Bei der Reanimation von Menschen mit Herzstillstand ist Deutschland Schlusslicht. Das Klinikum Ludwigsburg will dagegen angehen. Das Beispiel der Familie Buchgraber aus Ingersheim zeigt: Wiederbelebung kann fast Wunder wirken.

Ingersheim/Ludwigsburg - Der Tag, an dem Klaus Buchgrabers Herz aufhört zu schlagen, ist ein ganz normaler Montag. Der 55-jährige Versuchstechniker verlässt seine Arbeitsstätte in Bietigheim, stellt sein Auto in eine Tiefgarage, seine Tochter will es später dort abholen. Klaus Buchgraber geht zu Fuß nach Hause, bis Ingersheim sind es etwa 50 Minuten. Dann setzt er sich zu seiner Frau auf die Couch, wischt sich den Schweiß von der Stirn – und sackt leblos auf den Boden.

 

„Es hat mich aus heiterem Himmel getroffen“, sagt Klaus Buchgraber heute, gut neun Wochen später. Er habe damals großes Glück gehabt. Herzinfarkt mit Herzstillstand: seine Frau Gabi ist ausgebildete Krankenschwester und reagiert sofort. Schnell beginnt sie mit der Herzdruckmassage, damit sein Gehirn weiter mit Sauerstoff versorgt wird. Zum Glück sitzt der Nachbar, Carsten Mack (39) gerade beim Rauchen vor dem Haus. Er drückt weiter kräftig auf Klaus Buchgrabers Brustkorb, „bis mein T-Shirt völlig durchgeschwitzt war“.

„Als ob nie etwas passiert wäre“

Die Geschichte hat ein überaus glückliches Ende. „Heute ist für mich alles, als ob nie etwas passiert wäre“, sagt Klaus Buchgraber. Genau deshalb unterstützen die Buchgrabers auch eine Initiative des Klinikums Ludwigsburg. „Jeder kann ein Leben retten“, heißt die Aktion, mit der die Mediziner an allen Schulen im Landkreis Ludwigsburg das Thema Herz-Lungen-Wiederbelebung zum festen Bestandteil des Alltags machen wollen.

Die beiden Projektmacher Christian Wolpert (Kardiologe) und Götz Geldner (Intensivmediziner) hätten gerne öfter Fälle wie jenen der Buchgrabers. Die Quote der von Laien reanimierten Menschen sei in Deutschland „beschämend schlecht“, hatte Geldner schon im September vor Ludwigsburger Berufsschülern gesagt. Nur jeder zehnte Patient überstehe einen Herzstillstand ohne Hirnschäden, „diese Zahl ließe sich auf 20 oder 25 Prozent erhöhen – das ist unser Ziel“, sagt Geldner. Sein Konzept fußt auf zwei Annahmen. Erstens: auf die Herzmassage kommt es an. Wer die Beatmung weglasse – aus Angst, etwas falsch zu machen, oder aus Ekel, etwa, weil der Bewusstlose sich übergeben hat – könne damit ein Leben retten. Zweitens: Jugendliche sind häufig anwesend, wenn ein Herzstillstand passiert. Denn die allermeisten Vorfälle ereignen sich zuhause.

Gabi Buchgraber kann aus ihrer ganz persönlichen Erfahrung noch einen ermutigenden Punkt hinzufügen: „Bei echten Menschen geht das Drücken viel leichter, als bei den Übungspuppen.“ Sie sei noch heute dankbar, dass ihr Nachbar ihr geholfen habe, „ich weiß nicht, ob ich es alleine geschafft hätte“. Carsten Mack ist heute noch mitgenommen, wenn an die Reanimation seines Nachbarn denkt. „Ganz ehrlich gesagt: ich hatte zwischendurch das Gefühl, ich drücke an einem Toten rum.“ Eine knappe Viertelstunde habe er gedrückt, gedrückt, gedrückt, nur wenn Gabi Buchgraber ihren Mann per Nase beatmete, machte er Pause. „Danach hat es sich angefühlt, als würde ich die ganze Luft wieder aus ihm rausdrücken“, sagt Carsten Mack.

„Ein Beispiel fürs Lehrbuch“

Dass er und seine Nachbarin alles richtig gemacht haben, bis der Notarzt kam, hat er erst zwei Tage später erfahren. Zwischendurch wurde Klaus Buchgrabers Körper auf 33 Grad gekühlt, er wurde am Klinikum Ludwigsburg in ein künstliches Koma versetzt, um die Sauerstoffversorgung seines Gehirns sicherzustellen. Am Mittwochmorgen, etwa 38 Stunden nach seinem Infarkt, wachte der 55-Jährige auf.

Das Licht eines Deckenleuchters im Krankenzimmer war das erste, was er sah. „Mein erster Gedanke war beim Blick nach oben: seit wann haben wir unsere Decke gelb gestrichen“, erinnert sich Klaus Buchgraber. Sein kräftiges „Guten Morgen“ habe die Krankenschwester etwas erschreckt („sie hatte gar nicht mit mir gerechnet“). Als er auf ihre Frage, ob er seine Zehen bewegen könne, nur antwortet „wo, rechts oder links?“, sei sie mit einem Freudenschrei aus dem Zimmer gestürzt. Fälle wie den von Klaus Buchgraber gibt es hierzulande selten. Später habe eine Mitarbeiterin zu seiner Tochter gesagt: „Dein Papa ist ein Beispiel fürs Lehrbuch.“

Genau da wollen die Klinikärzte Christian Wolpert und Götz Geldner solche Fälle auch sehen. Mit Unterstützung der Kreissparkassenstiftung wollen sie ein ehrgeiziges Ziel erreichen: Als „Pilotprojekt für ganz Baden-Württemberg“ sollten die Schüler der sechs Kreis-Berufsschulen, der 21 Realschulen und der 21 Gymnasien im Landkreis Ludwigsburg in Herz-Lungen-Wiederbelebung ausgebildet werden, so Geldner. Die Stiftung stellt rund 20 000 Euro zur Verfügung – für Übungspuppen und eine Aufwandsentschädigung für die Klinik-Mitarbeiter, die die Schulungen leiten.