Hinter dem „Nationalheiligtum“ Württembergs sollen fünf Windräder gebaut werden. Es geht dabei um grundsätzliche Fragen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Sonnenbühl - Sabine Wälder ist keine Frau, die sich leicht fürchtet. Die Vorsitzende der Bürgerinitiative „Gegenwind Engstingen“ wirft dem Landratsamt Reutlingen mehrere Verfahrensfehler vor, zeiht den Windradbauer Sowitec der Unwahrheit und kündigt Widerstand bis zuletzt an. Überall im Land versuchen Bürger, Windräder vor ihrer Haustür zu verhindern – doch rund um Engstingen und Sonnenbühl ist der Aufruhr besonders groß, weil es um ein Märchenschloss, ja um ein württembergisches Nationalheiligtum geht: das Schloss Lichtenstein. Der Hauptvorwurf: Die geplanten fünf 200 Meter hohen Windräder in etwa zwei Kilometer Entfernung würden das Schloss verschandeln und die einzigartige Verschmelzung von Natur und Architektur zunichtemachen.

 

Wie man mit Bildern unterschiedliche Wahrheiten erschaffen kann, lässt sich an diesem Fall gut zeigen. Sabine Wälder und die Initiative haben eine Visualisierung in Auftrag gegeben, auf der die fünf Räder das Schloss umzingeln, ja erdrücken. Die Firma Sowitec, die weltweit Anlagen baut, aber im nahen Sonnenbühl sitzt, hat Fotos veröffentlicht, bei der die Räder viel weiter weg erscheinen. Der Regionalverband Neckar-Alb, der das Gebiet freigegeben hatte, kam sogar zu dem Schluss, dass es nur von einem Standpunkt aus überhaupt zu einer visuellen Kollision komme. Man habe umfangreiche „Sichtbeziehungsanalysen“ gemacht und Höhenmodelle erstellt, sagt der Experte des Verbandes, Peter Seiffert: „Das ist nicht so katastrophal wie behauptet.“

Gegner und Befürworter streiten um die Fotohoheit

Nun streiten sich Gegner und Sowitec um die Fotohoheit: Der Investor wirft den Gegnern vor, falsche Brennweiten verwendet zu haben; Sabine Wälder wiederum bezichtigt Sowitec, immer nur Bilder im Dunst aufzunehmen. Roland Heinrich von Sowitec beteuert: „Es gibt definitiv keine der üblichen Postkartenansichten des Schlosses, auf der Windräder zu sehen sein könnten.“ Martin Hahn vom Landesamt für Denkmalpflege ist anderer Meinung. Von den Aussichtsfelsen auf der anderen Talseite, vom Hauptwanderweg 1 des Albvereins, seien die Räder klar hinter dem Schloss zu erkennen. Diese wichtige Sichtachse sei bisher gar nicht beachtet worden.

Eindeutig ist zumindest, dass die Beschützer des Schlosses namhafte Unterstützung erhalten haben. Schlossherr Wilhelm Herzog von Urach hat, was in der Geschichte des Schlosses wohl einzigartig ist, eine Protestfahne am Turm aufgezogen. Claus Wolf, der Präsident der Landesdenkmalbehörde, sieht das Schloss als „ein Schlüsselwerk des Historismus“. Der Schwäbische Albverein lehnt die Anlagen ab, ebenso wie der Schwäbische Heimatbund. Herausragende Gebäude wie die Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee, die Burg Katzenstein auf der Ostalb oder eben Schloss Lichtenstein müssten „absolute Tabuzonen“ für Windräder sein, sagt Albrecht Rittmann vom Heimatbund. Der Fall von Sonnenbühl ist für ihn ein Lackmustest; wenn dort gebaut werden dürfte, „dann brechen alle Dämme“.

Nicht zu vergessen sind die mehr als 8000 Einwendungen von Bürgern – die dritte Auslegungsrunde ist gerade abgelaufen. Zweimal musste dieser Schritt übrigens wegen Formfehlern und neuen Erkenntnissen wiederholt werden. Am 19. Juli kommt es dann auf einem öffentlichen Erörterungstermin des Landratsamtes zum Showdown.

Denkmalschutz und Windkraft im Konflikt

In ganz Baden-Württemberg sollen nun in wenigen Jahren mehrere Hundert Windräder gebaut werden – da stellt sich die grundsätzliche Frage, wie bei diesem immensen Ausbau der Denkmalschutz und die Bewahrung wichtiger Landschaftsbilder berücksichtigt werden. Die Antwort darauf lautet: Es existiert kein einheitliches Verfahren, die Regionalverbände gehen unterschiedlich vor. Nicht nur das, laut Roland Heinrich würden in den drei Phasen eines Verfahrens im schlimmsten Fall drei unterschiedliche Bewertungen vorgenommen: „Man wäre gut beraten, endlich eine einheitliche Methodik einzuführen.“

Im Kern ist ein beeinträchtigtes Landschaftsbild oder ein umzingeltes Denkmal sowieso kein zwingendes K.-o.-Kriterium für Windräder. Den Versuch, objektive Kriterien für so emotional besetzte Begriffe wie „schöne Landschaft“ oder „herausragendes Denkmal“ zu entwickeln, gab es: Das Institut für Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart hat 2012 landesweite Analysen erstellt und – in konkretem Bezug auf Windräder – besonders schützenswerte Landschaften benannt. Obwohl diese Daten nie offiziellen Status erlangt haben, zogen manche Regionalverbände sie heran, wie die Region Heilbronn-Franken. Standorte mit „kritischem Konfliktgrad“ wurden deshalb gestrichen; schon bei „erheblichen Wechselwirkungen“ wurde aber dem Ausbau der Windenergie Vorrang eingeräumt.

Jeder Regionalverband geht seinen eigenen Weg

Der Stuttgarter Regionalverband ist einen anderen Weg gegangen und hat, ohne klare Grundlage allerdings, 34 „Landmarken“ definiert, deren Umkreis von Windrädern freigehalten werden soll, so etwa die Burg Teck oder die Grabkapelle auf dem Rotenberg in Untertürkheim. Die Region Ostwürttemberg wiederum hat mit dem Denkmalamt aus 3300 Bau- und Kunstdenkmalen neun landschaftsprägende herausgefiltert und dafür Sichtbarkeitsanalysen erstellt. Beim Kloster Neresheim sei so eine „erfolgreiche, kritisch-konstruktive Planungsbegleitung“ gelungen, sagt der Denkmalpfleger Martin Hahn. Er sieht die Denkmalpflege mittlerweile gut in die Windkraftplanungen einbezogen, aber wie immer im Leben habe man manchmal Erfolg und manchmal nicht. Zum Schloss Lichtenstein ist Hahns Meinung eindeutig: „Wo, wenn nicht am Lichtenstein, müssten wir Denkmalpfleger den Finger erheben?“