Der gastronomische Knotenpunkt entwickelt sich weiter. Derweil ein Nachfolger für den Murrhardter Hof gefunden ist, bleibt ungewiss, was aus dem ehemaligen Ciba Mato wird.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Wäre der Wilhelmsplatz ein Garten, dann wohl kaum ein englischer. Sondern ein verwilderter, zumindest wild gewachsener Garten, der seit Jahrzehnten mitten am Verkehrsknoten an der Hauptstätter Straße wuchert. Die Stühle des La Concha ranken sich um das längst nicht mehr besuchte Klohäuschen und den bestenfalls selten genutzten Briefkasten wie wilder Efeu. So geht Stadtentwicklung, wenn keine Stadtplaner am Werk sind. Und das funktioniert besser, als manch einer das in den Amtsstuben des Rathauses vielleicht wahrhaben möchte. Aber dazu später mehr.

 

Der Wandel vollzieht sich am Wilhelmsplatz auch ohne das Mitwirken der Behörden. Ganz aktuell befindet er sich in einer Umbruchphase: Alte Lokale schließen, neue eröffnen. Während die Zukunft des geschlossenen Ciba Mato ungewiss ist, die Immobilie dem Vernehmen nach für einen mittleren sechsstelligen Betrag zum Verkauf steht und der Inhaber des Lokals seit Wochen nicht zu erreichen ist, ist jetzt immerhin klar, wie es mit dem Murrhardter Hof gegenüber weitergeht.

Nach einem Generationenwechsel in der Familie Sabanoglu gab der Spross von Kultkoch Burhan Sabanoglu aus wirtschaftlichen Gründen auf – Hasan Ceray vom Restaurant Carafe zwei Straßen weiter übernimmt das alteingesessene Lokal. Die „bodenständige, klare Küche“, die die Gäste des Murrhardter Hofs gewohnt sind, will er beibehalten. Inklusive der gefeierten Maultaschen. Beim Wein soll die Auswahl größer werden: Kein Wunder, Ceray hat vor seiner Zeit in Stuttgart in Tübingen ein Feinkostgeschäft und eine Weinhandlung aufgebaut.

Englisch gesprochen wird hier noch nicht

Insgesamt hat der Wilhelmsplatz in den letzten Jahren eine Entwicklung erlebt, wie sie Kieze auch in Hamburg oder Berlin erleben. Da gibt es einmal die alteingesessenen Lokale. Den Italiener Il Pomodoro und das Bistro Einstein. Oder das anfangs erwähnte La Concha, Herzstück des Platzes, das Armagan Gürak seit 25 Jahren betreibt. Hier spielen Berufskellner, Bordell- oder Clubbetreiber und andere Originale bereits am frühen Vormittag Brettspiele wie Mühle, andere starten mit Heißgetränken in den Tag. „Der Wilhelmsplatz ist der bunteste Platz in der Stadt“, sagt Gürak immer, und viele geben ihm recht.

Die Anziehungskraft dieser Umgebung haben auch andere Gastronomen begriffen. Neben den Platzhirschen gibt es längst auch andere Lokale am Wilhelmsplatz: das Noodle One, einen modernen Asiaten zum Beispiel. Oder das Suessholz, eine Bar von den Machern des Clubs Schräglage. Wer gehässig sein will, kann das Publikum als Hipster bezeichnen, ohne zu ganz daneben zu liegen. Immerhin: Englisch gesprochen, wie es in vergleichbaren Bars in Berlin der Fall ist, wird dort noch nicht.

Auch in der Umgebung ist die Sogkraft des Wilhelmsplatzes spürbar: Es ist wohl kein Zufall, dass in den Straßen drum herum in den vergangenen Jahren etliche Bars eröffnet haben – von der Schwarz-Weiß-Bar an der Wilhelmstraße über das Paul & George an der Weberstraße bis zum Immer Beer Herzen an der Hauptstätter Straße.

Darüber hinaus, dass junge und alte Gastro gemeinsam dazu beitragen, den Wilhelmsplatz zu beleben, gibt es trotz örtlicher Nähe wenig Berührungspunkte zwischen den beiden Welten. Ein Stammgast im Suessholz sagt ganz unverholen: „Im La Concha war ich noch nie.“ Andersherum verhält es sich nicht anders.

Zurechtstutzen: fehlgeschlagen

Die Wirte dagegen machen gemeinsame Sache, nicht nur beim alljährlichen Henkersfest und ganz gleich, wie lange sie schon am Platz sind. Womit wir bei den Amtsstuben wären, die den wilden Garten Wilhelmsplatz immer wieder zurechtstutzen wollen. Vergangenes Jahr versuchte die Verwaltung mit einem ämterübergreifenden Vorstoß, Ordnung in das vermeintliche Chaos zu bringen. Pflanzen, Schirme, Lichterketten, Bestuhlung, Pflanzen, Wasserspiele – das alles entspreche nicht den Gestaltungsrichtlinien der Innenstadt. Nur: All dies ist weitaus älter als diese Gestaltungslichtlinien, die der Stuttgarter Gemeinderat anno 2016 beschlossen hatte.

Das Papier erwies sich letztlich als stumpfe Schere. Die Wirte wehrten sich und wandten sich an die Öffentlichkeit. Das Internet und die Lokalpolitik stärkte ihnen den Rücken. Die Verwaltung machte einen Rückzieher, drückte bei manchen Fragen ein Auge zu und setzte kulante Fristen.

So bringt das Rathaus heute deutlich mehr Wertschätzung für den Wilhelmsplatz als vergangenen Sommer zum Ausdruck. „Die Stadtplaner sehen den Wilhelmsplatz als einen der Anziehungspunkte in der Innenstadt. Hier hat sich ein urbanes Leben entwickelt, das die dort ansässigen Gastronomen durch Restaurants, Bars und Cafés entscheidend mitgestalten“, sagt Ann-Katrin Gehrung, eine Sprecherin der Stadt. Kaum auszumalen, welche Ausmaße das Drogenproblem in der Altstadt ohne die Gastronomen hier hätte.