Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Über die Finanzierungsgrenze von 4,5 Milliarden Euro hinaus gibt das Land kein Geld?

 

Das ist die klare Position der Grünen und ihres Regierungschefs.

Vielleicht legen aber Bahn oder Bund noch etwas drauf? Was wäre dann?

Der Staatskonzern hat - zumal als Aktiengesellschaft - die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit zu beachten. Nach Bahn-Angaben ist Stuttgart 21 bereits bei Kosten von mehr als 4,7 Milliarden Euro unwirtschaftlich. Das Unternehmen würde also bewusst ein unwirtschaftliches Projekt bauen und finanzieren. Damit würden sich womöglich Vorstand und Aufsichtsrat haftbar und schadenersatzpflichtig machen.

Einige Beobachter vermuten, die Bahn wolle hohen Schadenersatz herausholen und halte deshalb an dem Vorhaben fest. Bei einem einseitigen Projektabbruch müssen die Partner zahlen - also Land, Stadt und Region.

Was passiert, wenn die Verhandlungen zu Stuttgart 21 am Mittwoch scheitern?

Dann werden nach der Ankündigung der beiden Verhandlungsführer die Gespräche insgesamt unterbrochen. Wenn wir beim Thema Stuttgart 21 keine Einigung erzielen, macht die Fortführung in den anderen Bereichen vorerst auch keinen Sinn. Allerdings ist das Wählervotum ein klarer Auftrag, dass wir uns auf eine neue Politik verständigen.

Stuttgart 21 ist also der Knackpunkt. Grüne und SPD haben einen Volksentscheid über das Bahnprojekt versprochen. Warum lässt man nicht einfach die Bürger entscheiden?

Das wollen wir, das haben wir im Wahlkampf gesagt. Allerdings sind die Bedingungen hierfür entscheidend. Für einen Volksentscheid und ein Veto gegen Stuttgart 21 gibt es sehr hohe Hürden. Mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten im Land müsste daran teilnehmen und für ein Ausstiegsgesetz stimmen. Eine solch hohe Beteiligung wurde bisher noch nie geschafft.

Das hätte man auch früher wissen können.

Im Wahlkampf war es natürlich wichtig, eine gemeinsame Position mit der SPD zu finden. Der Volksentscheid war der vernünftige Kompromiss für den erfolgreichen Schulterschluss. Nun aber geht es um die konkrete Umsetzung und ein demokratiefreundliches Verfahren. Dazu braucht es einen fairen Kompromiss mit der SPD.

Wie der Kompromiss aussehen könnte

Wie könnte der Kompromiss aussehen?

Die Verfassung besagt erstens: die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet bei der Volksabstimmung. Zweitens braucht es das Plazet von einem Drittel aller Stimmberechtigten, damit das Gesetz, das zur Abstimmung gestellt wird, in Kraft tritt. Es kann ja sein, dass eine einfache Mehrheit für den Ausstieg votiert, aber das hohe Quorum, das erforderlich ist, um das Gesetz dann in Kraft treten zu lassen, nicht erreicht wird. Ein solches Abstimmungsergebnis würde die Situation nicht befrieden, sondern eskalieren lassen.

Was wäre dann?

Dafür braucht es eine Lösung. Die juristische Lage ist das eine, das politische Handeln das andere. In so einem Fall müsste die einfache Mehrheit, die sich gegen Stuttgart 21 ausgesprochen hat, eine Berücksichtigung finden. Das ist die Aufgabe, die wir zusammen mit der SPD lösen müssen.

Könnte das Projekt nicht vor dem Volksentscheid an erneut höheren Kosten scheitern?

Dafür spricht vieles. Zunächst muss Stuttgart 21 ja noch den Stresstest bestehen. Das sieht der Schlichterspruch von Heiner Geißler ausdrücklich so vor. Es ist höchst fraglich, ob der Tiefbahnhof in der jetzigen Auslegung ohne erhebliche Nachbesserungen die erwarteten Belastungen zu Spitzenzeiten im Berufsverkehr schafft.

Wann ist das geklärt?

Bis zum Sommer will die Deutsche Bahn den Stresstest durchführen. Das sind komplizierte Simulationen und Berechnungen. Die Gefahr ist, dass wieder vieles schöngerechnet wird und die Risiken erst später auftauchen. Das kennt man ja von Bahnprojekten. Wir dringen darauf, dass wir nicht erst im Nachhinein beteiligt werden, sondern früher.

Sieht das die SPD ebenso?

Auch das ist noch ein Streitpunkt mit der SPD. Ebenso die Frage, ob die Gäubahn und die komplizierte Einschleifung mit betrachtet werden, was wir fordern. Wenn der Stresstest zeigt, dass teure Nachbesserungen nötig werden, wäre Stuttgart21 gestorben.

Heißt das, die neue Landesregierung würde keine Mehrkosten mitfinanzieren?

