Greifvögel schlagen in der City ihre Beute. Fuchs und Co. streifen nachts auf Nahrungssuche durch Parks und Straßen. Die Stadt wird zum Revier für wilde Tiere.

Stuttgart-Mitte - Beim Stadtbummel in der Sophienstraße staunte Karsten Leffrang nicht schlecht: Unzählige graue Federn fielen vor ihm auf den Boden. Als sich der Heilbronner umblickte, entdeckte er die Ursache: „Ein Sperber hatte eine Taube geschlagen und hockte mit der Beute in der Sophienstraße“, sagt er und hätte nie gedacht, dass Greifvögel in der Großstadt auf Jagd gehen. Dass es sich bei dem Vogel nicht um einen Wanderfalken, wie er zunächst vermutet hatte, sondern um einen Sperber handelte, hat er später an Hand seines Fotos im Internet recherchiert.

 

Wanderfalken kommen kaum in Stuttgart vor

Nach Auskunft von Ulrich Tammler, Vogelexperte beim Naturschutzbund (Nabu) Stuttgart, gibt es in Stuttgart knapp ein Dutzend Sperberpaare. Wanderfalken-Brutpaare gibt es dagegen nur zwei. „Vor zehn Jahren waren es noch etwa fünf, während sie in den 1970er Jahren sogar ganz verschwunden waren“, stellt Tammler fest. Die Brutplätze der Großfalken hält er strikt geheim, damit die Vögel nicht gestört werden. Völlig in Stuttgart ausgestorben sind dagegen die Baumfalken. Turmfalken sind hingegen mittlerweile richtige Städter geworden. Ihr Bestand ist stabil. Tammler: „Wie viele Brutpaare es gibt, lässt sich jedoch nicht sagen.“ Die Unterschiede zwischen Turm- und Wanderfalke: Der Turmfalke jagt seine Beute wie Mäuse und kleine Vögel auf dem Boden und stürzt sich aus dem Rüttelflug auf sie. Sein größerer Artgenosse schlägt seine Opfer – die Vögel – in der Luft. Außerdem beansprucht er ein sehr viel größeres Revier als der Turmfalke. Der fühlt sich in der Stadt wohl, weil die Speisekarte mit Mäusen und Ratten hervorragend bestückt ist und die Turmfalken Nisthilfen gern annehmen – im Gegensatz zu Wanderfalken.

Parks, Friedhöfe und Waldränder sind die neuen Reviere für Fuchs und Co.

Nach den Beobachtungen des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) breiten sich auch der Rot- und Schwarzmilan leicht im Stadtgebiet aus: Gesichtet wurden fünf bis acht Brutpaare am Rand der bebauten Bereiche. Außerdem gibt es in Stuttgart zwei bis drei Habicht- und sowie bis zu 50 Mäusebussardpaare. Mehr noch als die Greifvögel erobern Fuchs, Waschbär, Marder und Co. die Stadt. Vor vier Jahren ist sogar ein Wolf vor den Toren Stuttgarts, bei Korntal-Münchingen, gesichtet worden (wir berichteten). Es war der erste Wolf, der in der Region Stuttgart aufgetaucht ist. Je nach Art des Tieres kommen Wildtiere im gesamten Stadtgebiet vor. Angrenzende Wälder, Schloss- und Rotwildpark, Friedhöfe und Wiesen sind ideale Reviere. „Vor allem Füchse sind sehr flexibel“, sagt Tammlers Kollege Klaus Lachenmaier, Experte für Wildtiere beim Nabu.

Füchse sind keine Feinschmecker, nicht auf Fleischmahlzeiten angewiesen und fressen auch Aas. Deshalb finden sie in der Stadt immer einen gedeckten Tisch. Vor allem Mülltonnen sind ergiebig. Lachenmaier: „Die für Menschen gedachte Nahrung, die die Wildtiere in der Stadt finden, hat einen höheren Nährwert als das Angebot in der freien Natur. Das bedeutet, dass sich die Tiere in der Stadt weniger anstrengen müssen, um sich zu ernähren. Gründe für die Eroberung der Großstädte wie Stuttgart durch die Wald- und Wiesenbewohner sind unter anderem die milden Winter. Dadurch steigt die Population der Wildtiere. Deshalb und auch, weil der Mensch zum Beispiel mit seinen Bauprojekten den Tieren immer mehr auf den Leib rückt, ihnen ihren Lebensraum streitig macht, Ruhe- und Aufzuchtzeiten stört, entdecken die Wildtiere die Stadt als ihr neues Territorium. Laut Stadtverwaltung rufen immer mal wieder besorgte Bürgerinnen und Bürger an, weil sie ungebetenen Besuch in Garten oder Haus haben. Die bekommen laut Stadtsprecher Martin Thronberens Aufklärung über Gefahren oder das weitere Vorgehen. Ein Problem seien Wildtiere in Stuttgart jedoch nicht.

Die ursprünglichen Territorien werden knapp

Abgeschossen werden dürfen Wildtiere in der Stadt in der Regel nicht. Aber es gibt Ausnahmen und Ausnahmegenehmigungen, sodass das „weitere Vorgehen“ durchaus auch ein Abschuss sein kann – und zwar dann, wenn es sich um eingewanderte Tierarten handelt. Lachenmaier: „Waschbären und Nilgänse sollen sogar abgeschossen werden.“ So genannte Stadtjäger haben auch dann die Lizenz zum Töten, wenn Tiere Schäden anrichten, Marder zum Beispiel Autoschläuche zerbeißen oder die Dachdämmung zerstört wird. „Durch Gerüche und akustische oder bauliche Maßnahmen lassen sich die Tiere nur über einen gewissen Zeitraum vergrämen. Sie merken irgendwann, dass ihnen nichts passiert – und kommen wieder“, stellt Lachenmaier fest.

Das Füttern sollte man besser bleiben lassen

Es ist zwar gut gemeint, doch um die Tiere vor Abschuss oder auch dem Straßenverkehr zu schützen, sollte man Wildtiere nicht füttern und dadurch in der Stadt ansässig machen. „Erstens ist es verboten und zweitens sind Wildtiere in der Lage, sich selbst zu versorgen“, stellt Lachenmaier fest.

Übrigens, so Stadtsprecher Thronberens, wird es in nicht allzu ferner Zukunft einen städtischen Wildtierbeauftragten geben: „Die Stelle ist bereits beschlossen, aber noch nicht besetzt.“