Das Stuttgarter Kunstmuseum zeigt „Willi Baumeister international“. Es ist die erste große Retrospektive in der Heimatstadt des Künstlers seit der Nachkriegszeit.

Stuttgart - „Wie isses nun bloß möglich?!“, möchte man wie Mutter Grete aus dem Kempowski-Roman „Tadellöser & Wolf“ ausrufen. Dies soll die erste große Baumeister-Retrospektive in Stuttgart seit 1954 sein? Kaum zu fassen, aber wahr: Willi Baumeister, der deutsche „Häuptling der Moderne“, wie er sich selbst halb im Scherz nannte, einer der ganz großen Künstlersöhne dieser Stadt, 1889 geboren in Stuttgart, 1955 gestorben in Stuttgart und dazwischen nur selten über längere Zeit abwesend, ist hier bisher mit keiner umfassenden Werkschau gewürdigt worden. Zwar ist er präsent. Seine Bilder gehören zum festen Bestandteil der Sammlungen von Kunstmuseum und Staatsgalerie, auch kleinere Schauen haben sich über die Jahre Teilaspekten seines Schaffens gewidmet. Aber wenn man bedenkt, wie oft Otto Dix, der andere Stuttgarter Hausheilige, in derselben Zeit in den Mittelpunkt von Sonderausstellungen gerückt wurde – im Kunstmuseum zuletzt 2012/13 –, dann kann man sich über dieses Versäumnis nur wundern.

 

Es hängt, so lässt sich vermuten, zum einen mit den ganz persönlichen Vorlieben der Museumsdirektoren zusammen. Eugen Keuerleber etwa, der die städtische Sammlung ab 1945 leitete, legte mit seinen Ankäufen das Fundament für den Dix-Schwerpunkt in Stuttgart. Das hängt andererseits aber gewiss auch mit der starken Publikumsfixierung hierzulande auf den Expressionismus zusammen, einer Kunst- richtung, der Baumeister, der sich früh der Abstraktion verschrieb, nicht einmal vorübergehend frönte. Die von Ilka Voermann kuratierte Ausstellung „Willi Baumeister international“ holt nun nicht nur eine alte Schuldigkeit nach, sondern ist zugleich Ausdruck einer neu in Schwung kommenden Rezeption dieses Künstlers. Im Sommer 2014 wird die Schau in Duisburg im Museum Küppersmühle und danach in Berlin in der Daimler-Kunstsammlung am Potsdamer Platz gezeigt, während gleichzeitig auch in Amerika das Interesse an Baumeister zunimmt, wie Ulrike Groos, die Chefin des Kunstmuseums, zu berichten weiß.

Bei Baumeister kann ihr Haus aus dem Vollen schöpfen. Nur zwölf Leihgaben kommen von anderen Museen oder aus Privatsammlungen, der große Rest stammt aus eigenen Beständen und konnte durch Archivalien – Briefe, Fotografien und Kataloge – aus dem Archiv Baumeister, das sich seit 2005 im Kunstmuseum befindet, vortrefflich ergänzt werden. So ergibt sich ein großer, reich bestückter Bogen von den Anfängen, als der junge Künstler sich nicht allzu lange mit Gehversuchen auf impressionistischen Pfaden aufhält und dann im Geiste des bewunderten Cézanne splittrige Badeszenen malt, in denen sich die Ablösung vom Figurativen schon andeutet, bis zu den großen „Montaru“- und „Monturi“-Bildern der letzten Schaffensjahre.

