Sechs Wissenschaftler messen zwei Jahre lang verschiedene Werte rund um das Windrad in Ingersheim. Ihr Ergebnis: Die Anlage ist für den Menschen harmlos.
Ingersheim - Die Sport- und Festhalle in Großingersheim glich am Donnerstag einem Vorlesungssaal. Es ging um Windräder, oder genauer um das Ingersheimer Windrad. Sechs Wissenschaftler verschiedener Forschungseinrichtungen in Deutschland erläuterten, ob die wenige Hundert Meter entfernte 135 Meter hohe Windenergieanlage, oder im Fachjargon kurz WEA genannt, tatsächlich in den niedrigen Frequenzbereichen ein hör- und spürbarer Störfaktor ist. Die Forscher kamen nach Auswertung der Messwerte zu einem für die Energiegenossenschaft Ingersheim und Umgebung beruhigenden Ergebnis: „Erschütterungen infolge des WEA-Betriebs sind an den betrachteten Messorten für Menschen nicht spürbar.“
Von rotierenden Windradflügeln gehen nach Überzeugung der Fachleute so geringe Vibrationen aus, dass sich Menschen in der Nachbarschaft nicht gestört fühlen können. Gleiches gelte für die tiefen Geräusche. Diese können für gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht verantwortlich gemacht werden, sagten sie. Die Sinnesorgane des Menschen seien dafür nicht feinfühlig genug.
Vibrationen und Töne im niederfrequenten Bereich gemessen
Die sechs Wissenschaftler erläuterten in teilweise komplexer Fachsprache mehr als zwei Stunden lang, wie sie mit aufwendiger Technik an unterschiedlichen Stellen rund um die Windkraftanlage Vibrationen und Töne im niederfrequenten Bereich gemessen hatten. Um Vergleichswerte zu erhalten, wurden die Messungen wechselweise bei an- und abgeschalteter Anlage vorgenommen. Die ganz tiefen Töne und Schwingungen sind die Graubereiche, in denen Windkraftgegner ihre Thesen von schlechten Vibrationen und einem fiesen Brummen verorten, unter denen Menschen in der Umgebung einer Anlage dauerhaft leiden können sollen. Die Wissenschaft konnte bisher keine beweisbaren Argumente dafür liefern, dass diese Annahme stimmt oder auch nicht. Ingersheim war nun zwei Jahre lang Versuchsstandort, um wissenschaftlich belastbare Antworten zu liefern.
Die Ergebnisse werden sich in künftigen Gutachten für den Bau neuer Windkraftanlagen wiederfinden, wie Peter Kudell vom Institut für Bodenmechanik und Felsmechanik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erläuterte. Windkraftanlagen seien für Baden-Württemberg unverzichtbar, um den Anteil erneuerbarer Energien maßgeblich zu erhöhen. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Akzeptanz der Windenergie in der Bevölkerung zu verbessern, sagte er überzeugt.
Die Ingersheimer sind positiv gegenüber Windkraft eingestellt
Auftrag des staatlich geförderten Projekts TemAc war es, „eine lückenlose Erklärung und Beschreibung der Emissionskette“ zu erforschen, wie Kudell voranstellte. Um sämtliche Fragen zu einer möglichen Umweltunverträglichkeit eines Windrads beantworten zu können, arbeiteten Experten verschiedener Fachbereiche zusammen: Akustiker, Messtechniker, Geophysiker, Aero- und Baugrunddynamiker, Maschinenbauer, Psychologen und Umweltmediziner. Keiner von ihnen fand Hinweise darauf, dass ein Windrad eine Belästigung sein könnte – von der Optik eventuell abgesehen.
Joachim Ritter vom KIT ist auf die Messungen von Erdbeben spezialisiert. Ein Erdbeben in 5000 Kilometer Entfernung verursache sehr viel größere Ausschläge im Seismografen an einem Windrad als die Anlage selbst unmittelbar neben dem Messgerät, stellte er klar. Beides könne der Mensch nicht wahrnehmen.
Die Wissenschaftler zogen Befragungen von Menschen in der Nachbarschaft des Windrads in ihre Ergebnisse mit ein. Danach gaben 90 befragte Ingersheimer Bürger an, sie fühlten sich gar nicht belästigt (82 Prozent) und zehn Prozent sagten, sie fühlten sich wenig bis mittelmäßig belästigt. Sieben Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich ziemlich oder sehr belästigt fühlen. Acht Bürger (sechs davon Männer) führten gesundheitliche Beschwerden auf das Windrad zurück. Insgesamt haben die Ingersheimer aber laut der Wissenschaftler eine positivere Einstellung zur Windkraft als der europäische Durchschnitt – und das trotz der Anlage direkt vor Ort.