Beim ersten „Wildschweingipfel“ in Schorndorf tauschen sich Experten, Jäger und Landwirte aus. Diskutiert werden vor allem Drückjagden und Schadensregulierung.

Schorndorf - Der Grüß-Gott-Weg zwischen Schorndorf und dem Ortsteil Weiler erfreut sich nicht nur bei Spaziergängern, Joggern und Hundebesitzern großer Beliebtheit. Auch die Wildschweine im nur wenig entfernten Wald haben die Ecke für sich entdeckt. Von dem großen Maisfeld – direkt an den ersten Häusern gelegen – haben sie nur noch die äußersten Stängel stehen lassen. Ein paar Hundert Meter weiter ist der Boden unter den Streuobstbäumen aufgewühlt, das Grün daneben sieht kaum besser aus.

 

Schnee verdeckt gnädig eine andere Wiese, die nach dem Besuch des Borstenviehs nur noch ein brauner Acker ist. „Das ist so nah am Wald, da wird sich das Herrichten für den Bauer nicht lohnen“, sagt Michael Kretzschmar, der erste Landesbeamte und für das Thema im Waiblinger Landratsamt zuständig, bei einem Rundgang mit der Presse.

Frust bei Landwirten und Jagdpächtern

Der Frust ist nicht nur bei den Landwirten, sondern auch bei den Jagdpächtern groß, die den Schaden – zumindest auf landwirtschaftlich genutzten Flächen – ausgleichen müssen. „Das kostet mich 1500 Euro pro Hektar“, sagt der Jagdpächter Werner Groß angesichts des leer geräumten Maisfeldes.

Der wachsende Ärger ist einer der Gründe, warum die Stadt Schorndorf zum ersten „Wildschweingipfel“ ins Alte Rathaus geladen hat. Wenn der finanzielle Aufwand für die Schadensregulierung weiter steigt, wird es für die Stadt immer schwieriger werden, Jagdpächter zu finden – in Schorndorf laufen die entsprechenden Verträge im Jahr 2020 aus. „Wenn das mit den Schäden so weitergeht, können sie Reviere mit großen Feldanteilen nicht einmal mehr verschenken“, sagt etwa Georg Reiff, der Jagdpächter in Schlichten. Und dann ist da auch noch die afrikanische Schweinepest, die in Osteuropa bereits ausgebrochen ist und der ganzen Diskussion über die Regulierung der heimischen Wildschweinbestände eine eigene Dynamik verliehen hat.

Revierübergreifendes Drückjagd gefordert

Das Thema Schwarzwild bewegt die Jägerschaft, entsprechend zahlreich war man der Einladung gefolgt: Der große Sitzungssaal im Rathaus war rappelvoll. Diskutiert wurde unter anderem die Drückjagd, die von Toralf Bauch von der Wildforschungsstelle des landwirtschaftlichen Zentrums Baden-Württemberg als Jagdmethode präferiert wird – weil revierübergreifende Jagden gefordert seien, um den intelligenten Tieren Herr zu werden.

Diese Methode – bei der tagsüber mit Hunden und Treibern das Wild aufgescheucht wird – wird wohl auch im Rems-Murr-Kreis fleißig eingesetzt: In der vergangenen Jagdsaison haben laut Michael Kretzschmar 20 Drückjagden stattgefunden. „Das ist ein erheblicher Aufwand, aber die Abstimmung mit dem Kreisjägerverband funktioniert sehr gut“, sagte er. Ein Problem allerdings seien die viel befahrenen Straßen im Kreis und das hohe Unfallpotenzial. „Es müssen bestimmte Abstände eingehalten werden, deswegen ist es schwierig, Drückjagden flächendeckend einzusetzen“, sagte Kretzschmar.

Genau da wünschen sich die Jäger mehr Unterstützung: „Ich verstehe nicht, warum man die Straßen nach Schlichten oder Oberberken nicht für drei Stunden sperren kann oder wenigstens die Geschwindigkeit reduzieren“, sagte Werner Groß. Ein anderer Jagdpächter empfahl, dann gleichzeitig einen Blitzer zu installieren: „So würden auch die Kosten für die Drückjagd reinkommen“, so seine Rechnung.

Jäger: Kapazitätsgrenze erreicht

Noch mehr Drückjagden zu veranstalten sei kaum möglich, „wir sind wirklich gewillt, aber unsere Kapazitätsgrenze ist erreicht“, sagte etwa Günther Heissenberger, der langjährige Kreisjägermeister. Es fehle an Hunden und an entsprechendem Personal, bestätigte der Schorndorfer Jagdpächter Markus Seibold.

Eine andere Frage ist deswegen, wie die Jagdpächter und die Landwirte bei den entstandenen Schäden unterstützt werden können. Siegbert Doring, der Ortsvorsteher von Oberberken, hat in einem Haushaltsantrag die Anschaffung entsprechender Gerätschaften von der Stadt gefordert – etwa eine Wiesenfräse. In Murrhardt gebe es ein solches Modell, „und wir haben bereits den Kontakt gesucht, werden noch einmal mit den Jagdpächtern sprechen und dem Gemeinderat einen entsprechenden Vorschlag machen“, erwiderte der Bürgermeister Thorsten Englert.

Auch in Bezug auf die Höhe der Pacht werde es noch einmal ein Gespräch mit den Jagdpächtern geben, denn die möchten ihr Hobby eigentlich nicht aufgeben. Markus Seibold: „Aber wir sind zeitlich und finanziell am oberen Ende angelangt.“

Der Schwarzwildbestand im Land

Zahlen
Zwar gibt es enorme Schwankungen, wie viele Wildschweine pro Jahr in Baden-Württemberg geschossen werden. Trotzdem lässt sich laut Toralf Bauch von der Wildforschungsstelle an der sogenannten Jagdstrecke ein enormes Wachstum der Population ablesen. Der bisherige Rekord liegt bei 70 000 erlegten Tieren im Jahr 2012. Bauch geht davon aus, dass die Jagdstrecke dieses Jahr noch um einiges höher sein wird. Das Problem: Der Höchststand sei noch lange nicht erreicht.

Grund
Es sind viele Faktoren dafür verantwortlich, dass die Schwarzwildpopulation derart angewachsen ist. Die Wildbiologen sind sich laut Toralf Bauch einig, dass sich Bachen mittlerweile paaren, sobald sie etwa 20 Kilo wiegen. Durch milde Winter und eine immer bessere Futtersituation erreichen sie dieses Gewicht immer früher, paaren sich früher und zudem öfter im Jahr.

Entwicklung
Die Wildforschungsstelle dringt auf einen Paradigmenwechsel in der Jagd, um den Bestand wenigstens zu regulieren. Da die Tiere Wanderstrecken von 64 Kilometern zurücklegen und Gebiete von durchschnittlich 4500 Hektar (das entspricht etwa neun Revieren) durchstreifen, benötige es revierübergreifende Drückjagden, an denen sich alle beteiligen. Zudem sollten Wildschweine aller Altersklassen geschossen werden dürfen.