Den Franzosen gefällt Baumeisters „undeutscher“ Stil

Wert legt die Schau schon im Titel auf die persönlichen und künstlerischen Beziehungen des Malers zur internationalen Avantgarde. Der Durchbruch gelingt ihm in den zwanziger Jahren mit seinen konstruktivistischen „Mauerbildern“, die in der von Le Corbusier und Amédée Ozenfant herausgegebenen Zeitschrift „L’Esprit Nouveau“ anerkennend beurteilt werden. Es folgt eine Einladung nach Paris, wo Baumeister mit den Großen der Kunstszene zusammentrifft und sich durch Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen bald einen Namen in ganz Europa macht. Er lernt Mondrian, die Arps und die Delaunays kennen, mit Fernand Léger sollte ihn von da an eine lebenslange Freundschaft verbinden. In Deutschland ist er den Bauhäuslern Kandinsky, Schlemmer und Moholy-Nagy freundschaftlich verbunden, in der „Großen Berliner Kunstausstellung“ von 1927 hängen seine Werke neben Bildern von Kasimir Malewitsch.

Was besonders den Franzosen an dem Schwaben gefällt, ist sein „undeutscher“, sprich: nichtexpressionistischer, Stil. Dass ihn die Nazis verabscheuten und als „entartet“ einstuften (was sie freilich nicht davon abhielt, auch die Expressionisten zu hassen), war sozusagen logische Konsequenz dieser Vernetzung mit der europäischen Avantgarde. Baumeister, mit Malverbot belegt und zu Hause in Stuttgart ausgebombt, „überwintert“ in Urach am Fuß der Schwäbischen Alb. Hier entstanden kleinformatige Illustrationsfolgen wie die Zyklen „Saul“ und „Salome“ sowie die Blätter zu Themen der griechischen Mythologie, die zu den Entdeckungen in dieser Ausstellung zählen: „Saul“ ist nach fünfzig Jahren erstmals wieder öffentlich zu sehen.

Fast unerschöpflich scheinen bei ihm die Möglichkeiten der Frottage, des Abreibens einer Oberflächenstruktur mit Bleistift oder Zeichenkohle auf ein aufgelegtes Papier. Holzbretter, das Profilglas der Toilettentür in der Uracher Pension, Steine – alles eignet sich für die künstlerische Verwendung. Baumeisters Handhabung dieser simplen Technik erweist ihn als Virtuosen des Zeichenstifts – besonders auch in den großartigen „Illustrationen zu einem griechischen Text“ (1944), wo als weiteres Stilmittel die Collage in Form von eingeklebten Fotoschnipseln weiblicher Torsi hinzutritt. Corinna Höpers im Katalog zitierte Einschätzung zum „Gilgamesch“-Zyklus, der 2010 in der Staatsgalerie ausgestellt war, dass die Zeichnungen für Baumeister keineswegs nur aus der Not geborene Verlegenheitsarbeiten sind, sondern „ein zukunftsfähiges Projekt“, wird hier nochmals eindrucksvoll belegt.

Titel der Ausstellung führt in die Irre

Nach dem Krieg gehört er zu den erfolgreichsten deutschen Malern. Er wird Professor an der Stuttgarter Kunstakademie, ist gut im Geschäft, nimmt an der ersten Documenta und mehrmals an der Biennale in Venedig teil, stellt in Zürich, New York und Paris aus, die französische Presse feiert ihn als „le Picasso allemand“. Gleichwohl ist es ein Anliegen dieser Retrospektive, Baumeister eben nicht nur auf den bedeutenden deutschen Modernen der Nachkriegszeit zu reduzieren, sondern ihn als Protagonisten und Netzwerker des internationalen Kunstgeschehens von allem Anfang an darzustellen.

Der Titel „Willi Baumeister international“ führt allerdings etwas in die Irre: Man erwartet, auf Werke von Zeitgenossen zu treffen, die den Künstler beeinflusst haben oder umgekehrt von ihm beeinflusst wurden. Zu übersehen ist es nicht, dass Schlemmer, die Kubisten, Miro, Léger ihre Spuren hinterlassen haben. Doch das zu zeigen bleibt einer anderen Schau überlassen. Hier muss man sich mit den Werken befreundeter Künstler aus Baumeisters privater Sammlung begnügen, die für diese Ausstellung rekonstruiert wurde und den reizvollen Abschluss der Retrospektive bildet. Man bekommt so aber wenigstens eine Ahnung, wie lohnend solch eine Vergleichsausstellung zu werden verspräche.