Während der Corona-Pandemie entdecken immer mehr Menschen den Wald für sich. Die Leidtragenden sind die Wildtiere.

Stuttgart - Wanderer, Spaziergänger, Jogger und Mountainbiker – in den baden-württembergischen Wäldern suchen derzeit immer mehr Menschen Erholung. Während der Corona-Pandemie haben viele die Wälder für sich entdeckt, um dort weg vom Trubel der Stadt und ohne Angst vor einer Ansteckung Sport zu treiben, oder einfach nur die Ruhe zu genießen. Der gute Vorsatz, die Abstandsregeln einzuhalten, veranlasst einige Waldbesucher dazu, abgelegene Waldgebiete aufzusuchen oder sich abseits der Wege zu bewegen. „Durch die Corona-Situation ist (...) zu beobachten, dass vermehrt Waldbesucher nicht auf den Wegen bleiben und sich permanent kreuz und quer durch die Waldbestände bewegen oder fahren“, erklärt eine Sprecherin des Garten-, Friedhof- und Forstamts der Stadt Stuttgart.

 

Wildtiere werden durch Waldbesucher gestört

Die Wildtiere würden dadurch massiv gestört werden. Sophia Lorenzoni, Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit des baden-württembergischen Landesjagdverbands, appelliert deshalb an Waldbesucher auf den ausgewiesenen Wegen zu bleiben. „Es ist für die Tiere so, wie wenn sich jemand Fremdes ungefragt in Ihr Wohnzimmer setzen würde“, erklärt Sophia Lorenzoni die derzeitige Situation des Wildes. Bleibt der Spaziergänger stattdessen auf dem Weg haben die Wildtiere genügend Platz, um sich zurückzuziehen und können sich so an das erhöhte Aufkommen von Menschen im Wald anpassen. Denn Fluchttiere wie Rehe und Hasen gewöhnen sich nicht an den Menschen. „Die Tiere wollen fliehen und sich verstecken. Wenn die Menschen in ihr Wohnzimmer eindringen, bedeutet das Stress für Rehe, Hasen und Wildschweine“, so Lorenzoni. Oftmals können sie den Menschen nicht ausweichen, weil die Wälder an Siedlungen grenzen.

Rehkitze und Junghasen leiden unter den Waldbesuchern

„Ein Reh ist ein Wiederkäuer, der seine Ruhepausen braucht“, erklärt die Wildexpertin. Die Tiere suchen sich im Wald ihre eigenen Territorien und Plätze. Doch derzeit dringt der Mensch immer wieder in diese Zonen ein. Besonders während der Brut und Setzzeit, die noch bis Mitte Juli dauert, schadet das unbedachte Verlassen der Wege den Rehen und Hasen.

Lesen Sie auch: Tiere in Feld und Weinberg – Der kleine grüne Drache ist ganz friedlich

„Gerade leiden vor allem die Rehkitze und Junghasen“, sagt die Sprecherin des Landesjagdverbands. Schon oft sei es vorgekommen, dass Spaziergänger in einer Wiese ein einsames Rehkitz entdeckt hätten und dieses retten wollten. „Berühren Sie das Reh nicht und kommen Sie ihm nicht zu nahe“, rät Lorenzoni. Denn in den meisten Fällen ist das Reh nicht einsam – die Mutter ist nur auf Nahrungssuche. Sobald das Rehkitz dann angefasst wird, besteht die Möglichkeit, dass die Mutter aufgrund des veränderten Geruchs ihr Kleines nicht mehr aufnimmt. Auch Bodenbrüter, Vögel die abseits der Wege in Wiesen brüten, werden durch Spaziergänger, die die Wege verlassen, gestört.

Hunde sollen an die Leine genommen werden

Die Sprecherin des Jagdverbands appelliert zudem an Hundebesitzer, ihre Vierbeiner an die Leine zu nehmen. Denn sowohl Junghasen, als auch Rehkitze vertrauen in dieser Jahreszeit auf ihre tarnende Fellzeichnung und den noch nicht ausgebildeten Körpergeruch. Die jungen Hasen und Rehe machen sich möglichst klein und verstecken sich, sie haben noch keinen Fluchtinstinkt und sind deshalb leichte Beute. „Wenn ein Hase aufspringt, weckt das in den meisten Hunden den Jagdtrieb“, erklärt Lorenzoni. Auch sei die Gefahr groß, dass ein Hund im Wald ein Reh aufspüre und dieses jage. „Hat die Ricke noch nicht gesetzt, dann kann es schnell zu einer Sturzgeburt kommen“, so die Jagdexpertin weiter. Durch den Adrenalinschub könne so eine Geburt ausgelöst werden, obwohl die Wehen auf natürlichem Wege noch nicht eingesetzt haben. „Das kann sowohl für die Kitze, als auch für die Mutter tödlich enden“.

Auch für Mensch kann Verlassen des Weges gefährlich werden

Doch nicht nur für das Wild, auch für den Mensch kann das Verlassen des Weges durchaus gefährlich sein. „Es kommt zwar nicht häufig vor, man sollte sich aber bewusst sein, dass Wildschweine auch auf den Menschen gehen“, erklärt die Sprecherin. Kommen Spaziergänger den Frischlingen zu Nahe verteidigt eine Bache, so werden weibliche Wildschweine in der Fachsprache genannt, ihren Nachwuchs.

Radfahrer erschrecken Wild besonders

Der Jagdverband nimmt nicht nur die Spaziergänger, sondern auch die Radfahrer in die Schuld. Für die Tiere sei es besonders schwer, das sich schnell nähernde Geräusch eines Fahrrads zuzuordnen. „Illegale Trails der Mountainbiker bereiten uns dabei besonders große Probleme“, weiß Lorenzoni. In Stuttgart komme zudem erschwerend hinzu, dass laut der Sprecherin der Stadt, Waldbesucher teilweise bei Dunkelheit mit Stirnlampen im Wald unterwegs seien und bis spät abends abseits von Waldwegen oder Wanderpfaden mit Mountainbikes fahren würden. Auch dadurch würde der Mensch in den Lebensraum der Tiere eingreifen. „Bleiben Sie auf den Wegen, lassen Sie ihren Hund nicht von der Leine und nehmen Sie Rücksicht auf die Waldbewohner“, sagt Lorenzoni. Wer sich ruhig verhält, hat übrigens auch eine bessere Chance, einen Blick auf ein Reh, oder auf einen Hasen zu erhaschen.