In einem Rekordtempo hat das Göppinger Landratsamt bei Lauterstein den größten Windpark von Baden-Württemberg genehmigt. Innerhalb eines Jahres sollen auf der Albhochfläche 16 neue Windräder stehen. Proteste gibt es keine.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen/Lauterstein - Permanente Lärmfolter, dazu Infraschall, der zu Depressionen führt, und eine Verspargelung der Landschaft: im Schurwald, wo die Kreise Esslingen, Göppingen und Rems-Murr aneinander stoßen, hat schon die Aufstellung eines 100 Meter hohen Windmessgeräts Stürme der Entrüstung ausgelöst. In Lauterstein, am anderen Ende des Kreises Göppingen, wird nun der größte Windpark des Landes entstehen, und niemanden juckt es. „Bei den Bürgerversammlungen ist das Thema schmuck durchgelaufen“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Konrad Rühle. Im ganzen Verfahren gab es nur vier Einwendungen. Entsprechend leicht tat sich das Göppinger Landratsamt mit der Genehmigung. Seit Donnerstag liegt sie dem Investor WPD vor. In der kommenden Woche beginnen die Vorarbeiten für den Bau der nun genehmigten 16 Windräder.

 

Der erste Anlauf führt zur Revolte

Die Argumente gegen die Windkraft sind Rühle und seinen Gemeinderatskollegen nicht unbekannt. Das böse, einst von Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) geprägte Wort von der Verspargelung der Landschaft war auch am Albrand in aller Munde. Doch das ist fast zwei Jahrzehnte her. Damals hatte der selbe Investor schon einmal einen Anlauf für einen großen Windpark auf Lautersteiner Gemarkung genommen. Rühle erinnert sich an den Bürgerprotest. „Da war Revolte.“

Auch der Gemeinderat winkte ab, wobei dabei auch eine Rolle spielte, dass bei Windkraftprojekten, die kurz zuvor in der Nachbarschaft bei Geislingen-Stötten realisiert worden waren, Geld nachgeschossen werden musste. Der Wind blies nicht so stark wie erwartet. „Wir befürchteten, dass die Investoren Pleite gehen und wir mit den Ruinen da stehen würden“, sagt Rühle.

Das Landratsamt arbeitet besonders schnell

Inzwischen ist das alles kein Thema mehr, zumal der vor einem Jahr installierte Messturm viel versprechende Werte liefert. Es handele sich um einen der besten Standorte in Kreis und Region, bestätigt das Landratsamt, das dem Verfahren höchste Priorität einräumte. Man sehe in dem Projekt einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutzkonzept des Kreises, sagt der stellvertretende Landrat Jochen Heinz.

In Lauterstein sieht man es ähnlich. „Die Windräder sind nicht die Komplettlösung, aber ein Beitrag zur Energiewende“, sagt Rühle. Einstimmig folgte der Gemeinderat in den vergangenen Monaten dem Weg des jungen Bürgermeisters Michael Lenz. Auch die Bürgeranhörungen liefen in gelassener Atmosphäre. Mancher demonstrierte angelesenes Wissen, wie das so ist bei Bürgerversammlungen. Vor Depressionen warnte keiner.

Rühle sieht einen Gewöhnungseffekt

Durch die vielen Windräder auf der Alb hätten sich die Menschen an den Anblick gewöhnt, vermutet Rühle. Zudem, das ist wichtig, ist der Standort ein anderer als vor 20 Jahren. Damals sollten vier Räder auf die Lützelalb gepflanzt werden, eine weithin sichtbare Freifläche. Jetzt kommen sie, dank einer entsprechenden Gesetzesänderung, tief in den Wald des Grafen zu Rechberg. Das Adelshaus, dem die 2500 Einwohner zählende Kommune auch ihre Stadtrechte verdankt, gilt nach wie vor als größter Grundstückseigentümer zwischen Donzdorf und Ulm. Lediglich drei Anlagen, die das Albwerk übernehmen wird, werden in einem städtischen Waldstück stehen.

„Von Weißenstein aus sieht man nichts“, sagt Rühle und blickt den Felsen hinauf. Der Ort, der zusammen mit Nenningen die Stadt Lauterstein bildet, liegt nur wenige hundert Meter entfernt, krallt sich aber an einen steilen Hang. Auch wenn die Windräder von der Rotorspitze bis zum Boden fast 200 Meter messen werden, schauen sie nicht über den Albrand. Nur von weiter her werden die Räder im Dunst zu erkennen sein, so wie die anderen Anlagen, die in reicher Zahl auf Geislinger und Böhmenkircher Gemarkung stehen.

Sorge um Rotmilan und Fledermaus

So waren es vor allem naturschutzrechtliche Bedenken, die das Landratsamt auszuräumen hatte. Um Rotmilane und Fledermäuse zu schützen, wurde die Zahl der Anlagen von 22 auf 16 reduziert. Drei Windräder müssen nachts aus Lärmschutzgründen gedrosselt werden. Insgesamt werde eine Nennleistung von 44 Megawatt erreicht. Der Windpark werde den Strombedarf von 34 000 Haushalten decken, rechnet die Behörde vor.

Das Unternehmen drückt jetzt aufs Tempo. Die Zufahrtsstraßen müssen für die überdimensionierten Rotortransporte vorbereitet werden. Zudem muss für jede Anlage vier Ar Wald gerodet werden, der zum Teil später wieder aufgeforstet wird. Zum Jahresende soll der erste Turm stehen. Im Sommer 2016 werden auch die letzten der 16 Anlagen ans Netz gehen.