Der Zootester Anthony Sheridan hat die Wilhelma besucht und dem Zoo neben guten Noten auch seine Schwächen aufgezeigt. Der neue Stuttgarter Zoochef will einigen Tierarten mehr Platz einräumen – und auf andere verzichten.

Stuttgart - Niemand kennt sich in Europas Zoos besser aus als Anthony Sheridan. Bis zu seinem Ruhestand leitete der Brite ein Elektrounternehmen, aber seine Leidenschaft waren schon immer die Tiere, er engagierte sich in Artenschutzprojekten und besuchte Zoos in aller Welt. Seit er nicht mehr arbeitet, hat sich sein Hobby in eine zweite Karriere verwandelt. Sheridan ist Europas Zootester Nummer eins, seine Ranglisten genießen Respekt, auch wenn sie „einen subjektiven Blickwinkel“ haben, wie der Wilhelmachef Thomas Kölpin sagte. Die Wilhelma hatte Sheridan zu einem Vortrag eingeladen.

 

Von Rankings geht Macht aus, weil sie vermeintliche Wahrheiten in Listenform präsentieren. Anthony Sheridan hat die 30 wichtigsten Zoos in Europa getestet – jene zoologischen Anlagen, die jährlich mindestens eine Million Besucher anziehen. Die Wilhelma belegt im aktuellen Ranking der Top-Zoos aus dem Jahr 2013 den 14. Platz (nach zuletzt Platz 13). Die Spitzenplätze belegen mit großem Abstand die Zoos in Wien, Leipzig und Zürich. Im Mittelfeld liegen viele Zoos – wenn man dem Punktesystem Sheridans folgt – eng beieinander. Stuttgart bewegt sich dabei auf Augenhöhe mit den Anlagen in Prag, Hamburg und Frankfurt. Anthony Sheridan hat den Tierbestand der Zoos analysiert, die Anlagen bewertet, er hat die Beschilderung untersucht und sich die Frage gestellt, wie stark sich die Einrichtungen für den Artenschutz engagieren.

Tierbestand ist exzellent

Die Wilhelma setzt er im Bereich „Bildung, Natur- und Artenschutz“ lediglich auf Platz 18, während sie bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Platz 9 belegt. Mehr als 500 Zoobesuche hat Sheridan in den vergangenen Jahren unternommen, die Wilhelma hat er jedes Jahr analysiert. Zu ihren Stärken zählt Sheridan „die langen Öffnungszeiten, die günstigen Eintrittspreise, den Förderverein und einen der besten Tierbestände in Europa.“ Für den Tierbestand gab er der Wilhelma 29 von 30 möglichen Punkten. Kritisch bewertet er die Anlagen für Raubtiere und jene für Dickhäuter: „Im Vergleich zu anderen Zoos ist die Elefantenanlage nicht besonders gut.“

Dass in Stuttgart bei beiden Anlagen Verbesserungsbedarf besteht, weiß Thomas Kölpin, der die Wilhelma seit Anfang des Jahres leitet. Bei seiner vorigen Station in Erfurt hatte der gebürtige Hamburger eine neue Elefantenanlage bauen lassen – dieses Projekt steht nun auch in Stuttgart weit oben auf seiner Agenda. Derzeit erstellt Kölpin mit seinem Team einen Masterplan, der dem Zoo die Richtung für die nächsten 20 Jahre weisen soll. Die neue Anlage für Elefanten spielt dabei eine Hauptrolle. Kölpin konkretisierte nun seine Pläne: „Ich könnte mir eine Herde mit sechs erwachsenen Kühen vorstellen, dazu kommen zwei Bullen.“ Und im Idealfall: bald Nachwuchs. Die Anlage könnte zwischen dem neuen Menschenaffenhaus und dem Schaubauernhof entstehen: Wenn dort dereinst eine Elefantenherde unterwegs sein sollte, laufen die Tiere über die Röhren des Rosensteintunnels.

Flusspferde auf der Streichliste

Kölpin machte am Rande des Vortrags von Anthony Sheridan deutlich, wo er – baulich gesehen – die größte Schwäche der Wilhelma (siehe Grafik) ausgemacht hat: „Die Gebäude entlang der Pragstraße sind unsere Achillesferse. Dazu zählen das alte Menschenaffenhaus, das Raubtierhaus, die Anlagen für Elefanten, Nashörner und Flusspferde“. Der Zoo will sich künftig noch stärker auf bestimmte Arten konzentrieren und andere dafür möglicherweise aufgeben. Auf der Liste der Streichkandidaten stehen dabei unter anderem die Flusspferde, die heute räumlich beengt leben. Augenfällig wird angesichts des neuen Menschenaffenhauses auch der Unterschied zum alten Gebäude, in dem noch die Orang Utans leben.

Klar ist: die Konkurrenz in Europa schläft nicht, sie investiert kräftig, wie Anthony Sheridan in seinen Gesprächen mit verschiedenen Zoodirektoren in Europa erfahren hat: „Es gibt enorme Investitionen in Anlagen für Eisbären und Elefanten.“ Die ehrgeizigen Pläne der Zoos in Zürich (Platz 3) und Basel (Platz 5) stechen hervor. Zürich investierte in seinen im Juni eröffneten neuen Elefantenpark 47 Millionen Euro. Sheridan skizzierte Trends in den europäischen Zoos: Immer mehr Anlagen stellen sich mit mehrsprachigen Beschilderungen auf ausländische Besucher ein, Audioguides und multimediale Infoterminals erobern die Parks. Viele Zoos richten ihren Tierbestand auf die populärsten Tierarten aus. Die Top 5 unter den Zootieren sind: Elefanten, Gorillas, Eisbären, Giraffen und Schimpansen.

Thomas Kölpin sieht vielfältige Herausforderungen für die Wilhelma. Einige von ihnen leiten sich aus dem neuen Säugetiergutachten ab, das die Bundesregierung im Mai vorgestellt hat. Dem Gutachten zufolge sollen Zootiere mehr Platz als bisher bekommen – einige von ihnen sogar doppelt so viel. „Darauf müssen und werden wir reagieren“, sagte Kölpin, „wir werden Umbaumaßnahmen vornehmen.“ Zudem arbeitet der Stuttgarter Zoo an einem neuen Leitbild, das er Anfang nächsten Jahres vorstellen will. Daraus leiten sich laut dem Wilhelmachef auch Grundsatzfragen ab: „Wollen wir stark auf moderne Medien setzen oder wollen wir die Wilhelma als einen Ort der Ruhe präsentieren?“