Wiedersehen in Stuttgart Am Flughafen fliegen Herzen

Ein Flugzeug im Landeanflug auf den Stuttgarter Flughafen. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Momente des Wiedersehens sind ebenso schön wie flüchtig. Sie können einem den Glauben an die Menschheit zurück geben. Eine Betrachtung von Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Rankings erfreuen sich großen Zuspruchs. Passend zu dieser Darstellungsform könnte man sagen: Sie stehen auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Die zehn angesagtesten Ausflugsorte in the Länd, die fünf aufgewecktesten Langschläfer-Locations in der Stadt, die drei fluffigsten Käsekuchen im Viertel – so was geht immer. Diesem Trend wollen wir an dieser Stelle gerne folgen und fragen: Wissen Sie, an welchen fünf Orten in Stuttgart und Umgebung einem am ehesten das Herz aufgeht?

 

Eine Innigkeit, wie sie einem sonst selten begegnet.

Fangen wir an bei Platz fünf und begeben uns auf den Stuttgarter Flughafen und dort in die Ankunftshalle, Terminal 1 oder 2. Warum das? Weil man hier erleben kann, wie herzlich sich Menschen begrüßen. Oft geschieht das in einer Innigkeit, die einem sonst selten begegnet. Sobald die Glasschiebetüre aufgeht, fliegen bildhaft gesprochen Herzen. Angefangen von den Enkeln, die fröhlich hüpfen und den Großeltern ihre mit Willkommensgrüßen bemalten Plakate entgegenstrecken. Über die junge Frau mit Rucksack, die ihrem Partner um den Hals fällt, der sie traditionell mit Blumen erwartet. Bis zu dem älteren Herrn, der der älteren Dame nach ihrer Ankunft sanft über die Wange streicht, und umgekehrt sie ihm, ehe beide im Gleichklang zum Ausgang gehen. Solche Szenen haben oft auch einen freudigen Vorlauf – wenn die Ankommenden von innen lächelnd Zeichen geben, dass sie noch auf ihr Gepäck am Rollband warten, während die Wartenden draußen an der Scheibe schon aufgeregt winken.

Im stürmischen Hallo ist die Normalität des Alltag angelegt

Es tut gut, diese Freude zu sehen. In den Ankunftshallen der Flughäfen oder auf Bahnsteigen gibt es ungewöhnlich viel Liebes. Die Tränen, die hier vergossen werden, dürfen gerne fließen. Es sind vielfach Freudentränen. Diese Momente können einem den Glauben an die Menschheit zurückgeben, die in den Nachrichten, speziell in den Weltnachrichten, oft monsterhafte Züge annimmt. Doch nicht jeder wird erwartet. In den Blicken von Ankommenden, die alleine oder auch einsam ihrer Wege gehen, ist oft etwas Suchendes.

Und obwohl es wenig Schöneres als ein Wiedersehen und Begrüßtwerden gibt, sind diese Augenblicke höchst flüchtig. Im stürmischen Hallo ist die Normalität des Alltag bereits angelegt und auch das Wieder-Abschied-Nehmen-Müssen. Herzzerreißend sind Bilder von ukrainischen Soldaten auf Heimaturlaub, die ihre Kinder in die Arme schließen. Man möchte diese Momente einfrieren, damit nichts mehr geschieht. Aber die Wirklichkeit des Krieges ist eine andere. Nicht nur in der Ukraine. Auf das Ineinanderfließen folgt das Auseinandergerissenwerden, begleitet von der vagen Hoffnung auf das nächste Wiedersehen.

Sehenswert: die Ausstellung „I said, ,Auf Wiedersehen’“

Denn das Nimmer-Wiedersehen ist als Gefahr stets real vorhanden. Davon zeugt auch eine beeindruckende Ausstellung des Freundeskreises Yad Vashem Deutschland und der Berthold-Leibinger-Stiftung, die vom 25. Oktober an in der Württembergischen Landesbibliothek zu sehen ist. Sie trägt den Abschied im Titel: „I said, ,Auf Wiedersehen’“ und handelt von den Kindertransporten, die 1938/39 von Deutschland aus nach Großbritannien gingen. Damit gelang es, jüdische Kinder vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Viele bestiegen die Züge in der Hoffnung, ihre Familie würde bald nachreisen können. In den allermeisten Fällen konnten sie es nicht, und der Abschied von den Eltern war ein Abschied für immer – ohne dass sich je wieder eine Glastür am Flughafen öffnete oder am Bahnsteig ein Zug anhielt, in dem die Lieben saßen – und die Herzen hätten fliegen können. Es gab keine Begrüßung mehr.

Soviel zu Platz Nummer fünf der besonderen Orte. Und die anderen vier auf der Rangliste? Sind uns gerade entfallen.

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