Die Ziele der Bundesregierung beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind in Gefahr, weil kaum noch neue Windkraftanlagen an Land gebaut werden. Es gibt viele Gründe.

Berlin - Die Bilanz war ernüchternd und hat nun auch die Bundesregierung aufgeschreckt. Im ersten Halbjahr kam der Ausbau der Windkraft an Land fast zum Erliegen. In vielen Ländern kamen gar keine neuen Anlagen mehr dazu. Nun soll gegengesteuert werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will mit der Branche, Ländern und Bürgerinitiativen beraten. Ein Überblick über die Lage.

 

Warum stockt der Ausbau der Windenergie an Land?

Warum stockt der Ausbau der Windenergie an Land?

Im ersten Halbjahr wurden an Land 86 Windenergieanlagen (WEA) errichtet. Das entspricht einem Brutto-Zubau von 287 Megawatt, so wenig wie noch nie seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000. Verglichen mit den ersten sechs Monaten des Vorjahres ist der Zubau um 82 Prozent gesunken. Zudem wurden 51 ältere und kleinere Windräder stillgelegt, so dass sich ein Netto-Zubau von 231 Megawatt ergab. Wenn das zweite halbe Jahr sehr gut laufen sollte, können es im Gesamtjahr noch maximal 1500 Megawatt werden. Das sind sehr viel weniger als die angestrebten 4500 Megawatt, die von 2014 bis 2017 erreicht wurden.

Ein Megawatt entspricht einer Million Watt. Für die Versorgung einer Stadt wie Hamburg benötigt man eine Erzeugung von ungefähr 1600 bis 1700 Megawatt. Bei Windenergie ist allerdings zu berücksichtigen, dass die technische Kapazität der Anlagen nur zum Teil ausgeschöpft werden kann, weil der Wind unregelmäßig weht.

Hauptgründe für den Einbruch sind nach übereinstimmender Analyse von Verbänden und Experten fehlende Flächen und Klagen gegen weitere Windräder. Nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie stecken rund 11 000 Megawatt in Genehmigungsverfahren fest, die mittlerweile auch an Land drei bis fünf Jahre dauern und mehrere 100 000 Euro kosten können. Weitere 4000 Megawatt sind blockiert durch vorgeschriebene Abstände zu den Drehfunkfeuern der Flugsicherung und 800 Megawatt bereits erteilter Genehmigungen werden beklagt.

Warum gibt es Proteste?

Kläger gegen Windkrafträder sind oft Naturschützer, die sich für Artenschutz und bedrohte Vogel- und Fledermausarten einsetzen, oder betroffene Anwohner. Den Windrädern fallen jedes Jahr Tausende von Vögeln zum Opfer, darunter viele häufige Arten wie Tauben oder Möwen, aber auch seltenere, wie Störche, Greifvögel oder Eulen. Zu einem Symbolvogel ist der seltene Rotmilan geworden, dessen Schutz von Klägern oft gegen den geplanten Bau eines Windparks als Argument ins Feld geführt wird. Nach dem Naturschutzgesetz ist es verboten, seltene oder geschützte Tiere zu töten oder zu stören. Die Windkraft-Branche vertritt die These, dass Klimaschutz auch den Tier- und Pflanzenarten zugute kommt und daher im Zweifel die Windkraftwerke Vorrang haben sollten. Anwohner klagen zudem wegen zu geringer Abstände zur Wohnbebauung, Lärmbelästigung oder Schattenwurf.

Wie ist die Lage auf See?

Die Windkraft auf See liegt bei Ausbau im Plan. Im ersten Halbjahr gingen 42 Windkraftwerke mit einer Leistung von 252 Megawatt in der Nordsee neu ans Netz, in der Ostsee keine. Insgesamt sind mehr als 1300 Anlagen mit einer Leistung von 6,7 Gigawatt in Betrieb. Damit ist das Ausbauziel von 6,5 Gigawatt für 2020 erreicht. Auch die für 2020 festgelegte Obergrenze von 7,7 Gigawatt ist bereits in Sicht. Danach folgt bislang eine Ausbau-Flaute. Bislang gilt ein Deckel von 15 Gigawatt bis zum Jahr 2030. Die norddeutschen Bundesländer fordern ebenso wie Industrie und Gewerkschaften bereits seit Jahren eine Anhebung dieses Deckels auf 20 Gigawatt sowie einen Sonderbeitrag von zwei Gigawatt sofort, um die Klimaziele für 2030 einzuhalten. Die Netzanbindungen dafür wären vorhanden. Ein Zusatzbeitrag der Offshore-Windenergie ist auch im Koalitionsvertrag vorgesehen, wurde aber bislang nicht umgesetzt.

Was soll der „Windgipfel“ bringen?

Bei dem Treffen soll es darum gehen, wie der Ausbau wieder beschleunigt werden kann. Kurzfristig wirkende Maßnahmen sind nicht zu erwarten. Es geht aber auch eher darum, den Ausbau mittel- und langfristig wieder auf Trab zu bringen. Denn sonst sind Klimaziele in Gefahr. Hintergrund: Im Zuge der Energiewende sollen Kohle, Gas und Atomkraft durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden. Bis 2022 wird das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet sein, bis 2038 ist der Kohleausstieg geplant.

Der Ökostrom-Anteil soll bis 2030 auf 65 Prozent steigen - im ersten Halbjahr 2019 lag der Beitrag zur Deckung des Stromverbrauchs nach Zahlen des Energieverbandes BDEW bei 44 Prozent. Das Ziel von 65 Prozent aber sei nur mit einem forcierten Ausbau von Photovoltaik-Anlagen, Windenergie auf See und Wind an Land möglich, heißt es in dem Papier der Verbände.

Bei dem Krisentreffen bei Altmaier liegen verschiedene Vorschläge etwa von Branchenverbänden auf dem Tisch. Es gehe darum, Hemmnisse abzubauen und die Verfügbarkeit von Flächen zu erhöhen. So sollen lange Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Die Klageflut soll eingedämmt werden. Daneben geht es darum, die Akzeptanz zu erhöhen - auch darüber, dass betroffene Kommunen und Einwohnern finanziell von Windparks profitieren.

Gegen Windräder gibt es vor Ort zahlreiche Bürgerinitiativen. Diese äußern zum Teil Fundamentalkritik. Die Windkraft generell müsse auf den Prüfstand gestellt werden, fordert etwa Waltraud Plarre von der Bundesinitiative „Vernunftkraft“. Mindestens sollten die Vorgaben verschärft werden, wie weit weg Windräder von Wohnhäusern gebaut werden dürfen. Der Wald müsse außerdem zur „Tabuzone“ für Windkraft erklärt werden.