Der CDU-Sicherheitsexperte Clemens Binninger kritisiert die jüngsten Enthüllungen von Wikileaks. Im StZ-Interview erhebt er aber auch klare Forderungen an die Bundesregierung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Sind die angeblichen Spionagebelege überhaupt echt? Selbst der Generalbundesanwalt werde sich schwer tun, das zu überprüfen, sagt Binninger.

 
Herr Binninger, wie bewerten Sie die neuen Dokumente von Wikileaks?
Natürlich schüttelt man immer wieder den Kopf über das mutmaßliche Ausmaß dieser Ausspähung. Aber es ist schwierig, sicher auch für den Generalbundesanwalt, mit Dokumenten etwas zu belegen, wenn es sich in erster Linie um Listen mit Telefonnummern und vereinzelt um Zusammenfassungen von politischen Positionen handelt. Zumal die angeblichen Spähberichte inhaltlich eine Qualität haben, wie sie jeder Journalist auch in Hintergrundgesprächen erfahren dürfte.
Immerhin handelt es sich um lauter Nummern aus dem engen Umfeld der Kanzlerin. Sehen Sie da keine neue Qualität?
Clemens Binninger Foto: dpa
Der grundsätzliche Befund, und das ist ernst genug, dass Nachrichtendienste offenkundig versucht haben, uns auszuspähen, ist hinreichend belegt. Ob dann jedes Dokument zum Beweis taugt, ist schwer einzuordnen. Bei der letzten Charge von Wikileaks waren zum Beispiel uralte Telefonnummern aus Bonn dabei. Was zeigt das jetzt? Natürlich ist es erschreckend und nicht akzeptabel, dass sich Entscheidungsträger im Visier befanden. Aber es wäre naiv zu glauben, dass sich ausländische Geheimdienste nicht für solche Informationen interessieren.
Wird die Spionageaffäre zum Fortsetzungsroman?
Den Eindruck könnte man haben. Ich frage mich allerdings, ob es wirklich einen zusätzlichen Gewinn an Erkenntnis bringt, wenn alle drei Wochen neue vermeintliche Details zum gleichen Grundsachverhalt veröffentlicht werden. Zumal es für uns nahezu unmöglich ist zu überprüfen, ob es sich um authentische Dokumente handelt. Letztendlich können diese Wiederholungen oder das rein parteipolitische Agieren in dieser Angelegenheit auch dazu führen, dass die Öffentlichkeit ermüdet und das Interesse am Thema nachlässt. Das kann aber nicht in unserem Sinn sein. Viel wichtiger ist doch die Frage, wie sich Staat und Gesellschaft vor solchen Ausspähungen schützen können.
Was ist da zu tun?
Die Regierung muss erstens sicherstellen, dass solch eine Praxis, unabhängig davon, in welcher Tiefe man sie belegen kann, unter Partnerstaaten inakzeptabel ist und ein Ende hat. Zweitens muss die Kommunikation von Gesellschaft, Parlament und Regierung besser geschützt werden, etwa durch Verschlüsselung. Und drittens müssen wir unsere Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, solche Spähangriffe zu erkennen und die sensiblen Netze zu schützen. Aber wir dürfen uns nichts vormachen, es wird immer Kräfte geben, die versuchen werden, unsere Regierung auszuspähen. Das ist ein zwar trauriger, aber ein realistischer Befund.
Ist der Verfassungsschutz in der Lage, das zu verhindern?
Verhindern ist ein großes Wort. Er ist sicher mehr als in der Vergangenheit imstande, solche Aktionen zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Vor einigen Jahren haben wir uns bei der Spionageabwehr zu sehr auf einige wenige Gegenspieler konzentriert. Inzwischen ist aber ein Strategiewechsel erfolgt hin zu einem 360-Grad-Blick: die haben jetzt alle auf dem Schirm, egal woher der Angriff kommt.