Wigald Boning hat im Renitenztheater seine Sammlung fremder Einkaufszettel präsentiert. Unter dem Titel „Butter, Brot und Läusespray“ findet der Komiker Absurdes.

Stuttgart - Zur Ergründung des menschlichen Wesens bieten sich verschiedene Methoden an: Man kann einen Beobachtungsposten im Straßencafé besetzen, Verbindungen mit Vertretern der Spezies eingehen, Psychologie studieren oder – fremde Einkaufszettel sammeln. Dieses Verfahren hat Wigald Boning (48) gewählt. Seit 1999 wühlt der Komiker, Moderator und Musiker auf Parkplätzen vor Supermärkten in Mülleimern und hat so „ungefähr 1720 Stück“ vor der Entsorgung gerettet. Unter dem Titel „Butter, Brot und Läusespray – Was Einkaufszettel über uns verraten“ hat er seine Erkenntnisse vor zwei Jahren in einem Buch zusammengefasst. Und unter dem selben Titel hat er seine Sammlung jetzt im Stuttgarter Renitenztheater unter Zuhilfenahme moderner Projektionstechnik präsentiert.

 

Das gute daran: Profiler Bonings Parforceritt durch die Untiefen fettfleckverzierter Gedächtnisstützen unterhält auch dann, wenn er gar nicht lustig ist. Notizen à la „3 x Bier mehr nicht – Ich liebe dich für immer mein Schatz“ (Bonings Lieblingsfundstück) verraten einfach zu viel über menschliches Hoffen und Bangen, als dass sie selbst in beachtlicher Ballung den Zuschauer unberührt lassen könnten. Wobei – Boning tut schon einiges, um seine Einkaufszettel, auf denen auch mal ein paar Zeilen unter der Notiz „Dosenmilch fürs Cloo“ noch „Dosenmilch“ ohne speziellen Verwendungszweck steht, als spaßige Indizien für groteskes Herumwursteln zu kredenzen: Über schwarzen Lackschuhen trägt der Komiker eine helle Sommerhose, deren Enden er in rote Wandersocken gestopft hat. Dazu Bierzelthemd, Krawatte und Schlaumeierbrille.

Und dann macht dieser hibbelige Hobbyforscher natürlich allerlei Wind um seine Erkenntnisse bezüglich der Vorlieben seiner zettelbewehrten Einkäufer, ihrer Herkunft, ihres Bildungsniveaus, ihres Alters. „Das ist ein Zettel aus dem Eishockeyspielermilieu“, argwöhnt Wigald Boning, als auf einem verloren gegangenen Notizzettel jede Menge Konsonanten fehlen.

Der Kuchen einer Gangsterbraut

Überhaupt die Orthografie: Es gebe keine richtige und keine falsche Rechtschreibung, findet der Komiker, es gebe nur individuelle. Genüsslich präsentiert er sodann die „Foiaziogen“ die zum Anzünden der eine Zeile tiefer befindlichen Tabakwaren erforderlich sind, und den „Tunfisch“ ohne h. Anhand der Abdrücke von Autoreifen ist Boning imstande, Sommer-Einkaufszettel von Exemplaren des Winterhalbjahres zu unterscheiden, und einmal, als neben allerlei Backzutaten auch Rasierklingen aufgelistet sind, schließt Boning messerscharf: „Da soll ein Kuchen gebacken werden. Das ist der Kuchen einer Gangsterbraut.“

Dass Rasierklingen nicht als das ideale Werkzeug zum Durchsägen von Gitterstäben gelten, ist Boning längst bekannt, aber gerade mit abstrusen Verquickungen verleiht er seinen Forschungsergebnissen ja ihren absurden Anstrich. Wenngleich das manchmal gar nicht nötig ist: Auf einem Einkaufszettel, der gleichzeitig als To-do-Liste herhalten muss, findet er doch tatsächlich den Eintrag „Hamster anmelden“. Wo das denn zu geschehen habe, weshalb eigentlich, und wer auf diese Idee gekommen ist, das weiß Boning nicht, das muss er auch nicht wissen.

Denn Boning, der für seine Fernsehspäße gleich zweimal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde und auf seinem Jazz-Album elf Blasinstrumente selber einspielte, erweckt als Schlaumeier vom Dienst eh den Eindruck, als ob er viel zu viel wisse. Der Einkaufszettel, glaubt er herausgefunden zu haben, verdanke seine Existenz der „Beschwörung von Jagdglück“. Zum Beweis seiner Theorie zeigt der Entertainer das Dia einer Höhlenmalerei, auf der allerlei zu erlegendes Getier herumwuselt. Vom Cro-Magnon-Menschen über Albrecht Dürer bis zum kritzelnden Bewohner des dritten Jahrtausends, der seinen Einkaufszettel auch mal in den Computer tippt und hinterher ausdruckt, will Boning ein verunsichertes Geschöpf im Dschungel der Waren und Möglichkeiten erkannt haben, das sich nach Kräften um sein eigenes Funktionieren bemüht.

Bloß nicht zu ernst nehmen!

Und manchmal entdeckt der Feldforscher zwischen Fencheltee und Fastfood den einen oder anderen Fehler, den er beherzt als Aufbegehren interpretiert: Hinter dem Begriff „Sewirten“ glaubt er, nach Verwerfung einer Tischbestellung beim Seewirt, „Servietten“ geortet zu haben, die Tücher mit denen sich dinierende Menschen hierzulande den Mund abwischen. „Da zeigt sich die Rebellion“, juchzt der Spaßmacher ob des Rechtschreibfehlers.

Ein Trick von Wigald Bonings Kunst, die einst in einer Schüler-Punkband begann, bestand ja immer darin, dass man sie zu ernst nicht nehmen darf. Aber das Warten auf das „Aktuelle Sportstudio“ an einem Samstagabend verkürzt sie recht kurzweilig um zwei Stunden.