Eine höhere Beteiligung kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Schon jetzt finanzieren Land, Stadt und Region einen großen Teil von Stuttgart21. Allein das Land hat rund zwei Milliarden Euro für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zugesagt. Das Geld wird dringend anderswo gebraucht. Vielleicht rechneten die Stuttgart-21-Befürworter damit, dass weitere Mehrkosten finanziert worden wären, wenn die CDU-Regierung von Stefan Mappus die Wahl gewonnen hätte. Dieses Kalkül hat sich nun erledigt.

Hermann zur Finanzierung von Stuttgart 21

Über die Finanzierungsgrenze von 4,5 Milliarden Euro hinaus gibt das Land kein Geld?

Das ist die klare Position der Grünen und ihres Regierungschefs.

Vielleicht legen aber Bahn oder Bund noch etwas drauf? Was wäre dann?

Der Staatskonzern hat - zumal als Aktiengesellschaft - die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit zu beachten. Nach Bahn-Angaben ist Stuttgart 21 bereits bei Kosten von mehr als 4,7 Milliarden Euro unwirtschaftlich. Das Unternehmen würde also bewusst ein unwirtschaftliches Projekt bauen und finanzieren. Damit würden sich womöglich Vorstand und Aufsichtsrat haftbar und schadenersatzpflichtig machen.

Einige Beobachter vermuten, die Bahn wolle hohen Schadenersatz herausholen und halte deshalb an dem Vorhaben fest. Bei einem einseitigen Projektabbruch müssen die Partner zahlen - also Land, Stadt und Region.

Die Bahn behauptet ja immer noch, man habe Anspruch auf rund 1,5 Milliarden Euro Schadenersatz bei einem Projektabbruch. Das ist weit übertrieben, wie schon die Schlichtung Jahr zeigte. Der Konzern will offenbar die Kosten der eigenen Fehlplanungen bei den Projektpartnern abladen. In der Schlichtung wurde der Schadenersatzanspruch geprüft. Zwei der drei Expertisen kamen zum Ergebnis, dass der Konzern viel geringere Ansprüche hätte.

Was wird nun im Koalitionsvertrag zu Stuttgart 21 stehen?

Wenn die Vernunft siegt, ist dort geregelt, dass das Land vor einem Volksentscheid die vollständige Offenlegung der aktuellen Kosten und Kalkulationen verlangt, am besten im Zusammenhang mit dem Stresstest. Diese Offenlegung kann die neue Regierung übrigens auch über den Lenkungskreis für Stuttgart21 durchsetzen. Wenn sich die Kostenrisiken bestätigen, wäre Stuttgart21 tot. Dann wäre kein Volksentscheid mehr nötig. Denn über eine Leiche muss man nicht mehr abstimmen - so treffend und richtig hat es ja schon der Schlichter Heiner Geisler formuliert.

Was passiert, wenn die Bahn wie angekündigt nach der Neubildung der Regierung im Mai Bau und Auftragsvergabe fortsetzt?

Davon kann ich nur dringend abraten. Bis der Stresstest und Kostenrisiken nicht geklärt sind, wäre das schlicht fahrlässig.

Das klingt sehr bestimmt. Spricht hier der neue Verkehrsminister des Landes?

Erst einmal muss der Koalitionsvertrag stehen, dann ist der Zuschnitt der Ministerien zu klären. Wenn die Grünen wie gewünscht das Verkehrsressort erhalten, gibt es mehrere kompetente Kandidaten. Wer dann wo zum Zuge kommt, wird man sehen.

Fachmann für Verkehrsfragen

Biografie: Winfried Hermann ist Verkehrsexperte und sportpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Bei den grün-roten Koalitionsgesprächen sitzt er in Sachen Stuttgart<TH>21, dem heikelsten aller Themen, direkt mit am Verhandlungstisch. Der Schwabe blickt auf eine lange Karriere in der Partei zurück, der er seit fast 30 Jahren angehört. Der 58-jährige Lehrer für Deutsch, Politik und Sport aus Rottenburg am Neckar studierte in Tübingen und arbeitete in den 1980ern an einem Stuttgarter Gymnasium und bei der Volkshochschule. Parallel schaffte er es 1984 in den Landtag. Zwischen 1992 und 1997 war Hermann Landesvorsitzender der Grünen. Im Bundestag ist der verheiratete Vater einer neunjährigen Tochter, der in seinem Wahlkreis Tübingen und Berlin lebt, Vorsitzender des wichtigen Verkehrsausschusses.

Stuttgart 21: Protest gegen das Projekt gab es am Montag an drei Stellen: Um 17 Uhr lud die Gesellschaft Kultur des Friedens auf den Schlossplatz zur Kundgebung, um 18 Uhr das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zur Montagsdemo. Im Anschluss zog wieder ein Teil der Teilnehmer vor die SPD-Landeszentrale am Wilhelmsplatz. Dort nahmen Parkschützer das Angebot des Landesgeschäftsführers Marten Jennerjahn an, mit der Partei ins Gespräch zu kommen. Dabei ging es auch um das Thema Volksentscheid und um den Tunnelbau unter dem Daimler-Werk.