Höhepunkt des spektakulären Windradtransports ist das Navigieren der Rotorblätter durch Schorndorf. Auch Zuschauer lassen sich den Anblick des mehr als 70 Meter langen Flügels am Abend nicht entgehen.
In Schlichten haben sie die Montagnacht zum Tag gemacht. Viele wollen dabei sein, wenn der mehr als 70 Meter lange Rotorflügel durch die Engstelle in der Schurwaldstraße manövriert wird. Also werden Stühle an den Straßenrand gestellt, und auch die eine oder andere Flasche Wein wird aufgemacht. Während es für die meisten Schlichtenerinnen und Schlichtener ein riesiges nächtliches Spektakel ist, sind Horst Kiesel und Sibylle Behnisch, zwischen deren historischen Häusern der Flügel passgenau hindurch muss, auch etwas angespannt. Doch das heikle nächtliche Manöver klappt reibungslos.
Das Rotorblatt lag schon wie die beiden anderen seit dem Wochenende auf dem Umladeplatz in Schorndorf. Schon am Wochenende sind einige Menschen dort vorbeigekommen und haben sich die riesigen Bauteile, die auf der Wiese am Unteren Ziegelfeld lagern, angeschaut. Vergangene Woche wurde das fast 70 Tonnen schwere Maschinenhaus auf den Weg durch die Stadt geschickt.
Die Rotorblätter werden abends einzeln durch die Stadt navigiert
Am Montagabend geht es mit dem Transport der längsten Bauteile los: Die Rotorblätter mit etwa 72,4 Metern Länge und einem Gewicht von rund 20 Tonnen werden abends einzeln durch die Stadt navigiert, erklärt Philip Gohl, der Projektleiter von Uhl-Windkraft in Ellwangen. So wie am Montag sollen die anderen am Dienstag- und Mittwochabend folgen – bis alle drei am Platz sind für den Windpark Königseiche, wo die Bauteile für zwei Windräder montiert werden. Die Windenergieanlagen bei Ebersbach im Kreis Göppingen werden mit einer Nabenhöhe von 164 Metern errichtet. Die zwei Anlagen produzieren künftig über das Jahr die Strommenge, mit der bilanziell 5000 Haushalte versorgt werden, so der Projektleiter.
Am Kreisel des Schondorfer Teilorts Weiler haben sich am Montagabend zahlreiche Zuschauer postiert. Sie warten auf den spektakulären Tross. Als es dunkel wird, rollt der Konvoi mit blinkenden Lichtern Richtung Kreisel. Zunächst rollt ein Turmteil auf einem der Selbstfahrer an – und dann sieht man am Horizont das riesige Rotorblatt in den Abendhimmel ragen. Viele zücken das Handy, ein Passant wird gebeten, aus Sicherheitsgründen die Drohne am Boden zu lassen. In Schrittgeschwindigkeit wird der riesige Flügel um den Kreisel navigiert. Er ist auf dem Transportfahrzeug festgeschraubt und kann je nach Erfordernis aufgerichtet werden. Zuvor war ein Ampelschild an dem Kreisel gedreht worden. Auch die Warnbaken werden entfernt.
Mancher hat schon den Transport der Winterbacher Windräder verfolgt
Wer sich den ungewöhnlichen Transport anschauen will, muss etwas Geduld mitbringen. Manche sind schon gegen 19 Uhr zum Umladeplatz gekommen. Wie Bernd Waldheim aus Winterbach mit seinem Bekannten Frank Höhn. „Er ist Schwertransporter-Fan“, sagte Waldheim über seinen Freund. „Ich habe mehr als 60 Fachbücher über Schwertransporte zu Hause“, sagt Höhn, der als Schwimmmeister im Winterbacher Bad arbeitetet. Er sei fasziniert, wie sich die Windradtechnologie in den vergangenen 15 Jahren weiterentwickelt habe. Er war auch vor Ort, als der Transport für die Windräder am Winterbacher Goldboden erfolgte, die seit Dezember 2017 in Betrieb sind.
In Schlichten müssen sie noch viel länger warten. Erst lange nach 23 Uhr nähert sich der Schwertransport im Schritttempo dem Ortseingang. Dort muss der Flügel zunächst flachgelegt werden, um das erste Hindernis, eine Stromleitung, die über die Straße gespannt ist, zu unterqueren. Doch die schwierigste Übung steht noch bevor. In Schlichten gibt es eine Engstelle, an der keine zwei Pkws aneinander vorbeikommen, und da muss das Riesending durch. Sibylle Behnisch und Horst Kiesel, dessen elterliches Bauernhaus an der Engstelle sogar denkmalgeschützt ist, halten einige Mal den Atem an, als der Rotorflügel in Zeitlupentempo Millimeter um Millimeter in das Nadelöhr zwischen ihren Häusern eingefädelt wird.
Unter den Technikbegeisterten, die sich den Tross anschauen, sind alle Generationen. Manche hatten bereits den Transport des Maschinenhauses verfolgt, es ist das schwerste Bauteil mit rund 70 Tonnen, das zur Königseiche gebracht wird. Insgesamt werden 18 Bauteile transportiert. Auch die anderen Teile haben ungewohnte Dimensionen. So wiegt eine Nabe etwa 63 Tonnen.
Die Transportstrecke hat mehrere anspruchsvolle Stellen für die Logistik
Dass viel Know-how gefragt ist für solch eine Logistik, liegt auf der Hand. „Es gibt mehrere Stellen, die anspruchsvoll sind“, sagt Gohl über die elf Kilometer lange Gesamtstrecke. „Die Transporte der Rotorblätter stellen dabei die größte Herausforderung an die Spedition dar“, sagt Gohl. Die Planung eines solchen Schwertransports hat einen langen Vorlauf. „Erste Vorbereitungen laufen schon Monate vorher. Es müssen Streckenstudien erstellt werden, um zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Strecke technisch befahrbar ist. Die Beantragung erfolgt etliche Wochen vor Beginn der Anlieferung. Im Genehmigungsprozess sind mindestens ein Dutzend Stellen zu beteiligen. Leider kann es sein, dass man Anträge aufgrund von Ablehnungen oder Baustellen kurzfristig anpassen und erneut einreichen muss“, sagt Gohl.
Und wie geht es weiter? „Wenn alle Komponenten vor Ort sind und der Kran durchgehend arbeiten kann, ist eine Errichtung der Anlage innerhalb einer Woche möglich“, teilt Gohl mit. Die Errichtung der Windräder dürfte Anfang September abgeschlossen sein. Anschließend müsse noch der Innenausbau stattfinden und die Anlagen für den Betrieb vorbereitet werden. Dies dauere in der Regel nochmals ein paar Wochen.
Auf die Frage, was dem Projektleiter persönlich an Windrädern gefällt, sagt er: „Ich finde es faszinierend, wie sich die Technik in den letzten Jahren entwickelt hat und wie auf kleinster Fläche große Mengen Strom produziert werden können.“