haus und fügt im Ton tiefer Befriedigung hinzu: „Wenn man früher auf mich gehört hätte, wäre das Erdbeben sehr viel glimpflicher abgelaufen.“

Die Newari wussten, wie man erdbebensicher baut

Die Newari lebten während der Malla-Ära vom elften bis 19. Jahrhundert im Tal von Kathmandu und lernten im Laufe der Jahrhunderte, wie sie ein nahezu hundertprozentig erdbebensicheres Haus bauen mussten. Holzstreben, die die Wände nach einem ausgeklügelten System verbinden, und Deckenbalken, die zusätzliche Stabilität verleihen, so lauten die einfachen Rezepte, die bei Nepals Erdbeben den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen konnten. „In Kathmandu sind meines Wissens alle Gebäude mit mehr als sechs Stockwerken unbrauchbar“, sagt Puri. Aber auch viele 100 bis 150 Jahre alte Häuser in Bhaktapur seien eingestürzt – „weil sie nie instand gehalten wurden“.

Während der siebziger und achtziger Jahre finanzierte und organisierte Deutschland die Restaurierung vieler historischer Gebäude in dem Ort, der während der vergangenen Jahrtausende an der profitablen Handelsroute zwischen China und Indien lag und nicht nur wegen seiner historischen Gebäude, sondern auch seines Joghurts bekannt ist. 116 Denkmäler erlitten während des Bebens Schäden. „Soweit ich gesehen habe, wurde aber nur ein einziger von Deutschland restaurierter Tempel beschädigt“, sagt Puri.

Der Nepalese studierte Anfang der neunziger Jahre in Bremen Entwicklungspolitik und verbrachte nach seiner Heimkehr in den Himalaja ein paar Jahre bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Dann verschrieb Puri sich der Restaurierung und Instandhaltung von Gebäuden. Vor allem aber belebte er die Lehren der Newari-Architektur.

Die Furcht ist noch immer allgegenwärtig

Ein paar Tage nach dem zweiten großen Beben am 12. Mai überwindet Puri wie ein geübter Bergsteiger die Schutthalden in den Gassen und turnt an Zelten vorbei, in denen viele Bewohner Bhaktapurs auch Tage nach den Beben noch übernachten. Selbst in Puris Büro scheint die Furcht immer noch allgegenwärtig. Im Erdgeschoss des Gebäudes fertigen der homöopathische Arzt Ambika Prasad Gyawal im Motorradschutzhelm und sein Kollege Roj Prajapati im Bauhelm Patienten ab. „Man weiß nie“, sagen die beiden fast gleichzeitig. Rabindra Puri lächelt.

Puris Schulen stehen allesamt noch

Nicht nur sein Haus und sein Bürogebäude haben das Beben unbeschadet überstanden. Besonders stolz ist er auf das Dutzend Schulen, das er während der vergangenen Jahre baute: „Sie stehen alle noch und dienen jetzt mit Ausnahme von zwei Gebäuden, in den es Risse gibt, als Notunterkünfte.“ Mit seinen Schulen, alle streng nach den guten alten Newari-Regeln errichtet, blamierte er die Behörden des Landes. In ganz Nepal verwandelten sich während der beiden Beben 16 000 vom Staat errichtete Schulgebäude in Trümmerhaufen. Rund 200 000 Schüler, so Schätzungen, müssen deshalb während des Monsuns der kommenden Monaten in Notunterkünften unterrichtet werden.

„Unser Ziel war, in jedem der 75 Distrikte des Landes eine Modellschule zu bauen“, erzählt Puri. Es waren schwierige Jahre als Missionar in Sachen Newari-Architektur. Wie Don Quijote kämpfte er gegen die Windmühlenflügel der Bürokratie und der Zementlobby. Zu seinem Glück musste Puri während der vergangenen Jahre nicht alleine die Schlacht für fast erdbebensichere Schulgebäude ziehen. Der Verein Schulen für Nepal, zu einem erheblichen Teil von dem Rechtsanwalt Hans Joachim Schneider aus dem Berliner Stadtteil Charlottenburg gesponsert, steuerte die Mittel für den Bau der Schulen bei, die plötzlich als Zukunftsmodelle gelten. „Ich hoffe“, sagt Puri, „in Zukunft wird es einfacher sein, die Behörden zu überzeugen.“

Pure Vernunft wird in Nepal nicht siegen

Puri weiß allerdings genau, dass trotz vieler Todesopfer beim Erdbeben beim Bauen in Nepal Vernunft allein kaum etwas zählt. Vor zehn Jahren noch war es billiger, sein Haus für etwa 15 000 Euro zu renovieren, als ein neues Gebäude zu errichten. Vor zwei Jahren machte dann die Aluminiumindustrie des Landes so lange mobil, bis die Holzpreise angehoben wurden. Jetzt kosten Renovierung alter Häuser und Neubauten das gleiche – und nepalesisches Holz ist in Indien billiger als in Nepal selbst. In den Wochen nach der der Katastrophe denken Nepals Politiker vor allem an ihre Geschäftsfreunde. Kathmandu befahl Hilfsorganisationen in der vergangenen Woche, Wellblech statt Zeltplanen an obdachlose Erdbebenopfer zu verteilen. Es gibt zwar gegenwärtig nicht genug auf dem Markt. Aber die Hauptsache ist, dass die Aluminiumindustrie mit ihrer Wellblechproduktion an der Erdbebenhilfe verdient.